Auf keinen Fall einen Architekturzoo!
Im Gespräch mit Claudia Kromrei und Paul Kahlfeldt, Berlin
Werkbund.de

Mitten in Berlin gibt es das ehemalige aber in Teilen noch genutzte Tanklager der UNITANK / Plus Bau. Hier möchte der Deutsche Werkbund – Claudia Kromrei für die Landessektion Berlin, Paul Kahlfeldt für den Bundesverband – zusammen mit 33 Architekturbüros und weiteren Beteiligten die WerkbundStadt mit 1 100 Wohnungen realisieren. In deutlicher Abgrenzung von den historischen Werkbundsiedlungen soll Stadt als Realraum dem neuen Quartierskonzept als Ort dienen und nicht die grüne Wiese, auf welcher damals Utopien zum Blühen gebracht werden sollten. Das Projekt hat uns neugierig gemacht. Wir trafen die beiden Werkbündler am Tanklager und fragten nach. So nach Grundkonsens und Kompromisszwängen beispielsweise.

Liebe Claudia Kromrei, lieber Herr Kahlfeldt: Wie sind Sie auf ein solches Grundstück gekommen?

Paul Kahlfeldt (PK): Als wir beide mit dem Projekt des Deutschen Werkbundes – „this is modern“ – anfingen, kamen wir irgendwann auch zum Thema Wohnen. Wir suchten dazu einen geeigneten Standort, an dem wir ein Wohnprojekt in dieser Größe würden realisieren können.

Claudia Kromrei (CK): Der Standort war bewusst in der Stadt gesucht und nicht auf der grünen Wiese.

PK: In Berlin gibt es tatsächlich solche Grundstücke wie dieses hier [er deutet aus dem Fenster auf das Tanklager] zu Hauf. Aber entweder gehören die der Stadt oder einem Unternehmen. Oder einem Privaten, wo es dann schwierig wird oder – wie hier – auch ideal. Ganz bewusst haben wir einen privaten Besitzer gesucht, damit uns keiner reinredet.

Kommt noch mehr private Fläche zum Tanklager hinzu?

CK: Ja, die Planfläche ist bereits erweitert und zwar um zwei Nachbargrundstücke im Osten, die mit der Aufgabe des Lagers wieder zu bebauen sind. Die Eigentümer haben hier schon positive Signale gegeben. Der städtebauliche Plan, den wir entwickelt haben, bezieht diese Grundstücke bereits mit ein.

Vattenfall, hier kooperierend, ist hier ebenfalls noch mit im Gespräch. Die werden auf ihrem Grundstück nicht bauen, weil hier denkmalgeschützte Substanz ist. Aber eine Verzahnung über die schöne Flanke der an sich leeren Maschinenhalle als vierte Platzwand ist denkbar.

Ist die Vermarktung von Wohnen auf einem Gelände, auf dem Rohöl gelagert wurde schwierig?

PK: Also so ein Projekt in dieser Lage kann man am Wochenende dreimal verkaufen. Von seiner städtebaulichen und architektonischen Qualität ganz abgesehen. Unser Konzept ist, dass wenn wir im September den Werkbundtag haben und alles öffentlich gemacht ist, dass wir dann  für die einzelnen Grundstücke Bauherren suchen, die dem Tanklagerbesitzer die Parzellen abkaufen.

CK: Ein Fehler wäre es, wenn wir, wie sonst oft üblich, alles auf einen Schlag machen wollten. Wir haben 33 Architekten am Start. Diese 33 sollen auf diesem eben nicht kleinen Grundstück auch alle bauen. Das heißt, es wird nicht aus einer Hand kommen sollen.

Wie haben Sie die 33 ausgewählt? Was waren die Anforderungen?

PK: Erstens haben wir es hier mit einer privaten Objekt-Entwicklung zu. Also haben wir kein VOF-Verfahren, keinen Wettbewerb. Dann gab es mehrere Diskussionen mit allen möglichen Partnern, in denen wir versucht haben, eine gewisse Bandbreite von Kolleginnen und Kollegen zu finden, denen wir das Bauen nicht erklären müssen. Mit denen wir einigermaßen gut auskommen und die aus dem deutschsprachigen Europa kommen. Es geht hier nicht um einen Stil, uns geht es werkbundmäßig um die Qualität. Wir haben uns bemüht, Büros mit rund 20 % Grundkonsens zur Architektur zu finden.

Hat jemand abgesagt?

PK: Ein paar schon, weil sie es zeitlich nicht geschafft hätten. Wir wollten auf keinen Fall ...

CK: ... einen Architekturzoo!

PK: ... und auch keine Materialschlacht haben. Wir wollten Kollegen, die eine Grundhaltung eint und die aus allen Landesverbänden des Werkbundes kommen.

Haben Sie das geschafft?

