Wie müssen wir heute bauen, damit wir morgen nachhaltig sind?
Ein Gespräch mit Prof. Dr. Dr. E.h. Werner Sobek, Stuttgart

Werner Sobek gilt national wie international als einer der bedeutendsten Ingenieure der heutigen Zeit. Er ist Nachfolger von Frei Otto und Jörg Schlaich und leitet das Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren der Universität Stuttgart. Er ist außerdem Mies van der Rohe Professor am Illinois Institute of Technology in Chicago sowie Mitbegründer der DGNB, deren Präsident er von 2008 bis 2010 war. Am 16. Mai 2013 wurde Werner Sobek 60 Jahre alt. Anlass, um mit ihm über seine Ziele und Visionen für das Bauen für morgen zu reden.

Werner Sobek, Sie sind Initiator und Mitbegründer der DGNB. Werden die Ziele der DGNB von Architekten und Planern mitgetragen?

Ja, mittlerweile schon. Während wir bei der Gründung der DGNB großen Anfeindungen ausgesetzt waren, hat man heute, insbesondere auf der Seite der Architekten, sehr wohl erkannt, dass wir nicht länger auf eine objektive Betrachtung und Bewertung von Nachhaltigkeitsqualitäten verzichten können. Die DGNB hat hier sicher einen wichtigen Beitrag zur Bewusstseinsbildung geleistet. Leider wird der Verein in der Außenwahrnehmung mittlerweile oft auf seine Rolle als Zertifizierungsunternehmen reduziert. Hiergegen muss die DGNB ankämpfen, so wie ich das in meiner Präsidentschaft auch getan habe. In mei­nen Augen liegt die vornehmliche Zielsetzung der DGNB darin, eine Plattform für gesamtgesellschaftliche Diskussionen zu schaffen. Auf dieser Plattform kann und sollte man um die Frage ringen, wie wir bauen müssen, damit dieses Bauen den zukünftigen Generationen und der Um­welt angemessen ist. Es geht darum, dass wir substanziell in einer anderen Qualität bauen.

Was bedeutet für Sie das nachhaltige, integrale Bauen?

Integrales Bauen bedeutet für mich, dass alle an der Planung Beteiligten von Anfang an zusammenarbeiten – und hierbei auch diejenigen einbeziehen, die für die Ausführung zuständig sind. Planung und Produktion müssen Hand in Hand gehen. Die Tatsache, dass dies bisher nur in rudimentären Ansätzen erfolgt, ist in meinen Augen ein Manko der Bauindustrie, das permanent Probleme erzeugt und zu monetären und juristischen Streitereien führt. Integrales Bauen ermöglicht vor allem aber auch eine höhere Qualität. Es muss natürlich ein nachhaltiges Bauen sein, das auf der einen Seite soziokulturelle Anforderungen erfüllt, gleichzeitig aber auch die technischen Aspekte – z. B. Energie- und Ressourcenverbrauch – über den ganzen Lebenszyklus hinweg beinhaltet.

Müssen wir für das nachhaltige und prozessorientierte Planen und Bauen die Fachplaner ganz anders einbeziehen als bisher?

Ja, definitiv. Eine Reihe von Planern und Baufirmen in Amerika zeigt, was hier möglich ist und welche Chancen dieser Markt bietet. In Deutschland sind wir allerdings − entgegen anderslautenden Lip­penbekenntnissen − noch nicht so weit, dass die Fachplaner in den integralen Planungsprozess einbezogen werden. Das sequentielle Abarbeiten einzelner Planungsetappen ist nach wie vor die Regel.

Ich bin mir aber sicher, dass sich die Rolle des Architekten und der Fachplaner in den nächsten zehn Jahren deutlich verändern wird. Kleine Architekturbüros werden es da zusehends schwerer haben.

Ist aus Ihrer Sicht auf Bauseite alles getan, um die Klimaschutzziele zu erreichen?

Ich bin ehrlich gesagt unsicher. Weniger was die Ziele selbst angeht, sondern vielmehr in Bezug auf die Maßnahmen, die zum Erreichen dieser Ziele ergriffen werden. Wir haben zugegebenermaßen wichtige Schritte hin zu einer Veränderung des Energieverbrauchs, des Emissions- und Abfallverhaltens getan. Im Gesamtkontext gehen wir aber meines Erachtens den falschen Weg. Wir müssen den Eintritt in das solare Zeitalter schaffen. Wenn uns dies gelingt, haben wir saubere und bezahlbare Energie im Überfluss.

