Schlecht bauen? Nein danke!
Ein Gespräch mit Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung Baukultur, Potsdam

Nach rund einem halben Jahr wird es Zeit, sich mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden der Bundesstiftung Baukultur, Reiner Nagel, zu treffen. Sein Vorgänger, Michael Braum, hatte am Ende ein wenig frustriert das Handtuch geworfen. Es wird nicht einfach für den Nachfolger, das ist klar. Wohin er möchte, worauf er baut und was sich hinter dem „Flair 113“ verbirgt und das er – noch nicht – keine Weisungen aus dem Bauministerium erhält, alles das war Thema des Gesprächs, das im Vorfeld der Verleihung des Deutschen Fassadenpreises für VHF im DAM stattfand. Reiner Nagel hatte hier die Festrede gehalten.

Herr Nagel, ihr Vorgänger im Amt, Michael Braum, sagte mir gerade eben noch, ich solle Ihnen Mut zusprechen für die anstehenden Aufgaben. Was könnte er damit gemeint haben?

Ach, man macht sich immer gegenseitig Mut. Der Gruß freut mich, ich gebe ihn genauso zurück.

Impliziert Michael Braum mit diesem Wunsch, dass Ihre Aufgabe so ist, dass sie kaum zu bewältigen erscheint?

Ich glaube, die Größe der Aufgabe Bundesstiftung Baukultur, braucht sicher eine zupackende, aktive und unkomplizierte Zugangsweise. Gerade weil die Baukultur vom Thema her offen ist, ein Stück weit auch vage und die Instrumente kaum gegeben sind. Insofern ist es schwierig, messbare Ziele zu erreichen. Aber da machen wir uns gerade auf, das, was als breites Themenfeld aufgerissen worden ist, stärker thematisch zu fokussieren.

Sie halten gleich eine Festrede. Hat man Sie als Manager von Baukultur eingeladen? Was hat Baukultur aber mit Fassaden zu tun?

Nun, eine Fassade ist ja auch das Gesicht, die Erscheinung eines Gebäudes im öffentlichen Raum. Und ist damit gleichsam der Träger von Baukultur. Und insofern ist es wichtig, wie die Fassade gegliedert ist, wie sie gestalterisch wirkt. Ob ich jetzt als Vorsitzender eingeladen bin … ich vermute: ja; während ich in den ersten Monaten meiner Arbeit wegen meiner Berliner und Hamburger Tätigkeiten eingeladen wurde.

Heute sprechen Sie vor einem elitären Kreis von Fachleuten: Wo sollten Sie mehr auftreten, wenn es um das Hineintragen der Diskussion in die Öffentlichkeit geht?

Zunächst einmal haben Sie meine Rede ja noch nicht gehört. Ich weiss, dass weniger der Ort als vielmehr das Medium entscheidend ist, um eine allgemeine Öffentlichkeit  zu erreichen. Das ist das Internet, das sind Zeitschriften und Magazine, die Mitgliederzeitschriften von Verbänden, Vereinen oder Unternehmen, wie dem ADAC oder der Bahn. Und man darf sich nicht zu schade zu sein, ins Fernsehen zu gehen, mit einem Baukulturformat, wenn möglich im öffentlich rechtlichen Fernsehen.

Letzteres ist aber ein Traum. Michael Braum wäre am liebsten in der BILD gewesen. Das hat auch nicht funktioniert. Wohin wollen Sie?

Interessant, dass Sie das ansprechen. Ein Kollege von Ihnen hat mich letztens zu einer Wette herausgefordert. Er wettet, dass es mir nicht gelingt, in die BILD mit meinem Thema Baukultur zu kommen. Aber warum eigentlich nicht?! Warum in der BILD keine Kolumne platzieren wie „Schlecht bauen? Nein danke!“?

Ansonsten darf man sich, bezogen auf eine breitere Öffentlichkeit, keine allzu großen Illusionen machen. Baukultur ist eben nicht das Thema, das 100 Prozent der Bevölkerung interessiert. Vielleicht erreicht man 20 Prozent, was schon sehr viel wäre!

Sollte man das Interesse an Baukultur durch Skandalisierung wecken? Wo bleibt da, neben Stuttgart21 oder Elbphilharmonie, die Masse der alltäglichen Baukultur in den Neubausiedlungen, den Gewerbegebieten, der Verkehrsplanung etc.?

Da haben Sie vielleicht recht, dass die hier angesprochenen Projekte, die Promis der Großvorhaben, wohl als eine Art Corpus Delicti verstanden und wahrgenommen werden. Aber es gibt auch andere größere Bauvorhaben, die von den Menschen gesucht und besucht werden. Was die dann in erster Linie interessiert, ist nicht die Architektur selbst, sondern deren Geschichte dahinter. Bezogen auf das weite Feld der Einfamilienhaussiedlungen müssten wir mit den Medien diskutieren, was man da überhaupt machen könnte. Denn Sie wissen es ja auch, dass wir hier über Baumarktprodukte und Fertighäuser sprechen. In der „brand eins“ [10 2013, Be. K.] gab es einen Artikel, der ist überschrieben „Deutsches Haus“. Hier kann man lesen, dass das meistgebaute Einfamilienhaus in diesem Land das „Flair 113“ ist. 1200 Häuser werden davon pro Jahr gebaut, entworfen von einem Finanzbeamten. Also, die Frage ist, wie man sich dieses Themas nähert. Noch habe ich darauf aber keine Antwort.

