Integrieren statt kaschieren
Fensterfabrik G. Baumgartner, Hagendorn/CH

Industriegebiet - der Begriff lässt Bilder von langen Blech­fassaden, riesigen Asphaltflächen und brachem Zwischenland vor dem inneren Auge erscheinen. Wird ein neues Industriegebiet ausgeschrieben, ist die Landschaft meist abgeschrieben. Dass es anders geht, zeigen die Architekten Graber und Steiger. Sie entwickelten eine Werkshalle gleichermaßen aus der wie für die Landschaft.


Die Fensterfabrik G. Baumgartner, ein Familienunternehmen, liegt im schweizerischen Hagendorn, einem Dorf nördlich des Zuger Sees. Als die Firma ihr Werksgelände um eine Montagehalle erweitern wollte, war ein Eingriff in die umgebende Landschaft unumgänglich. Das jedoch sollte auf sensible Weise geschehen, so wollten es die strengen Auflagen der Gemeinde, aber auch die Unternehmerfamilie selbst: Sie lud vier Architekturbüros zu einem Wettbewerb. Der Entwurf von Graber und Steiger überzeugte durch seinen Umgang mit der Landschaft. Niklaus Graber erklärt: „Wir haben die Architektur im Dialog mit der Landschaft und nicht mit der Siedlungsstruktur gesehen.“


Landschaft und Energie

Die Architekten errichteten einen Pavillonbau, der sich dem landschaftlichen Maßstab anpasst: „Wir haben die umgebenden Naturelemente auf die Architektur übertragen. Nicht vordergründig, sondern abstrakt, in ihrer Dimension, Proportion und Höhe. Es geht nicht ums Tarnen und Kaschieren des Neugebauten, sondern um seine selbstverständliche Integration in die Landschaft.“ Die Naturelemente, das sind Felder, Hecken, Baumreihen und Wälder, hier und da kleine Tümpel und weite Ausblicke. Als ebensolche Landschaft strukturierten die Architekten die Halle, die von oben gesehen selbst wie ein großes Feld erscheint. Vegetationswände umschließen den Pavillon, lückenhaft und von Wasserbecken unterbrochen, damit der Blick aus dem Areal in die Landschaft schweifen kann. Auf der 1,6 ha großen Dachfläche wächst eine Pfeiffengraswiese als Erweiterung des Landschaftraumes. Sie gleicht nicht nur den Flächenverbrauch der Halle aus, sondern übernimmt auch klimatische Funktionen: Der weite Dachüberstand dient als Sonnenschutz und die Begrünung wirkt Temperatur regulierend auf den Innenraum. Dementsprechend ist der Energieaufwand für die Klimatisierung der Halle niedrig: Die Abwärme der Maschinen und die Verfeuerung von Restholzspänen aus der Fensterproduktion reichen als Energiequelle zum winterlichen Heizen aus. Im Sommer hält eine einfache Nachtauskühlung die Innenraumtemperatur unter 24° C. Im Bürotrakt setzen die Architekten thermisch aktivierte Beton-Deckenplatten ein, die ihre gleichmäßige Temperierung dem Grundwasser verdanken.

Tragwerk und Licht

Das Gründach stellt für das Stahltragwerk eine erhebliche Belastung dar: Zum Gewicht des 12 cm hohen Pflanzsubstrates, eine Mischung aus Ziegelschrot und Erde aus dem Aushub, kommt das Gewicht des darin gespeicherten Wassers. Dennoch realisierten die Architekten ein weites Stützenraster mit 26 m Spannweite.

Möglich machen das hohe Fachwerkunterzüge, die sogar 14 m über die Fassade auskragen und die Anlieferung zwischen Vegetationswand und Pavillon überdachen. „Um das enorme Gewicht ohne Vergrößerung der statischen Höhe abzutragen, liegen die Durchlaufträger und Querzüge in einer Ebene und sind im Flanschenbereich teilweise verstärkt.“ erläutert Nikolaus Graber.

Eine Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Lerchenholz bildet die Seitenwände der Halle. Die Fassadenplatten aus transluzentem Polycarbonat sind wärmedämmend und streuen Tageslicht gleichmäßig und blendfrei in den Innenraum. Gezielte Ausblicke bieten die Tore: Sie sind mit Klar- und Acrylglasscheiben besetzt. Oberlichter lenken zusätzlich Tageslicht in die Halle, dabei bewirken Gitterroste über den Öffnungen eine Brechung des Lichtes und dessen gleichmäßige Verteilung im Innenraum.

Die lichtdurchflutete Halle mit ihrem weiten Tragwerk wirkt wie ein japanischer Pavillon, es entsteht ein weiter, luftiger Raumeindruck. Dagegen bildet das Dach mit seiner Masse einen Kontrast: schwer gegen leicht, Materie gegen Licht – eine besondere Atmosphäre auch für die Arbeiter.

Dass hochwertige Arbeitsräume die Gesundheit, Stimmung und Produktivität der Mitarbeiter stärken, wird bei Bürobauten meist berücksichtigt, bei Industriebauten, so scheint es, zählt das nicht. Niklaus Graber sieht das so: „Industriebauten werden architektonisch meist vernachlässigt, sie sind rein funktional gedacht. Dabei steht Architektur nicht im Widerspruch zur Funktionalität. Im Gegenteil, unsere Architektur ist sehr wirtschaftlich gedacht, weil sie energieeffizient ist, flexible Nutzungen ermöglicht und mit einer hohen Aufenthalts- und Architekturqualität langlebig ist.“ Es ist also an der Zeit, Industriegebiete neu zu denken.

Rosa Grewe, Darmstadt


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