Kommunikation auf allen Ebenen
Hauptsitz von Schlaich Bergermann und Partner, Stuttgart

Zu den Besonderheiten des Ingenieurbüros Schlaich Bergermann und Partner zählen nicht nur die weltweit gemeinsam mit renommierten Architekten realisierten Gebäude, die Dependancen in Berlin, New York, São Paulo und Shanghai oder die Pionierarbeit auf dem Gebiet der Solarthermie. Charakteristisch ist seit jeher eine besondere Büroatmosphäre, die geprägt ist von Teamgeist, flachen Hierarchien, Offenheit und interdisziplinärer Zusammenarbeit unterschiedlichster Professionen: Ingenieure, Maschinenbauer, Luft- und Raumfahrttechniker, Mathematiker, Physiker und Elektrotechniker.

Auf der langen Suche nach einem geeigneten neuen Büro stießen die Ingenieure auf eine nahegelegene Mietimmobilie: ein schlichtes, an einer belebten Straßenkreuzung situiertes Bürogebäude aus den 1970er-Jahren, das über einem Supermarkt im Erdgeschoss ein großes „Sockelgeschoss“ sowie fünf weitere, kleinere Obergeschosse zur alleinigen Nutzung bot. Der Gebäudeeigentümer hatte bereits mit der Planung einzelner Nutzungseinheiten, der Erneuerung der technischen Infrastruktur sowie der Fassaden begonnen, als der Mietvertrag abgeschlossen wurde. Dieser Umstand erklärt die unverkennbare Diskrepanz zwischen dem eher kühlen und tektonisch eindimensionalen Äußeren und der von der Stuttgarter Ippolito Fleitz Group eher hellen und feinsinnigen Innenarchitektur voller überraschender Details.


Repräsentation ohne Allüren

Besucher betreten den neue Hauptsitz über einen Treppenaufgang mit scheinbar schwebenden Stufen aus seitlich an dünnen Stahlwangen angeschweißten Stahlplatten, der gleichsam als Reminiszenz an die leichten und filigranen Konstruktionen der Ingenieure gelesen werden kann. Im 1. Obergeschoss angekommen, blickt man in einen großzügigen Innenraum, der gleichsam das pulsierende Zentrum des Büros bildet. Auf der einen Seite der durch einen Teppichbelag und Decken-Leuchtbänder markierten Haupterschließungsachse befinden sich entlang der Fassaden Empfang, ein kleiner Ausstellungsbereich mit aktuellen Projektmodellen und – jeweils hinter raumhoher Verglasung – die Büros der Administration und der Teamassistenten sowie einige unterschiedlich große, verglaste Besprechungsräume. Hinter einem Glasregal mit unzähligen Auszeichnungen und Preisen öffnet sich der Raum auf der anderen Seite zu einem Kommunikationsbereich mit vielfältigen Sitzmöglichkeiten hin zu einer großen Dachterrasse. Hier werden Kunden empfangen, formelle und informelle Gespräche geführt, hier finden spontane Besprechungen, die gemeinsame Frühstückspause und die allwöchentlichen Büroversammlungen statt, wird gemeinsam zu Mittag gegessen, Kaffee getrunken oder am Abend gefeiert. Gearbeitet wird – hiervon und von Besuchern völlig unbehelligt – in den fünf Obergeschossen.

 

