Kühne Technologie – Tragende Fassadenelemente aus Sichtbeton
Im Bremer Stadtzentrum ließ sich das Logistikunternehmen Kühne + Nagel ein neues Bürogebäude errichten. Die Elemente der tragenden Architekturbetonfassade reichen jeweils über zwei Geschosse.
Architektur
Projekthistorie
Bei dem Projekt lag bereits in der Entwicklungsphase der Fokus auf einer lastabtragenden Fassadenkonstruktion, da die beengten Grundstücksverhältnisse einerseits und die gewünschte Fassadenarchitektur andererseits kaum wirtschaftliche Alternativen zuließen. Seitens der Tragwerksplanung bestanden jedoch noch erhebliche Bedenken hinsichtlich der geplanten Gebäudehöhe von 40 m bei elf Geschossen und der damit verbundenen thermischen Beanspruchung. Diese verursacht eine Längenveränderung von ca. 2,5 cm (bei Δ = 60 °C) in der Höhe, die durch die Rohbaukonstruktion ohne Zwängungsschäden aufgenommen werden muss.
Dabei sind im Wesentlichen folgende Faktoren von außerordentlicher Bedeutung:
– Berücksichtigung eines längenausdehnenden Außenfassadenbereichs gegenüber den Innenkernbereichen (Deckenzwängungen)
– konsequenter Wegfall jeder zweiten Außenstütze zur Verhinderung von Singularitätsproblemen aufgrund des sehr engen Achsabstands von 1,35 m (jede zweite Stütze mit 0-Funktion)
– Berücksichtigung von Außermittigkeiten aufgrund der Decken-Iso-Korb-Anschlüsse (Stützenbiegung!!)
– Berücksichtigung der Iso-Korb-Lasteinleitung in die Rohbaudecken (Lastaufhängungen mit „Spalt-Zug“-Problem)
– Statisch sind die Stapelfugen als Gelenke angelegt. Sie werden mit Horizontallasten beansprucht infolge der außermittigen Stützen. Es sind Mörtelfugen ohne eine weitere Stahlertüchtigung ausgeführt worden.
– Berücksichtigung von Tragstrukturen im Erdgeschoss, die einer kontinuierlichen Lastabtragung der Fassadenstützen aus den oberen Geschossen entgegenstanden
– Lastumleitungen aus den oberen Geschossen mit rahmenartigem Tragsystem aus Fertigteilelementen aufgrund fehlender Lastabtragung im Erdgeschoss
Statisches System der Fassade
Es wurden vorgefertigte, zweigeschossige Fassadenelemente (π-Elemente) mit den Hauptabmessungen von 2,30 x 7,50 m über Mörtelfugen übereinander gestapelt. Die Decken werden über Iso-Körbe angeschlossen. Die Horizontalkräfte infolge der Außermittigkeiten der Lasteinleitung aus den Stützen werden in den Koppelfugen über Dornverbindungen abgeleitet bzw. in die Deckenscheiben zurückgehängt. Eine besondere Herausforderung ergab sich im Erdgeschoss. Bei den Außenstützen waren hohe Anpralllasten aus den öffentlichen Verkehrsbereichen zu berücksichtigen, weshalb diese in der Aufstellfuge rückzuverankern waren.
Alle verwendeten Iso-Körbe zur Deckenlastabtragung bestehen aus Sonderbauteilen, die im Einzelnachweisverfahren statisch entwickelt wurden. Die vorhandenen, zugelassenen Systemlösungen konnten nicht verwendet werden, da zu hohe Lasten mit bis zu 500 − 820 KN (VRD) eingeleitet werden mussten. Darüber hinaus mussten die Iso-Körbe geometrische Ansprüche erfüllen, die über die Abmessungen der Architekturbetonstütze vorgegeben waren. Hierbei mussten auch die Außen- und Inneneckenstützen mit unterschiedlich geringen Anschlussflächen beachtet werden. Gleichzeitig mussten die thermischen Trennungen (Iso-Körbe) und die in der Gebäudehöhe wirkende thermische Beanspruchung von Δ t = 60 °C in der Fassade und deren Berechnung Berücksichtigung finden. Nicht unerwähnt bleiben sollten die Montageabhängigkeiten der Fassadenelemente von den Ortbetonbereichen (Decken und Innenkern). Die zweigeschossigen Fassadenelemente gaben den Takt vor, mussten aber im Montagezustand aufwendig gesichert bzw. abgestützt werden. Daraus ergaben sich hochkomplexe Anschlusspunkte der Iso-Korb-Einbindungen bzw. Rückverankerungen in den Deckenbereichen.
