Forschungszentrum BiK-F, Frankfurt am Main

Sanierung statt Abriss
Forschungszentrum BiK-F, Frankfurt a. M.

Mit dem Umbau der denkmalgeschützten „Alten Pharmazie“ in ein Forschungszentrum rüsteten SSP SchürmannSpannel ein Meisterwerk der Nachkriegsmoderne für die Gegenwart. Der heitere, filigrane Charakter des Kramerbaus blieb dabei erhalten. Die Sanierung zeigt beispielhaft, wie sich die abrissgefährdeten Frankfurter Universitätsbauten des Architekten Ferdinand Kramer behutsam umnutzen und erhalten lassen.

Der Architekt Ferdinand Kramer (1898-1985) war ein Generalist par excellence: Als junger Ingenieur entwarf er Kleinmöbel und Blechtöpfe, Kannen oder Leuchten, später plante er das Neue Frankfurt mit. Nach der Emigration in die USA machte sich Kramer als Designer variabler Möbel einen Namen. 1952 kehrte der vieltalentierte Baumeister in seine Heimatstadt Frankfurt a. M. zurück und wurde Baudirektor der neuen Johann-Wolfgang-Goethe-Universität. In zwölf Jahren errichtete Kramer 23 Bauten, einige auf dem Campus Bockenheim, andere als Dependencen verstreut in der Stadt – darunter Hörsaal- und Institutsgebäude, ein herausragendes Studentenwohnhaus und die modernste Bibliothek der Nachkriegszeit. Doch Kramers Erbe ist in Gefahr. Mit dem Umzug der Universität vom Bockenheimer Campus ins Westend droht seinen renovierungsbedürftigen Hochschulbauten der Abriss. Auf dem alten Unigelände soll auf 16,5 ha ein Kulturcampus entstehen – mit Wohnungen, Büros, Handel, Kultur und Gastronomie. Ob Kramers Bauten saniert werden oder den neuen Plänen im Wege stehen, ist noch ungewiss.

Immerhin, ein Kramer-Bau wurde schon gerettet: Das einstige Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie gehört zu den Meisterwerken der Nachkriegsmoderne. Die Bauwelt widmete dem Gebäude 1958 ein ganzes Heft. Der filigrane Institutsbau steht auf einem drei-eckigen Areal im Süden des Universitätsgeländes. Kramer nutzte eine vorhandene Senke, um Teile des Komplexes aufzustelzen: Der Hörsaalkubus, der Kopfbau im Westen sowie der überdachte Zugangssteg, der den Hörsaal und den 90 m langen Institutsriegel von der Straße aus erschließt, ruhen auf schlanken Stahlpylonen.

Die Pharmazie wurde in der damals neuen Skelettbauweise errichtet. Ein Gerüst aus Stahlbeton stützt die Decken, tragende Wände gibt es nicht. Dadurch entsteht im Inneren ein Höchstmaß an Flexibilität: Die Räume lassen sich ohne großen Aufwand verändern und neuen Nutzungen anpassen. Lichte Raumhöhen von 3,5 m erlauben das nachträgliche Einziehen von Lüftungs- und Medienkanälen. Die Trag­struktur des Stahlbetonfachwerks ist an der Außenfassade ablesbar. Zwischen den Stützen wurden die Brüstungsfelder mit hellen, gelb-braunen Mauerklinkern ausgefacht. Ein Novum waren die auf der Nordseite zu langen Bändern zusammengefassten Chicago-Fenster – mit ihrem festverglasten Mittelteil aus Zweischeiben-Isolierglas und den beiden schmalen, beweglichen Flügeln aus Verbundglas.

Funktional und nutzerfreundlich sollte das Gebäude sein, zugleich heiter, leicht und filigran wirken. In Anlehnung an Le Corbusiers Brises-Soleil entwarf Kramer Sonnenblenden, die er in Form eines großen Gitters vor der Südfassade montieren ließ. Diese Sonnenlichtbrecher schützen die Räume vor direktem Licht und verleihen der Fassade Plastizität.

Beispielhaft vereint das Gebäude Funktion, Konstruktion und Gestaltung und war darüber hinaus vorausschauend geplant. „Wir haben noch kein bestehendes Projekt bearbeitet, welches sich so gut an die Bedingungen der heutigen Zeit anpassen konnte“, sagt Projektleiter Matthias Solbach vom Architekturbüro SSP SchürmannSpannel.

Denkmalschutz und Sanierung

2009 gewannen die Bochumer Planer einen europaweiten, zweistufigen Wettbewerb mit anschließendem VOF-Verfahren. Bis 2013 wurde das denkmalgeschützte Ensemble durch SSP kernsaniert. Wo einst Studenten experimentierten, erforschen nun rund 160 Wissenschaftler am Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) den Klimawandel. Der Umbau war weitaus günstiger als ein Neubau: Rohbau und Fassade standen bereits, die neue Nutzung war der alten durch­aus verwandt, Kramers weitsichtige Planung erleichterte die Umnutzung. Ausbauraster, Stützweite und Geschosshöhe ließen viele Freiheiten zu. „Trotzdem war es der komplexeste Umbau, den ich je erlebt habe“, sagt Matthias Solbach.