Man hat Ihnen schon vorgeworfen, Sie wären nicht frei genug gegenüber der großen Familie Bauverwaltung, die ja unter anderem in Form des BMVBS die Mittel der Stiftung bereit stellt. Fühlen Sie sich befangen?

Nein, auf keine Fall. Und schon gar nicht gegenüber einer Familie, denn wenn Sie genau hinschauen sehen Sie, dass ich aus mehreren Familien komme. Aus der Planungsverwaltung, der Architektenschaft, auch der der Stadtplaner und der Immobilienwirtschaft. Zuletzt war ich sogar in der Familie der Landschaftsplaner oder Naturschützer unterwegs. Ich glaube, die Kunst liegt darin, diese Familien zusammenzubringen und ein Netzwerker von Netzwerken zu sein. Sie müssen sich vor Augen halten, dass wir in Potsdam nur fünf Personen sind. Gleichzeitig sind wir Projektionsfläche für vielfältigste Erwartungen. Wir müssen uns entscheiden, ob wir mit diesem Team provozieren wollen und 90 Prozent derjenigen verlieren, die Hoffnungen mit uns verbinden, oder wollen wir das große Thema Baukultur moderieren?

Der Sitz der Stiftung in Potsdam erscheint sehr abgelegen. Werden Sie das ändern?

Gegenwärtig ist das kein Thema. Es gibt ein Gesetz zur Errichtung der Stiftung, da ist Potsdam Stiftungssitz. Ich halte den Ort ja auch nicht für ungeeignet. Als hoch frequentiertes Schaufenster dagegen schon. Wir werden uns überlegen, neben Potsdam als kontemplativem, inspiriendem Ort vielleicht in Berlin, Hamburg, München oder Frankfurt Schaufenster der Baukultur zu installieren.

Im Ganzen soll wohl mehr Pragmatismus in die Stiftungsarbeit einfließen, Stichwort „aktives Marketing für den Architekturmarkt“. Ist die Stiftung hier in einer besonderen Verantwortung?

Natürlich haben wir Interesse daran, Standortpolitik für den Architektur-, Technologie-, Baukulturstandort Deutschland zu machen. Wir halten das für wichtig, das ist ein Talent, das Deutschland hat und das wir wesentlich stärker herausstellen müssen. Die Mittel dazu kommen vom Parlament und werden über das Ministerium als sozusagen institutionelle Zuwendung ge­geben. Einen direkten Auftrag vom BMVBS oder anderen, wie schon mal unterstellt wurde, habe ich bisher nicht bekommen. Im Gegenteil, meine Position durch einstimmige Ernennung lässt mir den Spielraum, den ich für eine gute Arbeit beanspruche. Es ist also nicht so, dass ich Aufträge erhalte. Gegenwärtig jedenfalls nicht.

Dass der Stiftungsrat überwiegend mit Vertretern aus der Politik besetzt ist, beeinflusst Ihre Arbeit nicht?

Aber nein, das ist doch günstig. Mein Vortrags- und Vorlagerecht gegenüber Stiftungsrat, Parlament und Kabinett, das ist Gold wert. Da schätzten sich viele glücklich, wenn sie das könnten. Wir machen das.

Gibt es etwas in der Arbeit Ihres Vorgängers, worauf Sie aufbauen?

Also was sich bewährt hat ist das Regionalisieren von baukulturellen Initiativen, Stichwort Netzwerk Baukultur. Auch das Zusammenbringen von unterschiedlichen Berufsgruppen mit Exkursionen vor Ort, Baukultour, wie auch die anschließenden Diskussionen mit allen Beteiligten am Objekt macht effektive Werbung für unser Thema.

Die Frage ist, ob wir das auch zukünftig ressourcenmäßig leisten können.

Stichwort Ressourcen: Sie haben weniger Geld zur Verfügung?

Nein, der jährliche Etat ist gleich geblieben, 1,25 Mio. €. Ich halte diese öffentliche(Grund-)Finanzierung einer Bundesstiftung bezogen auf die öffentliche Aufgabe Baukultur auch für gerechtfertigt. Wir haben aber auch den Auftrag und das ist auf der Zielebene angekommen, privates Kapital zu generieren. Also finanziell sehe ich nicht schwarz.

Letzte, unernste oder doch sehr ernste Frage: Wenn Sie König von Deutschland wären, was wäre Ihr erstes Dekret zur Baukultur?

Das würde sich an das alltägliche Bauen wenden. Ich hab‘s noch nicht im Dekret-Text (lacht), aber wenn Sie sehen, dass es in Frankreich seit 1977 das Architektengesetz gibt, das besagt, dass jedes Bauvorhaben über 170 m² durch Architekten gestaltet werden muss, dann ginge das wohl in die Richtung. Was auch bedeutete, dass Architekten, Ingenieure und Fachplaner mehr Verantwortung übernehmen müssten. Für das Gelungene aber auch das Misslungene.

Mit dem Vorstandsvorsitzenden Reiner Nagel sprach DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 7. November 2013 im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt a. M.

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