... Anna Heringer / Studio Anna Heringer, Laufen annaheringer.mgh2.mynet.at

Gebäude als Katalysator für die lokale Entwicklung

Die Architektin, Textilgestalterin und Aktivistin Anna Heringer hat als zweite den hochdotierten Obel Award zugesprochen bekommen. Grund genug, bei ihr anzuklopfen und um ein Gespräch zu bitten. Ein Gespräch darüber, wie die Architektur vom Rand der Republik gesehen ausschaut, welche Projekte anstehen und was machen mit 100000 € Preisgeld.

Lieber Anna Heringer: Gratulation, man wird nicht alle Tage mit einem solch hochdotierten Preis ausgezeichnet. Ich muss aber gestehen: Ich kannte ihn garnicht. Wussten Sie sofort, wer Sie da ausgezeichnet hat?

Anna Heringer: Ich hatte vor der Nachricht, ich hätte den Obel Award in diesem Jahr erhalten, von der Aedes Galerie ein schönes Heft über eben diesen Preis bekommen, sonst hätte ich es auch nicht gewusst. Als dann die E-Mail kam, habe ich mich natürlich wahnsinnig gefreut.

Ich habe beruflich einen Weg eingeschlagen, der finanziell nicht unbedingt der sicherste ist. Von daher ist diese internationale Auszeichung eine schöne Bestätigung dafür, dass das Leben schon für einen sorgt, wenn man den Weg des Herzens geht. Denn die Zeit und aller Aufwand, den wir z. B. in Projekte in Bangladesch investieren, können wir natürlich nie voll in Rechnung stellen. Nicht selten zahlen wir dazu, um z. B. die 20 Frauen in unserem Textil-Projekt dauerhaft zu beschäftigen. Dabei helfen meine Vortragshonorare und der Ausfall ist natürlich derzeit ein Desaster. Deswegen ist das Preisgeld gerade recht gekommen, ein wunderbares Timing!

Als ich mir die Websites der KollegInnen angeschaut habe, konnte ich feststellen, dass Sie eher international wahrgenommen werden. Ist das richtig?

Ja, das ist so. 15 Jahre nach dem Erfolg der METI-Schule habe ich das erste Mal in Deutschland bauen dürfen. Und es ist definitiv so, dass ich woanders – in Frankreich, Indien, also selbst in Vietnam oder in Mexiko – bekannter bin als in Deutschland.

Woran liegt das? An Ihrem eher internationalen Netzwerk?

Ich werde teilweise als Österreicherin gesehen und wirklich bin ich in Österreich besser vernetzt. Liegt ja auch nahe! Ich bin aufgewachsen in Laufen, was halb österreichisch und halb bayerisch ist. Und ja, ich arbeite im Randgebiet, nicht im Berliner Zentrum. Ich bin mehr international unterwegs als bei Kammerevents bei uns. Ich werbe nicht aktiv, reagiere nur auf Presseanfragen.

Weil man Sie für einen bunten Vogel hält?

Vielleicht. Wobei ich finde, dass viele Aspekte meiner Arbeit relevant auch für Deutschland sind. Ich bin davon überzeugt, dass wir eine Nachhaltigkeitsstrategie brauchen, die überall Gültigkeit hat und nicht nur für einen Teil der Weltbevölkerung leistbar ist. Das Bauen mit vor Ort verfügbaren, natürlichen Materialien und nachhaltigen Energiequellen, zu denen auch das Handwerk als „menschliche“ Energie zählt, ist solch eine Strategie.

Schönheit? Empathie? Emotionalität?

Ich habe eine emotionale Architektursprache, ohne dass das ein bestimmter, beschreibbarer Stil ist. Im Ausland würde ich es als bayerisch bezeichnen. Also emotional, viel Farbe und so weiter. In Österreich reagiert man positiver darauf als in Deutschland oder in der Schweiz, wo man eher straight und puristisch ist. Für mich muss die Architektur etwas Emotionales, Poetisches, Spielerisches haben und ja, empathisch, sogar liebevoll sein. Letzteres ist ein Attribut, das leider im Architekturdiskus nicht vorkommt. Mein wichtigstes Werkzeug beim Entwerfen ist – neben großen Tonmodellen – die Intuition. Weniger die Ratio. Und ich denke, das sieht man meiner Architektur an.

Ist Ihre Poesie nicht auch so etwas wie Forschungsarbeit? Ihr Ausprobieren, die Zusammenarbeit mit dem lokalen Handwerk etc. könnte einen Rückfluss geben in das eher industrielle Bauen hier in Deutschland. Kann man ihre Haltung zum Bauen umkodieren?

Ja, definitiv. Gemeinsam mit Romstätter Architekten planen wir gerade einen großen Campus für Nachhaltigkeit für St. Michael im bayerischen Traunstein. Da werden wir zum ersten Mal Lehm als voll tragendes Baumaterial zur Anwendung bringen, mit knapp 1 m dicken Wänden. Das gibt es in Deutschland bei einem Neubau noch nicht. Und wir probieren Lehm-Kasein-Böden und vergleichbare Dinge, einfache, in Vergessenheit geratene Baumethoden, die hoffentlich wieder einen neuen Aufschwung bekommen. Dafür lernen wir Handwerker neu an, die machen Trainings und wir bauen mit denen Know-how auf, das hoffentlich in den Markt zurückfließt.