Am Beginn stand eine umfassende Dokumentation: Alle Räume und die Kubatur wurden fotografiert, ein Schadbildkataster angelegt, Veränderungen aus mehr als 50 Nutzungsjahren in Plänen dokumentiert. Ein Restaurator ermittelte den Erstanstrich aller Oberflächen. Erst danach wurde das Beton-skelett von seinen Einbauten befreit, einzig Tragwerk, Treppen und Außenfassaden blieben bestehen. Der Klinker wurde gereinigt und neu verfugt. Den nachträglich auf das Sichtbetonskelett aufgebrachten Schutzanstrich beließen die Planer. Ebenso die klobigen Winkeleisen der Brises-Soleil (der ursprüngliche Sonnenschutz aus Ortbeton war 1987 gegen Fertigteilblenden ausgetauscht worden). „Wir haben uns gegen den Rückbau funktionsfähiger Bauteile entschlossen. Ein Gebäude ist kein Museum, man muss Veränderungen ablesen können, auch wenn sie nicht immer schön sind“, sagt Solbach.

Denkmalschutz und Energiesparen

Wegen einer Ausnahmeregelung in der EnEV 2009 hätten SSP bei der Fassadensanierung auf eine Dämmung verzichten können. Doch damit gaben sie sich nicht zufrieden. Das außen sichtbare Betonskelett wies durch das Sonnenschutzgitter im Süden an den Geschossdecken Wärmebrücken auf. Die Ziegelausfachungen der Brüstungen waren ungedämmt und boten sich für eine Innendäm­mung an. Da sich die Stützenquerschnitte nach oben geschossweise verjüngen, wurden auch die Geschosse unterschiedlich dick gedämmt: Im 1. und 2. OG dämmen 20 cm dicke Porenbetonsteine die Nischen, im EG sowie 3. und 4. OG wurden 6 cm dicke Silikatdämmplatten verbaut. Beide Innendämmungen erhielten einen mineralischen Kalkzementputz und einen Silikatanstrich. Die zugigen, verrotteten Holzfenster wurden gegen zweifachverglaste Holz-Aluminium-Verbundfenster ausgetauscht, ihre charakteristische Teilung blieb erhalten. Nach der Sanierung erreicht die Fassade einen U-Wert von 0,65 W/(m K), die Transmissionswärmeverluste wurden halbiert.

Kramers Institutsbau zeichnet sich durch eine extrem filigrane, materialsparende und dennoch stabile Bauweise aus. Die Betonrippendecken sind nur 5 cm dick, können aber trotzdem Lasten bis zu 500 kg/m² aufnehmen. Das feingliedrige Tragwerk und die mangelnde Betonüberdeckung stellten die Architekten beim Brandschutz jedoch vor Probleme: Um die notwendigen Qualität F-60 zu erreichen, wurden Risse geschlossen, freiliegende Bewehrungen überspachtelt und ein 2 cm, im Sturzbereich 5 cm dicker Spritzputz aufgetragen. So ließ sich die Höhe der abgehängten Decken beibehalten, die anderenfalls bis unter den Fenstersturz gereicht hätten.

Die charakteristischen Bestandteile des Gebäudes blieben im Original erhalten: Das skulpturale Haupttreppenhaus mit seinen schlanken, durchgefärbten Ortbetonbrüstungen verkörpert noch immer 1950er-Jahre-Flair. Für Kramers Institutsbauten typisch, belichtet eine Wand aus Glasbausteinen den Treppenraum. Vor der Glaswand fügten die Architekten zwischen den Stützen passgenau runde Radiatoren ein, wie man sie aus dem Industriebau kennt. Auch die stählerne Nottreppe, die in einer Nische an der östlichen Stirnwand sitzt, wurde erhalten: SSP konstruierten extra einen belastbaren Holm, mit dem die Treppe den gewachsenen Statik-Anforderungen genügt.

Haustechnik Büros, Seminarräume und Labore erhielten eine mechanische Belüftung mit Wärmerückgewinnung und werden über eine Gasbrennwerttherme beheizt. Die Lichtsteuerung erfolgt tageslichtabhängig und wird über Präsenzmelder gesteuert. Auch die Serverräume des Daten- und Modellierzentrums, ein molekularbiologisches Laborzentrum sowie ein großes Bohrkernlager brachten die Planer im Gebäude unter. Der Großteil der Haustechnik versteckt sich im Keller und in der Dachzentrale. Die Mesokosmenhalle, in der verschiedene Klimaszenarien simuliert werden, verbargen die Planer hinter dem Hauptgebäude unter einem Erdwall auf der Nordseite. So blieb die denkmalgeschützte Fassade unverstellt.

Vordenker Kramer hatte für Nachinstallationen bereits Einzelschächte in den Laboren vorgesehen. Sie mussten nun jedoch durch weitaus größere Sammelschächte ersetzt werden. Zwischen den Schächten weiteten die Architekten die Flure auf, vor den Außenbalkonen entstanden Räume zum zwanglosen Austausch. Interessenkonflikte zwischen Architektur und Haustechnik – bei SSP gibt es das nicht: Architekten, Stadtplaner und Haustechnikingenieure arbeiten als integrales Planungsteam unter einem Dach. „Wir haben alle ein gemeinsames Ziel“, sagt Matthias Solbach. Ferdinand Kramer hätte das sicher gefallen. Michael Brüggemann, Mainz

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