Nur durch das positive Zusammenspiel von Fassadenplaner und Statiker, technischem Büro des Iso-Korb-Lieferanten und Prüfingenieur ist es dem Team gelungen, gemeinsam eine gebrauchstaugliche Gesamtlösung zu entwickeln.
Herstellung der Fassadenelemente im Fertigteilwerk
Aufgrund der wechselnd angeordneten Stützenquerschnitte über die gesamte Gebäudehöhe bestand ein extrem hoher Schalungsaufwand, bei dem nicht nur die Standardstützen, sondern auch die außen- und innenliegenden Stützen berücksichtigt werden mussten. Gefertigt wurden alle Fassadenelemente mit einem Beton C50/60, der auf Weißzementbasis mit beigefarbenem Farbzuschlag und gelb/ockerfarbenem Körnungsmaterial hergestellt wurde. Die Oberflächen der sandsteinfarbenen Elemente wurden werkseitig leicht gesäuert ausgeführt und erhielten – ebenfalls werkseitig – einen Oberflächenschutz (Hydrophobierung/Graffitischutz). Das Handling im FT-Werk aufgrund interner Transporte, Lagerungen und Oberflächenbehandlung erforderte einen hohen Anspruch an die Anschlagsysteme, um folgende Bedingungen zu erfüllen:
– Ausheben aus der Schalung
– Transportsicherung der schwachen Achse
– Drehvorgänge im Werk
– Vorbereitung für Transport und Übernahme auf der Baustelle
– Unwuchtigkeiten infolge ungünstiger Schwerpunktverhältnisse
Montage auf der Baustelle
Aufgrund der geometrischen Vorgabewerte und der o. g. Montageanforderung mussten diverse Punkte berücksichtigt bzw. in Montageanweisungen festgelegt werden:
– Drehvorgänge der FT-Elemente beim Abladeprozess in der Luft erforderten eine besondere Aufstelllogistik (liegender Transport)
– Montageprobleme infolge noch nicht betonierter Deckenränder (jede zweite Stütze trägt) und Doppelgeschossigkeit
– extreme Montagelastfälle bei fehlenden Stützen im EG (Eckbereiche) mit Stahl-Sonderkonstruktionen
– Montagelastfälle in Bereichen mit Scheiben- und Rahmenausbildungen in der Fassade oberhalb der Erdgeschoss-Abfangebene
Nur aufgrund der Erfahrung des Montageteams konnte die Fassade ohne nennenswerte Komplikationen montiert werden. Trotz der robusten Montageverhältnisse hielten sich Havarieschäden in Grenzen und konnten mit der üblichen Betonkosmetik beseitigt werden.
Fazit
Projektdaten
Objekt: August-Kühne-Haus, Bremen
Bauherr: Kühne + Nagel AG, Bremen
Architekten: MPP Meding -Plan + Projekt GmbH, Hamburg
Fassadenplanung: Planungsbüro Bade, Isernhagen
FT-Herstellwerk: BWE-Bau Fertigteilwerk GmbH, Lemwerder
Iso-Korb-Technik: Max Frank GmbH & Co. KG, Leiblfing
Der Beitrag wurde bereits veröffentlicht im Jahrbuch Beton Bauteile 2021, Edition BFT, 2020 Bauverlag GmbH, ISBN 978-3-7625-3692-5, Seite 111ff.