Mutiges Face-Lifting
Jugendzentrum Open in Norwich/UK

Im britischen Norwich haben Hudson Architects ein denkmalgeschütztes ehemaliges Bankhaus zu einem multifunktionalen Jugendzentrum umgenutzt. Die ­neobarocke Architektur der früheren Schalterhalle wurde dabei durch flexible Einbauten, kontrastreiche Farben und mutig verspielte Details ergänzt.

Bankhäuser werden of oft als „Kathedralen der Neuzeit“ bezeichnet. Die Analogie schafft nicht nur ein passendes Bild für die immer größer werdende Macht der Geldinstitute, sondern verweist auch auf die architektonischen Parallelen von Bankgebäuden und Gotteshäusern seit dem 19. Jahrhundert. Ein Beispiel dafür ist das 1929 nach Plänen des Architekturbüros Edward Boardman & Son errichtete Gebäude der Barclays Bank im historischen Innenstadtzentrum der rund 170 000 Einwohner zählenden Stadt Norwich. Die im Inneren des Komplexes integrierte, rund 50 m lange, 20 m breite und 18 m hohe Schalterhalle war seinerzeit als größte ihrer Art in England errichtet worden. Ihre repräsentative Architektur im neobarocken Stil mit imposantem Tonnengewölbe, mächtigen Säulen, elegantem Rund­chor und kunstvoll verzierten Stuckdecken erinnert dabei weit eher an einen Sakralbau als an eine profane Nutzung.

Seit Mitte der 1990er-Jahre entsprach das Gebäude nicht mehr den betrieblichen Anforderungen der Bank, so dass der denkmalgeschützte Bau leer stand. Nach rund zehnjähriger Nutzungsunterbrechung wurde er als multifunktionales Jugendzentrum Open mit einer Nutzfläche von 3 300 m² neu eröffnet. Das Konzept des Zentrums verbindet soziale Angebote im privaten, schulischen, beruflichen und medizinischen Bereich – von der Hausaufgabenbetreuung über die Lehrstellensuche bis zur Drogenberatung – mit einem umfangreichen Freizeitangebot, darunter ein Live-Konzertsaal und die landesweit erste alkoholfreie Diskothek für Jugendliche unter 18 Jahren.


Von der Schalterhalle zum Live-Konzertsaal

Das Projekt geht zurück auf die Initiative des 2004 gegründeten Open Youth Trust. In enger Zusammenarbeit mit der Stadt und der Denkmalschutzbehörde war es dem Verein gelungen, das leerstehende Bankgebäude zu erwerben. Aus einem begrenzten Wettbewerb ging das Architekturbüro Hudson Architects als Sieger hervor.

„Mit ihrer imposanten Architektur strahlte die alte Schalterhalle trotz ihres dringend renovierungsbedürftigen Zustands eine beinahe sakrale Präsenz aus“, beschreibt Architekt Anthony Hudson seinen ersten Eindruck. „Um das ursprünglich vor allem repräsentativ genutzte Gebäude in ein hochfrequentiertes Jugendzentrum umzuwandeln, haben wir uns entschieden, den einstigen Glanz der Halle hervorzuheben und durch betont moderne Einbauten sowie eine kraftvolle Farb- und Lichtgestaltung zu ergänzen und zu kontrastieren.“ Die vorhandene Grundrissstruktur des V-förmig angelegten Komplexes sowie seine neobarocke Außenhülle blieben dagegen weitgehend unangetastet.

Als wichtigster Eingriff in die behutsam sanierte Bausubstanz der alten Schalterhalle wurden sämtliche Einbau­ten entfernt und stattdessen eine 9 x 12 m große Ebene als Stahlträgerkonstruktion sowie ein überdimensionaler Tisch eingestellt. Die mit goldeloxiertem Metallgitter verkleidete Zuschauerplattform bietet einen Panoramablick auf die im Chor angrenzende Bühne und lässt dabei die eindrucksvolle Architektur der jetzt für Großveranstaltungen genutzten Halle erlebbar werden. Darüber hinaus integriert sie eine Ausstellungsfläche, ein Café, sowie mehrere Arbeitsräume und fungiert gleichzeitig als Erschließung der angrenzenden Emporen. Direkt neben der Plattform schließt sich eine Folge kleiner Räume an, die durch mobile Trennwände abgegrenzt werden. „Bei größeren Veranstaltungen oder Konzerten kann die Halle so flexibel auf eine Kapazität von bis zu 1 450 Besuchern erweitert werden“, so Anthony Hudson.