Wo wir wieder beim Exoten sind. Lehmbau … Wie bekommt man diese Ihre Projekte in eine größere Breite? Oder sagen Sie einfach: Ich mache meine schönen Projekte wie ein Peter Zumthor beispielsweise und damit ist es gut?

Natürlich denke ich über dieses Thema der Verbreitung nach. Ich habe ein Buch darüber geschrieben, „Upscaling Earth“, mit Martin Rauch und Lindsay Blaire Howe. Doch, ich bin davon überzeugt, dass der Lehmbau auch in Großstädten möglich ist. Da gibt es immer Lehm, er ist als Aushubmaterial in Fülle vorhanden. Der wird jetzt noch irgendwohin gekarrt, wofür man auch noch bezahlen muss. Dabei könnte man ihn genauso gut in eine nahegelegene Produktionsstelle bringen, wo er maschinell oder mit Handwerk – je nach Projektgröße – in die Schalung gestampft wird und dann in Blöcken wieder auf die Baustelle zurückkommt. Das Material ist also da. Was fehlt, ist ein umfassenderes Know-how und der Wille, dass man ein Lehmgebäude auch will. Der Lehmbau hat noch keine Lobby, weil er ein Baumaterial ist, das viel Handwerk braucht. Was schön und wichtig ist.

Interessanterweise haben wir bis heute keine CO2-Steuer auf Baumaterialien, aber wir haben eine auf die menschliche Energie, das Handwerk. Ich plädiere für „less concret, more earth“ [sie zeigt auf ein Pappschild, das über ihrem Kopf an der Wand hängt; Be. K.]. Wir brauchen eine Preiswahrheit, die schädliche Baustoffe höher besteuert als Baustoffe, die Arbeitsplätze schaffen und so sauber wie möglich in Stoffkreisläufen zu halten sind.

Dass das Bauen hier bei uns im Vergleich zu Ländern wie Bangladesch oder Simbabwe nicht dem Menschenverstand folgt, ist für mich tragisch. In Bangladesch ist das günstigste sowie nachhaltigste Haus das, das mit lokalen Materialien in Handarbeit gefertigt wird. Bei uns ist das das Teuerste. Das geht schnell über den Baustoff Lehm hinaus, ich denke, dass unser System falsch ist, denn es verhindert auch eine ökologische und soziale Bauweise. Ich kämpfe mit vielem darum, dass sich das Wirtschaftssystem nachjustiert und sehen wir es einmal nüchtern: Kapitalismus ist keine Naturgewalt!

Das klingt nun nach ganz großen Rädern, die gedreht werden müssen … Können wir unsere Wirtschaft so verändern, dass das lokale Handwerk wieder Bedeutung erhält?

Natürlich können wir. Wir alle zusammen sind der Markt. Das ist, wie schon gesagt, eine Frage des Wollens. Wenn wir dem „Wer profitiert?“ folgen, kommen wir zu Antworten. Für mich ist es wichtig, dass ich mir, wenn ich am Ende alle meine Baubudgets addiere, sagen kann, dass das Hauptbudget beim Mittelstand geblieben ist, bei den Handwerkern. Die Welt ändern wir nicht mit einer großen Entscheidung, die Welt ändern wir mit den alltäglich kleinen Entscheidungen.

Und wichtig: Dabei geht es ganz zentral um den Bauprozess, auf den ich Einfluss nehme schon bei der Auswahl des Materials. Wenn ich die METI-Schule in Stahl und in Beton gebaut hätte, wäre das Geld für die Community verloren. Schon damit, dass ich mit lokalem Material gebaut habe, mache ich ein Gebäude zu einem Katalysator für die lokale Entwicklung. Das kann ich hier in Deutschland genauso machen wie sonstwo.

Wie sind Sie so geworden, wie Sie sind?

Ich bin wie ich bin, das liegt an meiner Familie. Mein Vater ist Ökologe und Landschaftsarchitekt. Also fließt ganz bestimmt grünes Blut in meinen Adern. Meine Mutter ist sozial sehr engagiert. Ich war als Jugendliche bei den Pfadfindern und habe dort gelernt, wie man völlig unplugged ein paar Wochen im Jahr dort lebt, wo man alles, was man braucht, selbst herstellen muss, von der Musik bis zum Lagerturm. Man hat dabei schon gemeinsam einen kleinen Städtebau gemacht für ein Zeltlager, hat das Baumaterial herangeschafft und am Schluss lässt man nichts zurück. Man baut eine kleine Stadt.

