Liebe Leserinnen und Leser,

wohnen Sie noch oder leben Sie schon? So oder ähnlich hatte es vor Jahren der Interior-verkäufer aus Schweden einmal provokant in seinen Markt gerufen. Eine rhetorische Frage, denn natürlich lebt man schon, wenn man ersteinmal eingekauft, aufgebaut und alles mit Seinem/Ihrem belegt hat. Was möglicherweise sämtlich auch bei der „Fast Furniture“-Kette eingekauft wurde.

Wohnen und leben, das scheint miteinander zu tun zu haben. Und nähme man das oben genannte Motto einmal positiv gewendet auf, wäre das Wohnen ein andauerndes Projekt: ständig im Wandel, angepasst an die inneren und äußeren und äußerlichen Veränderungen. Mal wäre alles weiß, mal bunt, mal weniger, mal mehr, mal mit Naturprodukten, dann wieder mit Kunststoffen, mal mit Menschen, dann wieder alleine.

Wie da bauen, wie beraten, wie kalkulieren? Wie das Materielle auch zum lebendigen Lebensraum machen? Der zudem immer noch – auch von Planer:innenseite – häufig vom Normwerk aus gedacht wird (Stichwort: Neufert). Wie da zukunftssicher planen, wenn doch das Miteinander und damit die Räume für sich und in Bezug auf das Ganze sich ändern können müssen?

Im Gespräch mit unseren Heftpartner:innen dieser Ausgabe, mit Jana Richter und

Henri Praeger, wurde schnell deutlich, dass die beiden ihre Wohnbauten als Projekte verstehen, als Gebilde, die sich verändern, die veränderbar sind durch ihre Nutzer:innen. Am liebsten hätten sie unser Heftthema „Wohnen“ in „Wohnprojekte“ verwandelt und damit das zum Ausdruck gebracht, dass das Wohnen heute mehr denn je als ein im Haus sein, in Räumen sein ist. Praeger Richter Architekten denken das Wohnen „beweglich“, oder wie sie es auch schreiben: „umbaufrei“.

Natürlich spielen über alles das hinaus die Fragen nach Größe (wieviel Fläche brauchen wir und können wir uns Flächen teilen?), nach Materialien (kreislauffähig, wohngesund sowieso) und Energie (Low-tech zuerst!) eine wichtige Rolle. Doch es scheint klar zu sein, dass wenn wir erstens die EFH-Klischees überwinden und zweitens das Soziale wieder seine wichtige Rolle im Wohnungsbau spielen lassen, dann regeln sich die meis­ten der oben gestellten Fragen von selbst. Wie dahin kommen? Über engagierte und überzeugende Beratung der Bauherrschaft, über Weiter- und Fort- und Bildung sowieso und über die Kontextualisierung des Wohnens à la Schwedenmoden in unserem Konsumverhalten insgesamt. Die von uns ausgewählten Wohnprojekte zeigen viele der genannten Aspekte. Sie alle bieten Teile der ganzen Lösung, die ein Ideal bleiben wird. Und das ist wohl auch gut so, denn Ideale können dogmatisch werden und damit zu Unbeweglichkeit im Denken, in den Grundrissen, der Materialwahl etc. führen.

Lesen Sie in unseren bunten Beiträgen im Heft, freuen und ärgern Sie sich, entdecken Sie Neues und längst Gewusstes und wenn Sie unsere Arbeit unterstützen wollen: Schreiben Sie uns, markieren Sie Ihren ganz persönlichen Standpunkt zu diesem wichtigen Thema.

Seien Sie herzlich gegrüßt, bleiben Sie beweglich,

Ihr

Benedikt Kraft

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