Wir können eine ganze Menge tun!
Im Gespräch mit Zhang Ke, ZOA/standardarchitecture, Beijing

Manchmal hat man einfach Glück. So im Februar dieses Jahres im Bielefelder Kunstverein. Zhang Ke, Gründer von ZAO/standardarchitecture, eröffnete die Ausstellung mit Modellen und Fotos von seinen Arbeiten aus dem letzten Jahrzehnt (zu sehen noch bis 17. April). Und er hatte Zeit. Zwar zwischen Beijing und Harvard dauerpendelnd, hatten es die Kuratoren Thomas Thiel und Andreas Wannenmacher geschafft, den Architekten mit internationalem Renommee nach Bielefeld zu locken. Was uns die Möglichkeit gab, mit ihm zu sprechen zwischen all den schönen Modellen. Über das Bauen, über Standardarchitektur und was wir von China lernen können.
Zhang Ke, du hast dein Büro 2001 in Beijing gegründet. Was hat sich in deiner Arbeit bis heute verändert?

Ich würde sagen, meine Ziele haben sich nicht verändert, sie haben sich entwickelt. 2001 kam ich gerade aus New York zurück. Mein erstes Projekt war der City Wall Park, Ergebnis eines internationalen Wettbewerbs, den ich
damals mit Zhang Hong gewann. Hier ging es um die Beziehungsfelder zwischen Stadt, Geschichte, den Ruinen und der Religion einerseits und zeitgenössischer Architektur und Landschaftsplanung andererseits. Dieser Wettbewerbserfolg war der Startpunkt für alles Folgende.

Es kamen weitere Einzelbauten, die immer auf das
Historische des Ortes zurückgebunden waren. Die Einbindung von Neuem in die Geschichte wurde mehr und mehr mein zentrales Interesse. Architektur hat immer eine Verbindung zu dem, was vorangegangene Generationen geschaffen haben. Wir arbeiten ständig daran, auf diesem Erbe möglichst erfindungsreich aufzubauen.

Ich denke, speziell in China, wo die Menschen seit der Kulturrevolution mehr in die Zukunft schauen als in die Vergangenheit, ist es wichtig, die Zukunft wieder stärker in die Geschichte einzubinden. Das mag für viele eine Beschränkung darstellen, für mich ist es eine riesige Energiequelle für innovative Architektur, besonders in China.

Gab es zu Beginn eine Naivität, die mittlerweile einer Professionalität gewichen ist?

Ich bin sehr froh sagen zu können, dass ich heute immer noch naiv bin. Dabei sehe ich Naivität als durchaus positive Eigenschaft an. Unser Interesse an sozialen Dingen, an sozialer Architektur war nicht von Anfang an vorhanden, das hat sich entwickelt. Zu Beginn waren wir mehr daran interessiert, etwas ganz Eigenes, fast Autonomes zu schaffen. Aber auf dem Hintergrund der politischen und sozialen Entwicklungen der letzten Jahre in China ist der Aspekt des sozialen Engagements in der Architektur immer dringlicher geworden. Und mit den Entwicklungen meine ich auch die generell angestiegene konsumistische Haltung vieler Landsleute, ihre Orientierung an den USA. Zudem ist China gerade in einem unglaublichen Urbanisierungsprozess, der gravierende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hat. Hier bedarf es einer Bewusstseinsschärfung dafür, was wir Architekten tun können. Und ich bin sicher, wir können eine ganze Menge tun!

Was ganz konkret?

Das Leitthema meiner Arbeit ist die städtebauliche Erneuerung. Und da möchte ich konkret unsere Arbeiten in den traditionellen Hutongs [Wohnhöfe; Be. K.] in Beijing nennen. Hier versuchen wir – gegen den allgemeinen Trend, großmaßstäblich zu denken – den kleinen Maßstab am Leben zu halten. Wir möchten die Tabula rasa, die brutalen Abrisse, die gerade im Kern der alten Stadt vorangetrieben werden, aufhalten und das erhalten, was war. Aber das funktioniert nur, wenn wir die Hutongs anpassen, dass man in ihnen so leben kann, wie man es heute möchte. Wir wollen kein Freilichtmuseum, wir wollen das Alte mit zeitgenössischen Mitteln in die Gegenwart fortschreiben.

Wenn ich mir anschaue, dass das Kleinmaßstäbliche den großen Shopping Malls geopfert wird, kann ich nicht anders, ich muss als Architekt etwas dagegen machen. Vielleicht müsste ich, wenn ich in Europa arbeiten würde, nicht so stark kämpfen?!

Müssen wir, wie du einmal gesagt hast, die Wurzeln abschneiden um Zukunft zu gewinnen?

Ich glaube nicht, dass ich das gesagt habe: „Wurzeln abschneiden“. Ich glaube, wir müssen uns von den Vorstellungen der Architekten
lösen, die ein paar Generationen vor uns gearbeitet haben. Hier ging es meist darum, die traditionelle Architektur ihrem Anschein nach zeitgenössisch zu realisieren. Das, so glaube ich, interessiert die jetzige Architektengeneration in China nicht mehr. Wir wollen die wirklichen Wurzeln finden, die nicht länger bloß auf Formales zurückgreifen, sondern auf ein Verstehen und anschließendes Interpretieren, Weiterdenken. Wir sind dabei, die Moderne neu zu definieren. In unseren Arbeiten entwickeln wir zunehmend eine Sensibilität für das, was schon in der Song Dynastie [ca. 950 bis 1279] als bedeutend anerkannt war: Verfeinerung und Einfachheit. Dahin reichen die Wurzeln chinesischer Architektur, die wir wieder entdeckt haben. Und ich bin sicher, dass wir diese Qualitäten in China bis heute noch nicht wirklich erkannt haben; gerade auch mit Blick auf Japan, das in vielen Bereichen immer noch sehr stark in Traditionen verwurzelt ist. Wir Chinesen müssen die Traditionen aber für uns wiederentdecken.