Von Saint-Exupéry gibt es ein schönes Zitat: Willst du ein Volk entzweien, dann wirf Korn unter sie. Willst du es einen, dann lass sie gemeinsam einen Turm bauen. Diese Kraft der Architektur habe ich damals kennengelernt und das ist dieselbe Kraft, wenn wir in Bangladesch alle gemeinsam vor der Schule stehen, alle, die mitgebaut haben, auch die kleinen Mädel und Burschen. Diese positive Erfahrung versuche ich immer wieder zurückzutransportieren nach Deutschland. Uns fehlt es ja nicht am Material, eher an der Gemeinschaft, an den Beziehungen. Das Gemeinsam-an-einer-Sache-Arbeiten ist das, was unserer Gesellschaft hier in Deutschland wirklich fehlt.

Und weil das handwerkliche, gemeinsame Arbeiten auch glücklicher machen soll!?

Ja, insgesamt ist der Glücksfaktor hoch, wenn der Anstrengungsfaktor auch hoch ist. Das sagt jeder Glücksforscher. Ich glaube, dass Architektur eine Kraft haben könnte, positiv auf die Gesellschaft mit einzuwirken. Und nicht nur, weil ein schönes Gebäude entsteht, das man dann nutzen kann, sondern auch, weil man den Prozess, den Bauprozess mitentwirft und mitgestaltet und als Architekt Freiheiten lässt.

Architekten als Moderatoren?

Ja. Wir wünschen uns immer, so jetzt auch in Traunstein, dass die späteren Nutzer selber Hand anlegen können. Oder wir, das waren mit mir Anka Dür, Martin Rauch und Sabrina Summer, haben in Vorarlberg einen kleinen Gebärraum geplant und gebaut, der entstand über Crowd-Funding. 500 Menschen haben uns da finanziert, viele waren beim Bauen als Helfer dabei. Da habe ich wieder einmal realisiert, dass man manchmal nur ein ganz kleines Ding braucht, in dem dann so viel Energie steckt und Stolz bei allen Beteilig-ten. Das ist wichtig.

Gelingt so etwas auch bei mehrgeschossigen Wohnhäusern?

Ja, man muss nur die Aufgaben verteilen. Die große Struktur machen die Profis, die Kinder können dann z. B. mit Ornamenten Wände gestalten, oder Nischen bauen. Dabei lernen sie wichtige Dinge, haben einen Bezug zum Material. Wir alle haben das Bauen doch in unserer DNA, jedes Kind baut Hütten mit Tischdecken und Sträuchern und Ästen. Aber oft überreichen wir Architekten  schlüsselfertige Häuser und die Leute rennen zu IKEA, um ihren Drang zu Bauen zu befriedigen.

Was antworten sie darauf: Die Heringer? Die wird sich schon noch ihre Hörner abstoßen!

Also ich kämpfe um die richtigen Sachen nachdrücklich und ich habe Ausdauer! Klar, ich bekomme in einem Großprojekt nicht alles durch. Ich bekomme nicht gleichzeitig den Lehmbau und dann auch noch ein super Holzdach. Da muss ich Kompromisse schlucken. Aber ich bleibe bei dem Kompromiss nicht stehen. In jedem Projekt ist es wichtig, die Grenzen zu erweitern. Ich kann nicht jeden Kampf gewinnen, aber ich schaue, dass die Rahmenbedingungen sich langsam, langsam ändern, um in Zukunft dann mehr zu ermöglichen. Innovationen entstehen dort, wo es ungemütlich wird: am Rand der Komfortzone.

Hat die aktuelle Krise – Covid 19 und seine Folgen – etwas verändert in dem Blick auf die kommenden zwei, drei Jahre?

Aus der Warte meines Büros merke ich das nicht so. Aber wir arbeiten bei unserer Fair Trade Mode noch konzentrierter an Zukunftsplänen, weil hier mehr Existenzen abhängig sind. Die großen Textilfabriken in Bangladesch haben alle zugemacht, nur unsere kleine Produktionsstätte konnte weitermachen, weil wir das Ganze auf Heimarbeit umorganisieren konnten. Aber wir haben bemerkt, dass sich die Mitarbeiterinnen keinen Puffer angespart hatten, weshalb wir sie übergangsweise auch mit Lebensmitteln unterstützten. Wir haben bemerkt, dass die Frauen, wenn sie Geld haben, es ausgeben. Oder der Mann gibt es aus. Gemeinsam mit der lokalen Entwicklungsorganisation Dipshikha müssen wir jetzt schauen, dass wir zum Haushalten anleiten, dass man einen Fünfjahresplan, einen Businessplan macht.

Und natürlich muss ich auch hier die Trommel rühren, dass die Produkte trotz Corona verkauft werden. Wozu auch mein Marketing gehört, wie Sie jetzt gleich feststellen können: Ich hätte da eine Bitte, weil dieses Gespräch ja vor Weihnachten gedruckt wird: Können Sie nicht Werbung in Ihrem Heft machen? Die Kissen sind ein schönes Weihnachtsgeschenk ...

Sind die Kissenbezüge unter Ihrem Label?

Ja, unter unserem Label.

Dann schreiben Sie mir, wo man bestellen kann. Und wenn Sie 100 Kissen verkauft haben, ist eins für mich?!

Versprochen.

Mit Anna Heringer unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft via Teams am 5.11.2020 vom Homeoffice aus. Kissen anschauen und bestellen unter www.dipdiitextiles.org.

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