Funktionale und gestalterische Vitalität

Im räumlichen Zentrum dieses durchlässigen Raumkontinuums im Sockelgeschoss stehen zwei große Esstische mit insgesamt 24 Sitzplätzen, platziert auf Teppichfliesen in unterschiedlichen Grau- und Brauntönen und unter einem abgehängten Deckenfeld aus weißem Akustikputz. Daneben schiebt sich ein Stehtisch – gleichsam als visuelle Barriere – vor einige kleinere Einzeltische, die durch neongelbe Ovale auf dem Boden und eine weiße Lichtdecke unmittelbar an der Fassade zur Dachterrasse zusammengefasst werden. Seitlich befindet sich zum einen die durch eine große Schiebewand (etwa bei Veranstaltungen) völlig abschließbare Küche in dunklen Holzoberflächen. Auf der anderen Seite liegt eine kleine, sich zur Terrasse öffnende Besprechungsinsel mit halbhoher Polsterung. Platz für bis zu zwölf Personen bietet dagegen der Meetingbereich zwischen Besprechungsinsel, ausladendem Bücherregal, einigen Ohrensesseln, diversen Beistelltischen und der eingangs erwähnten Erschließungsachse. Dieser Meetingbereich ist durch ein weiteres Lichtfeld an der Decke, transparente Gitterstoffvorhänge, einen tiefblauen Tisch und rosafarbenen Teppich zwar klar gefasst, aber dennoch eng mit dem Raumgeschehen verknüpft.


Raum gewordene Bürophilosophie

Dass dieser Reigen aus unterschiedlichen Formen, Materialien, Oberflächen und Nutzungen am Ende nicht an einen tumben Messestand mit lediglich nebeneinander abgestellten Möbeln erinnert, hat vor allem zwei Gründe. Erstens ist die in zurückhaltenden weißen und grauen Grundtönen gehaltene Fläche strukturell sehr klar ausgebildet. So bilden ein Bodenbelag aus dunkelgrauem, mineralisch beschichtetem Estrich sowie eine akustisch wirksame Aluminium-Rasterdecke den selbstverständlichen gestalterischen Hintergrund für gezielt gesetzte, wohlproportionierte Farb- und Formakzente. Zweitens, und das ist weitaus wichtiger, werden all die kommunikativen Angebote tatsächlich wie vorgesehen genutzt. Doch selbst wenn der intensive Austausch seit jeher zur Bürophilosophie gehört und die Mitarbeiter in die Planung einbezogen wurden – für die hohe Frequentierung dieses Bereich existieren auch ganz pragmatische Gründe. Beispielsweise gibt es in den fünf Obergeschossen keine Teeküchen mit Sitzplätzen, sondern ganz bewusst nur kleine Nischen mit Wasserspender, Wasserkocher und gewöhnlicher Kaffeemaschine.


Kommunikative Konzentration

Die Bürogeschosse mit jeweils rund 25 Arbeitsplätzen folgen grundsätzlich der gleichen Grammatik, die gemäß der Anforderungen der Arbeitsteams (und nicht etwa hierarchischer Strukturen) sowie der vorgegebenen mittigen Stützenreihen in jeder Etage zu sehr ähnlichen, aber nie zu identischen Raumkonfigurationen führt. In unterschiedlichen Anteilen und an unterschiedlichen Positionen wechseln sich von raumhohen Glaswänden umschlossene Zellenbüros mit Open Space Bereichen ab, und bilden zusammen mit freistehenden Stehbesprechungsmöbeln und gefalteten Glaswandelementen eine sorgfältig zonierte Bürolandschaft. Atmosphärisch ist diese von der aus dem Sockelgeschoss bekannten Zurückhaltung der Hintergrundgestaltung geprägt: Über einem durchlaufenden braunen Teppich dominieren schwarze Tischgestelle, weiße Tischplatten und kreuzförmige, in die Stützen integrierte Möbeleinheiten. Diese bieten Stauräume, magnetische Oberflächen für Präsentationen, eignen sich aber auch als Stehtische, Sichtschutz, visuelle und akustische Abschirmung, und stehen durch ihre großen seitlichen Auskragungen zugleich symbolhaft für ingenieursmäßige Konstruktionen. Alle Elemente zusammen sorgen gemeinsam mit der die Bewegungsflächen der Mittelzone nachzeichnenden Aluminium-Rasterdecke für eine gleichermaßen ruhige, konzentrierte und lebendige Arbeitsumgebung, in der seit einem Jahr ein Großteil der weltbekannten Projekte von schlaich bergermann und partner entstehen.


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