Man hört es beinahe singen
Kunstmuseum Ravensburg, Ravensburg

Manches Motto kann man irgendwann nicht mehr hören. „Erst kommt die Stadt, dann das Haus“ zum Beispiel, mit welchem LRO viele ihrer Projekte angehen. Vielleicht möchte man es nicht mehr hören, weil es so richtig ist – und in dem Städtchen Ravensburg einmal mehr mit äußerst schöner Praktikabilität umgesetzt wurde.

Als ich mich mit Arno Lederer in Ravensburg zur Projektbesichtigung traf, war das Wetter bestes Museumswetter: kalter Wind, grauer Himmel und immer wieder ein paar Tropfen, die aufs alte Pflaster fielen. Drinnen, im gerade eröffneten Kunstmuseum Ravensburg, war es wie in den meisten deutschen Museen zu dieser Tageszeit dennoch leer. Die Mitarbeiter warteten auf eine Schulklasse, die während unseres Rundgangs dann lautstark die Kunstsammlung Selinka stürmte, eine hochklassige Privatsammlung mit rund 230 Arbeiten aus dem deutschen Expressionismus sowie der Gruppen Cobra und Spur. Das Ehepaar Selinka, Unternehmer und Kunstsammler, hat vor Jahren schon der Stadt Ravensburg ihre Sammlung für 30 Jahre überlassen.

30 Jahre zahlen die Ravensburger auch Miete für den Neubau, der neben der qualitätvollen Sammlung noch ein Schmankerl anzubieten hat, dem im aktuellen Stadtmanagement Zugkraft zugesprochen wird: das Label „Passivhaus“. Das in einer möglichen Unterzeile mit „erstes Passivhaus-Museum“ noch verstärkt wird. Zertifiziert ist das Ganze, 15 kWh/m²a ist der Kennwert, mit welchem die Stadt im schönen Ravensburger Land nahe dem Bodensee an die Öffentlichkeit geht.

Zu verdanken haben die Ravensburger den Passivhaus-Standard für ihr Mietmuseum in erster Linie dem nahe ansässigen Bauunternehmen und in diesem Falle auch Bauherren, den Reisch Brüdern Georg und Andreas. Beiden ist nach eigener Auskunft daran gelegen, als Unternehmer Visitenkarten zu produzieren, die imagebildend wirken, ein Kunst-Museum in Passivhaus-Standard gehört da ganz sicher dazu.

Städtebau

„Erst kommt die Stadt, dann das Haus.“ Da ist es wieder. Und mit Blick auf den Neubau an der Burgstraße erscheint dieser Leitsatz sehr einleuchtend. Von größeren Verheerungen glücklich verschont, hat die mittelalterliche Reichsstadt Ravensburg eine gewachsene Homogenität, die in dieser Echtheit selten ist in Deutschland. Der Bauplatz befindet sich unterhalb der Burg, aber innerhalb des alten Befes-
tigungswalls. Im Winkel der Burgstraße, in der südwestlichen Ecke eines ehemaligen Gewerbeviertels, das jetzt zum Museumsviertel mit Wohnen umgebaut wird, schließt das neue Volumen im Osten mit feiner Naht an das alte Wohnhaus der Handelsfamilie Möttelin an, in dem seit zwei Jahren das Museum Ravensburger untergebracht ist. Im Norden lagert unterschiedliche große Bebauung auf fast der ganzen Längsseite an.

Die Fassade nach Süden, eine Klinkerfassade mit altem Klinker, war im Wettbewerbsentwurf noch in Teilen großformatig geöffnet, Blick auf den „Mehlsack“, einen alten runden Turm der Stadt, und die Burg. Doch hätten die beiden Fenster im 1. und 2. OG die ohnehin kleine Ausstellungsfläche um ein weiteres reduziert. Jetzt wird die Fassade mit ihrem bunten Klinkerkleid und den dezenten Kupferstreifen (Fensterrahmen, Fallrohre als offene Schächte) insbesonders durch den Versatz auf der Fläche gegliedert, in welchem sich das Treppenhaus befindet. Die regelmäßig gesetzten Fenster haben beinahe Schießschartenformat, wie überhaupt die Wand eher eine Mauer ist, eine Stadtmauer.

Auffällig ist neben den Dachschwüngen hinter der Attika der Überstand des Volumens mit 1. und 2. OG in den Straßenraum. Hier haben die Architekten den dem Straßenverlauf geschuldeten Rücksprung der Fassade im EG ignoriert und die beiden Grundrisse der Ausstellungsebenen rektangulär belassen. Der so gebildete Überhang rahmt den Blick auf den „Mehlsack“ und ist von der unteren Burgstraße aus ein Hinweis darauf, dass hier Neues gebaut wurde.