Ich glaube, ein solcher Eintritt ins solare Zeitalter ist bis 2050 mög­lich. Das hat aber große Auswirkungen auf unsere jetzigen Aktivitäten − insbesondere in Bezug auf Wärmedämmmaßnahmen bei Bestandsbauten. Wir müssen den Verbrauch reduzieren − aber wir müssen hierbei das tun, was für eine (eigentlich ja recht überschaubare) Zeitspanne von 37 Jahren angemessen und sinnvoll ist. Wenn wir eine vorsichtige Schätzung darüber anstellen, was eine energetische ­Sanierung unseres gesamten Gebäudebestands mit heutigen Maßnahmen und Mitteln kosten würde, kommt man schnell auf die ast­ronomisch hohe Summe von 1 500 Milliarden Euro. Das ist nicht ­finanzierbar – und wir haben hierbei ja noch gar nicht über die öko­logischen Aspekte der bisher praktizierten energetischen Sanierung gesprochen. Wir brauchen andere Lösungen und Instrumente – Instrumente, die es uns ermöglichen, die angestrebten Einsparungen mit einem ausgewogenen Verhältnis von Aufwand und Wirkung (auf knapp 40 Jahre gerechnet) zu erreichen. Hierfür kommen vor allem Hausautomationssysteme (ggf. in Kombination mit niedriginvestiven Maßnahmen im Dämmbereich) infrage. Zudem müssen wir lernen, mit den vorhandenen Ressourcen anders umzugehen.

Sie fordern, dass nachhaltige Architektur fulminant aussehen kann und muss – warum?

Diese Forderung gilt nicht nur für Gebäude, sondern für die gesamte gebaute Umwelt! Ich bin grundlegend davon überzeugt, dass alles, was Architekten und Ingenieure in die gebaute Umwelt einbringen, einem hohen Gestaltungsanspruch genügen muss. Ich weigere mich deshalb schon seit meiner Studentenzeit, zwischen Zweckbauten und Nichtzweckbauten zu unterscheiden. Jedes Gebäude, jede bauliche Maßnahme − und sei es auch „nur“ eine Schallschutzmauer oder eine Unterführung − hat höchsten gestalterischen Ansprüchen zu ­genügen. Ein solcher Anspruch sollte integraler Bestandteil des ­nachhaltigen Bauens sein.

Sie arbeiten auf einem sehr hohen qualitativen Niveau mit sehr ­hohen Ansprüchen an sich selbst und die gestellte Aufgabe. Gerade für die integralen Prozesse brauchen Sie adäquate Mitstreiter auf Augenhöhe. Finden Sie genügend qualifizierte Partner?

Ich würde mir sehr viel mehr wünschen. Es gibt immer wieder Leute, die die Kraft und den Willen haben, Grenzen zu überschreiten. Es gibt zwar nur eine Handvoll davon − aber wir haben das Glück, mit vielen von ihnen arbeiten zu können. Ein gewisser Konservatismus liegt in der Natur des Bauens, denn wir müssen mit dem Vermögen der Bauherren vorsichtig umgehen. Keine Risiken eingehen, aber eine vorsichtige, kontinuierliche Weiterentwicklung suchen – das ist mein Ziel.

Was ist die Vision, an der Sie heute arbeiten?

Wir arbeiten mit voller Kraft an der Reduktion der eingesetzten Ressourcen. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Gradientenbeton, der es uns ermöglicht, bei gleicher Tragfähigkeit 30 bis 70 % an Gewicht einzusparen. Die hierdurch eingesparten CO2-Emissionen bei Produktion und Transport sind enorm. Was mir aber ebenso am Herzen liegt, ist der Komfort des Menschen. Dabei geht es um akustische, taktile und motorische Qualitäten. Ich bezeichne dies auch als nichtvisuelles Entwerfen. Ich sage meinen Mitarbeitern immer, dass man unsere Häuser mit geschlossenen Augen erkennen können muss.

Herr Prof. Sobek, Sie hatten gestern 60. Geburtstag und sicherlich Muße, auf das Erreichte und die Erfolge des eigenen Schaffens zurückzublicken. Was aber für unsere Leser gleichfalls von Interesse ist: Was wollen Sie noch erreichen, welche Ziele, welche Visionen haben Sie, was für berufliche und persönliche Wünsche hegen Sie?

Ich werde meine gesamte Kraft darauf verwenden, ein Bauen zu fördern, das ressourcenschonend und recyclinggerecht ist; ein Bauen, das minimierten Energieverbrauch und maximierte Energieerzeugung sinnvoll miteinander kombiniert; ein Bauen, das den Produktionsprozess mit dem Planungsprozess verschmilzt; und ich möchte ein Bauen fördern, das Nutzerkomfort und Nutzerakzeptanz als wichtige Prämissen miteinbezieht. Das möchte ich im Beruflichen erreichen. Privat möchte ich noch viele Wochen und Monate in den Bergen wandernd verbringen und Zeit haben zum Lesen, Malen und zum Schreiben.


Das Gespräch mit Werner Sobek führte DBZ-Chefredakteur Burkhard Fröhlich am 17. Mai 2013 in Stuttgart.

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