CK: Ja, sogar das kleine Saarland ist mit dabei. Sachsen-Anhalt war schwierig ... Letztendlich muss ich feststellen, dass es bei allen Beteiligten eine große Bereitschaft gibt, sich auf diesen ganz ungewöhnlichen Prozess einzulassen. Wir haben hier ja keinen gewöhnlichen Wettbewerb, wir haben ein kooperierendes Verfahren ausgewählt. Zuerst beruht das alles durchaus auf freiwilliger und vielleicht auch perspektivisch ungewisser Basis. Honorare sind noch nicht geflossen und es sind schon viele Monate vergangen ...

PK: ... Jahre!

CK: Das ist auch so eine stille Bedingung: Dass jeder bereit ist, mit Einsatz und in steter Kooperation einiges an Vorleistung zu bringen.

PK: Und der Städtebau und die Gestaltungssatzung sind gemeinsam mit allen 33 Büros diskutiert und beschlossen worden.

Als Kompromiss?

PK: Nein, kein Kompromiss, wir nehmen von allen das Beste.

Wer entscheidet, was das Beste ist? Alle?

PK/CK: Alle!

Ein wenig lese ich aus Ihrer kleinen Projektbroschüre heraus, dass Sie die Fehler der Moderne korrigieren wollen. Stimmt das?

PK: Nein, wir können auch keine Fehler beheben. Wir wollen Veränderung erreichen, wollen aus den Erfahrungen der Vorgängergenerationen lernen. Die Zeiten ändern sich, dem müssen wir uns stellen. Wir sind nun der Meinung, dass insbesondere die Art des Verfahrens eine Werkbundidee ist. Und die unterscheidet sich sehr deutlich von den zumeist praktizierten Verfahren im Ausschreibungs-, Auslobungs- und Jurymodus. Möglicherweise probieren wir hier etwas aus.

Kern des Projekts in drei Sätzen?

PK: Wichtig ist, dass wir ein dichtes, urbanes Quartier zum Wohnen, Leben und Arbeiten in der Stadt anstreben.

CK: Und: Das Kooperative bezieht sich nicht nur auf die Kollegen, es bezieht sich auch auf die politischen Entscheidungsträger, das Stadtentwicklungsamt, die Grundstückseigentümer.

PK: Nur wenn man etwas Gutes macht, macht man was Bleibendes, Nachhaltiges. Und damit etwas, womit man mehr verdient, als wenn man Mittelmaß abliefert.

Etwas Gutes hat Ihr Projekt auf jeden Fall: Mit der Umwandlung des Öllagers in ein Wohnquartier wird die Seveso-Richtlinie außer Kraft gesetzt, die hier und im Umkreis von 600 m Wohnbau verhindert hat.

CK: Ja, die ist dann nicht mehr und man kann endlich weitermachen.

Das alles klingt alles irgendwie zu schön: Was trübt die Stimmung?

PK: Der größte Wehrmutstropfen ist aus meiner Sicht der, dass wir die Dichte, die wir angestrebt haben, nicht hin bekommen. Das liegt vor allem an den geforderten Abstandsflächen. Das ist, da hier allein juristische Hemmnisse vorliegen, schon ganz schön bitter. Wir entsiegeln hier doch! Da müsste eine GFZ von 3,5 aber möglich sein, bekommen werden wir vielleicht 2,9.

Wie wollen Sie die angestrebte soziale Durchmischung realisieren? 30 % der Wohnfläche je Haus sollen sich am Mietnieveau geförderten Wohnbaus orientieren.

PK: 25 % müssen wir, wir planen 30 %. Der Bauherr muss für sein Haus 30 % zu einem zu regelnden günstigen Preis über 20 Jahre vermieten. Normalerweise rechnet man mit maximal 52 m² je Wohnung geförderter Wohnungsbau ... In diesem Zusammenhang: Hier fließt kein Euro Steuergeld in Mietförderung, die Bauherren und natürlich die Architekten müssen das Haus so entwerfen, dass der günstigere Mietanteil durch die anderen Wohnungen in eine Mischfinanzierung kommt.

Werden die Wohnungsstandards die gleichen sein?

PK: Alle nehmen den gleichen Aufzug, wenn Sie das meinen!

CK: Möglicherweise wird über die Geschosshöhe variiert, die oberen Wohnungen teurer und so weiter. Das ist ein reines Rechenmodell.

Wann wissen Sie, dass das Projekt durchstartet?

PK: Eigentlich wollten wir 2019 zum Jubiläum des Bauhauses mit unsem Projekt zeigen, wie man es heute richtig macht.

CK: Aber das Richtfest 2019, das sollte wohl klappen!

Mit Claudia Kromrei und Paul Kahlfeldt unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 22. April 2016 am Tanklager in Berlin-Charlottenburg.

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