Beschleunigte Langsamkeit
Stahlskulptur „Tiger & Turtle/Magic Mountain“, Duisburg

Was aussieht wie eine Achterbahn, ist eine begehbare Skulptur, gedacht und konzipiert von den Künstlern Heike Mutter und Ulrich Genth aus Hamburg. In Zusammenarbeit mit einigen Fachleuten und Spezialisten wurde die endgültige Form entwickelt und feingetuned, solange bis man sie auch bauen konnte.

Seit ziemlich genau einem Jahr ragt die 18 m hohe, an eine Achterbahn erinnernde Stahlskulptur weithin sichtbar auf. Den im Frühjahr 2009 von der Stadt Duisburg ausgeschriebene Wettbewerb für eine künstlerische Landmarke auf der Heinrich-Hildebrand-Höhe im Duisburger Süden gewannen die Hamburger Künstler Heike Mutter und Ulrich Genth. Sie schufen eine begehbare, schon von Ferne Geschwindigkeit versprechende Konstruktion. Um diese geometrisch unregelmäßige, sich dreidimensional verwindende und krümmende Konstruktion jedoch realisieren zu können, musste der künstlerisch frei entstandene Entwurf mit Formeln und Funktionen, also den Mitteln der parametrischen Planung beschrieben werden. Diese Aufgabe fiel dem Architekten Arnold Walz von designtoproduction, Stuttgart zu, einem Büro für die „digitale Produktion komplexer Architekturen“, der vom Künstlerduo anfangs nur hinzugezogen wurde, um ihren Entwurf digital zu vermessen. Dafür erhielt Arnold Walz von ihnen das mit einem Visualisierungsprogramm erstellte Entwurfsrendering und ein mit dem gleichen Programm gezeichnetes, dreidimensionales Polygon, das die Längsachse des Haupttragrohres beschrieb. Eine erste Analyse ergab sehr schnell, dass konventionelle Planungsmethoden für die Umsetzung des Entwurfs nicht ausreichen würden. „Wenn dieses Projekt konventionell bearbeitet worden wäre, wäre es nie gebaut worden, da Planung wie auch Umsetzung zu hohe Kosten verursacht hätten“, davon ist Arnold Walz im Gespräch über das Projekt überzeugt. Damit hat er vermutlich recht. So wären zum Beispiel nach dem ersten, mittels konventioneller Methoden erarbeiteten Konstruktionsvorschlag der Tragwerksplaner eine Vielzahl von Stahlbauteilen der begehbaren Spur der Konstruktion, des sogenannten „Tracks“ gekrümmt gewesen, was mit Maschinen jedoch nicht zu fertigen ist. Mit Hilfe der parametrischen Planung konnten dagegen alle Konstruktionselemente außer den Rohren als zwar voneinander verschiedene, aber ebene Bauteile entwickelt werden. Weit über den ersten Auftrag hinausgehend, programmierte Walz zusammen mit Ania Apolinarska schließlich ein komplettes, parametrisches Modell des „Tracks“, aus dem alle Konstruktionsdetails, alle Bohrungen, Beschriftungen und Markierungen für die spätere Fertigung abgeleitet wurden.

Der komplexe Planungsprozess

Am Beginn des Planungsprozesses stand ein mit Hilfe der aus dem Maschinenbau stammenden Software Mechanical Desktop programmiertes, vereinfachtes, parametrisches Modell. Der von den Künstlern bereitgestellte 3-D-Polygonzug wurde damit zunächst geglättet, also in eine kontinuierlich gekrümmte Geometrie transformiert, und die resultierenden maximalen und minimalen Krümmungen und Verwindungen des Haupttragrohres berechnet. Auf Rückfrage beim späteren Hersteller des Hauptrohres erklärte dieser, dass der in der ursprünglichen Entwurfsgeometrie vorgesehene Krümmungsradius von 4,50 m nicht zu realisieren sei. Er erklärte 6 m zum Fertigungsminimum. Schließlich einigten sich Arnold Walz, die Künstler und der Hersteller auf 5 m minimalen Krümmungsradius, der dann tatsächlich auch mit 3-D-Biegemaschinen realisiert werden konnte. Das komplexe Gesamtmodell, dessen Script mit Hilfe der 3-D-Modellierungssoftware Rhinoceros geschrieben wurde, berücksichtigte schließlich mehr als fünfzig Parameter. Diese leiteten sich unter anderem aus den Sicherheitskriterien ab, wie zum Beispiel die notwendige, minimale Geländerhöhe über den Stufen oder die maximalen zugelassenen Öffnungen im Geländer. Die Berücksichtigung der Bau- und Fertigungsnormen führte in weiteren Punkten zu Änderungen am ursprünglichen Entwurf. So sollten die Hauptpfosten des Geländers zunächst alle gleich hoch sein und den gleichen Abstand zueinander haben, was wegen der unregelmäßig gekrümmten Geometrie kaum umzusetzen gewesen wäre. Arnold Walz und die Entwerfer entschieden sich schließlich für verschieden hohe Pfosten, die dem unregelmäßigen Rhythmus der Treppe folgen und unterschiedliche Abstände zueinander haben. Trotzdem besitzt die Skulptur heute eine sehr gleichmäßige, flüssige Anmutung, so wie es sich die Künstler wünschten.