„Standardarchitecture“ ... Das klingt sehr unaufgeregt nach ... Standard?

Aber genau das meint es ja: Wir wollten von Anfang an nur wir selbst sein. Und machen können, was wir für den Standard halten. Gleichzeitig können wir jederzeit Standards verlassen, die nicht die unseren sind. Wir etablieren einfach neue! Noch einmal zur Song Dynastie: Aus dieser Zeit gibt es das heute noch komplett erhaltene Handbuch „Yingzao Fashi“, das sich mit Holzkonstruktionen befasst. Der Name des Buchs bedeutet nichts anderes als „standardarchitecture“. Unser chinesischer Name bezieht sich auf eine Bezeichnung, die vor 1 000 Jahren gebräuchlich war, heute aber nicht mehr. Es ist ein schönes altes Wort, das wieder im Kommen ist, seitdem wir es benutzen!

Wie ist das Büro organisiert, wie arbeitet ihr?

Wir arbeiten in einer gewissen Weise sehr traditionell. Wir sind etwa 25 Architekten aus den verschiedenen Regionen der Welt. Etwa die Hälfte kommt aus China, nicht wenige aus Europa. Wir sind in vier oder fünf Gruppen aufgeteilt, die an jeweils eigenen Projekten arbeiten. Einmal in der Woche treffen sich alle, um sich über die Arbeiten auszutauschen.

Bist du der Impulsgeber? Der Manager?

Die meisten Projekte beginnen tatsächlich bei mir, die meisten über Skizzen. Andere starten eher wie im Hochschulseminar mit Diskussionen, kleinen Forschungen etc. Aus beiden Ansätzen werden die ersten Ideen entwickelt, die im Folgenden immer weiter verfeinert werden. Und ja, immer habe ich das letzte Wort und so betrachtet ist das ziemlich traditionell. Aber wir haben viel Raum für Diskussionen. Das, was ich mache, mit Skizzen beispielsweise, inspiriert das Projektteam, wie andersherum deren Arbeit meine ersten Striche inspiriert. So ist der erste Schritt im Projekt immer sehr frei und teils sehr intuitiv. Das, was danach kommt, folgt den Regeln eines Projektmanagements.

Gibt es zwischen den Hutongs und dem auf den ersten Blick sehr international anmutenden Entwurf für Novartis eine Klammer?

Auf den ersten Blick mögen sich beide deutlich unterscheiden. Im Maßstab natürlich, der Nutzung etc. Was gemeinsam ist, ist, dass wir bei beiden nach neuen Wegen gesucht haben und anschließend nach jeweils verschiedenen Lösungen. Wir freuen uns natürlich und sind auch stolz darauf, dass wir uns in den 15, nein, 16 Jahren immer weiter entwickelt haben. Dass wir nicht einen Stil fixiert haben, der uns möglicherweise an neuen Entdeckungen hindert. Als die Hutong-Projekte noch Projekte waren, hatte niemand geglaubt, unsere Eingriffe könnten funktionieren, könnten Sinn machen. Novartis haben wir anfangs als unglaublich verrückt angesehen, aber am Ende haben wir ein höchst effizientes, zeitgenössisches Gebäude geliefert. Wenn du willst, kann ich beide so auf einen Nenner bringen: Sie sind beide extrem. Und auf diese Weise vorher so nicht gedacht worden.

Können wir Europäer von euch lernen?

Ich glaube da sind zwei Aspekte, die euch inspirieren könnten. Einmal ist da das, wie ich es nenne, Insichsein. Das Insichsein beginnt nicht von außen, es beginnt innen und kehrt sich erst von hier nach außen. Und es gibt die Komplexität eines unendlichen Innenraums. Wir sollten vom Inneren als einem System ausgehen.

Der andere Aspekt könnte sein, dass wir in China gerade die massive Explosion der Städte erleben. Hier könnte man zurückschauen in die vergangenen Jahrzehnte und dort die Prognosen hinterfragen, die sich auf das Heute bezogen haben. Das ist eine einmalige Laborsituation für die Erforschung urbaner Entwicklungen auf der ganzen Welt! Vielleicht kann der Westen hier nichts direkt übertragen, aber die Planer könnten aus den Fehlern lernen, die wir gemacht haben.Ich schätze, dass wir ungefähr 30 bis 40 Prozent unserer Arbeit in die Erforschung urbaner und landschaftlicher Entwicklung investieren.

Es ist wohl noch zu früh, um zu sagen, dass wir schon Lösungen anzubieten hätten, aber wir arbeiten ständig daran. Und ich glaube, diese Forscherhaltung ist in westlichen Büros nicht sehr verbreitet. Wollte ich für mich auf einen Nenner bringen, was Architektur wesentlich ausmacht, dann kann ich sagen, dass es neben allem Begeisternden insbesondere das Umfassende ist, das diesen Beruf so auszeichnet. Was nicht bedeutet, er sei nicht auch gefährdet durch seine zunehmende Technisierung, seine Professionalisierung, die das Intuitive, das Erfinderische mehr und mehr verdrängt. Die Aufgabe von jungen Büros, wie wir ja auch noch eines sind, ist es eben, die Neugier und den Drang zum Erfinden wiederzubeleben. Denn das war ja alles schon einmal da!

Mit Zhang Ke unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 11.02.2017 im Bielefelder Kunstverein; sie versuchten es beide mit Englisch.

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