Zu erwähnen ist noch, dass die Architekten den Bau soweit von der Straße zurücksetzten, dass man vor ihm einen auch für Ravensburg typischen Vorhof bilden konnte. Der wird vor dem Eingang – ganz in Kupfer – durch eine überdachte, gewinkelte Sitzbank aus Beton geschlossen, die zum Bürgersteig hin durch eine transparent/transluzente Abkleidung aus senkrecht stehenden Glaslamellen getrennt ist. Die hier erreichte Intimität ist überraschend angesichts des regen (Auto)Verkehrs, der die gepflasterte Burgstraße belebt.

Konstruktion/Wand/Dach

Gemessen am Passivhaus-Label ist der Bau von unspektakulärer Art: Ortbeton, 2-schaliges Mauerwerk mit zwischenliegender Dämmung (240 mm). Die Schalen bestehen aus 115 mm Altziegel außen und der 250-er Stahlbetonwand. Im Museum sieht man unverkleidete Beton-oberflächen, meist weiß gestrichen. Spektakulär dann aber doch die Dachkonstruktion. Hier wurde die Dachgrundfläche in jeweils entgegengesetzt trapezförmige Abschnitte unterteilt, über denen kegelstumpfförmige Ziegelgewölbe in Anlehnung an Preußische Kappendecken gebaut wurden. Auf eine hölzerne Schalung wurden hierbei mit Abstandshölzern die Ziegel gelegt, vermörtelt und anschließend mit 150 mm Aufbeton belastet. Die 300 mm Dämmung darauf wurde 2-lagig bituminös abgedichtet. Der Beton hat allein die Aufgabe, den nötigen Druck auf die Ziegelschale auszuüben, denn erst dieser ermöglicht den sicheren Stand der schon jahrhunderte alten Konstruktionsweise. Die wechselnde Anordnung der Gewölbe erzeugt dann den Groß-/Klein-/Groß-/Klein-/etc.-Wellenlauf oberhalb der Attika.

Nachhaltigkeit

Was genau jetzt an dem Passivhaus-Museum nachhaltig ist, dazu äußert sich Arno Lederer  im folgenden Interview. Soviel sei verraten: Es ist anders, als man denkt!

Was, neben dem geringen Energieverbrauch, zum Schlagwort passt, ist natürlich die Wiederverwendung von alten Ziegeln, die leider aus dem entfernten Belgien geholt werden mussten und sicherlich nicht energiesparsam aufbereitet wurden. Nachhaltig ist aber die Energieversorgung insgesamt. Erdwärme, welche über ein ausgedehntes Sondenfeld unter dem Museumsviertel für alle hier gewonnen wird kommt über einen Wärme-/Kühlkreislauf ins Haus. Bodenauslässe geben die temperierte Luft in die Räume, unsichtbare Absaugstutzen in der Beleuchtung bringen sie wieder hinaus (Zahlen zum „Energiekonzept“ siehe unten). Vielleicht sollte man über alle technischen Selbstverständlichkeiten hinaus noch erwähnen, dass die Zweischaligkeit für das Erreichen des Passivhausstandards so vorteilhaft nicht war, hier haben die Techniker von Herz und Lang, Schongau, lange am Wärmebrückenproblem der Anker und Konsolen gearbeitet; mit dem Ergebnis, den Stahlanteil des Systems möglichst in Richtung Null zu verringern.

Dass die Zweischaligkeit, die rein aus Kostengründen und dem Anspruch an möglichst große Flächen nötig ist, auch unschöne Dehnungsfugen in das feine Altklinkerbild einschreibt, lässt dem Sehenden den Blick auf das Neue hinter dem scheinbar Alten. Aber manchmal wünscht man sich doch – zumindest bei solchen Gewölbedecken und kecken Halbrunden an den Längsseitenenden, die wie die aufgestellten Ohren eines aufmerksam lauschenden Tieres erscheinen – dass das Neue in neuer Form aber mit authen­tischer Patina dort einen Ort bildet, der vielleicht ein paar Jahrzehnte den Atem angehalten hat, nun aber wieder ausatmen möchte; Geschichte neu weitergeschrieben.

Dass dem Museum während oder direkt nach dem Gespräch mit Arno Lederer in Ravensburg der Deutsche Architekturpreis 2013 verliehen wurde, zeigt, dass LRO auf dem richtigen Weg sind. Oder genauer, dass das Büro erkannt hat, auf was es ankommt, wenn man Schönheit mit Nachhaltigkeit, Kon­tinuität mit Zeitgenossenschaft, ökonomische Vernunft mit Weitsicht verbindet. Dazu nachträglich Glückwünsche! Be. K.

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