Er sei mit den konstruktiven und ästhetischen Entscheidungen hochzufrieden, erklärt Ulrich Genth und lobt die gute Zusammenarbeit mit Arnold Walz, der ästhetische und technische Ansprüche sehr gut zusammen gebracht habe. Alle Details seien mit ihnen, den Entwerfern, intensiv abgestimmt worden. Sie als Entwerfer hätten auch schnell erkannt, dass die im Rahmen des Wettbewerbs erarbeiteten ersten Vorschläge zur Konstruktion nicht ausreichen würden. Sie seien von dieser Art der Planung schnell überzeugt gewesen, nur die Stadt als Bauherr habe zunächst gezögert, sich auf ein ihr unbekanntes Planungsverfahren einzulassen. Im Planungsprozess brachten die Künstler wie auch Arnold Walz jeweils eigene Ideen zu Ästhetik und Umsetzung ein. Der Austausch über die Vorschläge erfolgte in vielen Telefongesprächen, regelmäßigen Arbeitstreffen und mit Hilfe von 3-D-Visualisierungen des parametrischen Modells. Diese wurden zur besseren Handhabung nur in Ausschnitten bzw. als 3-D-PDF verschickt. Für ihn, so Genth, sei diese Art zu planen neu und damit eine Erweiterung des eigenen Wissenshorizonts gewesen. Dennoch gingen Heike Mutter und er weiterhin vom Kontext ihrer Arbeiten aus und weniger von möglichen Verfahren für deren Realisierung.

So gut sich die Zusammenarbeit mit den Künstlern gestaltete, so schwierig sei es gewesen, mit den anderen an Planung und Realisierung Beteiligten anhand des parametrischen Modells zusammenzuarbeiten, berichtet Arnold Walz schließlich am Ende des Gesprächs. An den Schnittstellen zur Übergabe und digitalen Weiterverarbeitung der Daten fehlte es leider. Die Tragwerksplaner, die für die Dimensionierung der Bauteile und Verbindungen verantwortlich waren, hätten lediglich einfache Datensätze, also einzelne Koordinaten angefordert und damit weiter geplant. Eine eigentlich mögliche Rück­kopplung zwischen dem parametrischen Modell und den statischen Berechnungen fand daher leider nicht statt. Auch die Firmen, die die verschiedenen Stahlbauteile fertigten, haben nicht mit den ohnehin vorhandenen dreidimensionalen Datensätzen weitergearbeitet, sondern konventionelle Grund- und Aufrisse angefordert und diese zum Teil sogar nachgezeichnet. Hier wünsche er sich mehr Wissen und Kenntnisse über die Möglichkeiten der parametrischen Planung, um die Konstruktion und Herstellung von komplexen Konstruktionen noch weiter zu optimieren und die Möglichkeiten des digitalen Planungsprozesses noch besser zu nutzen.

Die Besucher der Skulptur im Duisburger Angerpark auf der ehemaligen Zinkschlackehalde wissen herzlich wenig von Scripting und Parametrisierung. Sie erahnen vielleicht, wie schwer es ist, ein solch komplexes Gebilde so elegant, leicht und einfach aussehen zu lassen. Wenn sie es jedoch wüssten, dann wäre ihre Faszination womöglich noch größer beim langsamen Aufstieg in dieser so dynamisch wirkenden Achterbahn für Fußgänger.

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