Das Gewicht der eingestellten Stahlkonstruktion wird durch einen rund 450 mm starken Betonboden aufgefangen. Um die horizontalen Lasten abzutragen, wurde die Plattform mit Stahlankern direkt an der bestehenden Tragstruktur der Halle aufgehängt. „Bei einer eventuell geänderten Nutzung lässt sie sich aber ohne großen Aufwand und ohne Beschädigungen an der vorhandenen Bausub­stanz wieder entfernen“, versichert Anthony Hudson. Oberhalb der Plattform wurde eine frei schwebende Konstruktion aus schlangenartig aneinandergefügten Dreiecks­prismen mit integrierten Lautsprecherboxen von der Decke abgehängt, die für eine optimale Akustik und eine theatralische Effektbeleuchtung bei Live-Auftritten sorgt. Parallel dazu wurde im gesamten Gebäude eine neue Haustechnik mit Lüftung, Heizung und Kühlung eingebaut.


Multifunktionale Nutzung

Auch in den an die Schalterhalle angrenzen­den Bereichen des Gebäudekomplexes wurde die Grundrissstruk­tur weitgehend beibehalten. Die Decken wurden an zwei Stellen geöffnet, ein neues Oberlicht eingesetzt, zusätzliche Treppenaufgänge geschaffen, Raumelemente eingefügt und drei neue Zugänge integriert, um einen eigenständigen und flexiblen Betrieb der unterschiedlichen Funktionen zu ermöglichen. Im westlich an die Halle angrenzenden Gebäudeflügel sowie im Bereich des neuen Haupteingangs wurden auf drei Ebenen ein Tonstudio, Büros – sowie ein Gesundheitszentrum eingerichtet. Im Bereich des „Chorumgangs“ schließen sich extern vermietbare Konferenz- und Büroräume an.

Im Kern des Gebäudes, wo sich bis in die 1950er-Jahre hinein ein Innenhof befand, wurde im Zuge des Umbaus eine Diskothek für bis zu 450 Besucher integriert. Direkt daneben haben die Planer die ­Decken geöffnet, um völlig überraschend eine senkrechte Kletterwand bis unters Dach hinauf steigen zu lassen. Im ersten Obergeschoss führt die Wand vorbei an einer Cafeteria nebst Lehrküche und angrenzendem doppelgeschossigen Atrium. Im zweiten Obergeschoss stößt sie bis zum Computerlehrraum empor, wo das neue Oberlicht ausreichend Tages­licht­einfall ermöglicht. Nebenan stehen den Jugendlichen außerdem ein Tanzstudio und ein Lesebereich zur Verfügung.

Um den lebendigen Charakter und die moderne Ausrichtung des Open zu betonen, haben die Architekten in sämtlichen Bereichen des Gebäudes ein spielerisches und kontrastvolles Gestaltungskonzept verfolgt. In der Haupthalle schaffen die tiefrot gestalteten Fassaden des Mittelschiffs sowie die sphärische ultramarinblaue Beleuchtung einen edlen Rahmen für die ansonsten weiß gehaltene ­Architektur. In den übrigen Räumen trifft der Blick auf Wände in unterschiedlichen Farbtönen, auf mintgrüne Linolböden, auf die knallbunten Haltegriffe der Kletterwand oder auf rot geflieste und mit bunten Türen ausgestattete Toiletten. Komplettiert wird das Gestaltungskonzept durch mutig ausgewählte Designmöbel. Als coole Sitzgelegenheit und um lässig und in aller Ruhe das stilvoll in Szene gesetzte Ambiente der alten Schalterhalle zu bestaunen.­­


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