Serendipity: Vom Glück des Findens

Luhmann, Gomringer und Co. in zwei hochspannenden Ausstellungen in Bielefeld

Was haben der fast schon mystifizierte Soziologe und Systemtheoretiker Niklas Luhmann und der fast ebenso legendäre, aber noch lebende Eugen Gomringer gemeinsam?

Nun, auf der Oberfläche schon einmal, dass ihnen und einigen Begleitern in Bielefeld je eine hochspannende, so selten jemals wieder zu sehende Ausstellung gewidmet wurde (Luhmann und Co. in der Bielefelder Kunsthalle, Gomringer und Co. im Bielefelder Kunstverein). Aber natürlich verbindet beide noch etwas ganz Zentrales: Beide arbeiten mit Text- und Bedeutungsebenen, beide formen ihre Arbeiten aus Zettel- und Wortbergen, beide schauen auf die Welt als eine Gestaltungsmöglichkeit. Und beide finden sich in dem schönen Begriff der „Serendipity“ wieder (Ausstellungstitel zu Luhmann und Co. in der Kunsthalle), der nichts weniger bedeutet als das große Glück, wenn man etwas findet, das man eigentlich nicht gesucht hat, das aber für den Suchenden einen neuen Blick auf das öffnet, was er eigentlich gesucht hat.

Niklas Luhmann, dessen systemischer Ansatz sich in seinen Zettelkästen widerspiegelt, die zu füttern und pflegen ihn mehr Anstregung gekostet hat, als die riesige Menge Bücher zu schreiben, die der Gelehrte uns hinterlassen hat, diese sechs originalen Kästen stehen als Ikone der Sozial- und Geisteswissenschaft im Foyer des Museums. Das, was sich in ihnen konzentriert und gleichzeitig verflüchtigt, das was sie offenbaren und natürlich verbergen, wirkt, so die Kuratoren der Ausstellung, als Scharnier für die Gegenüberstellung/Parallelstellung zu den hier ebenfalls gezeigten Arbeiten von Ulrich Rückriem und Jörg Sasse. Beide – und das überrascht zunächst mit Blick auf Rückriem – zeigen Foto- und Papierarbeiten, die sich sämtlich in ihrer Konzeptionalisierung auf das „Glück des Findens“ beziehen lassen: Rückriems Abstraktionen von Formen in Flächen erwachsen aus exakt formulierten Systemen. Ihre Vielfalt basiert dabei auf Variationen, die unendlich möglich erscheinen. Die Begrenzung auf ihr Endliches scheint so den Augenblick einzufrieren, der zumindest die Zufriedenheit, vielleicht sogar den Moment des Glücks im Finden einfängt.

Bei Jörg Sasse scheint die Suche nach Bildern, die nicht eigentlich seine sind („Tableaus“), ebenfalls vom Moment des Glücks im Finden beschreibbar zu sein. Das zufällige Vorhandensein des Materials, seine schnelle Bearbeitung und Aufbereitung in „Speichern“, aus denen die Motive herausgenommen und immer wieder variiert aufgehängt, gezeigt werden können, haben zumindest das Potenzial vom Glück im Finden in sich; jedenfalls wird das in den Reihen offenbar, die in Bielefeld gezeigt werden.

Wenige hundert Meter Luftlinie entfernt dann Eugen Gomringer. Wenn nicht der Erfinder, so ist er doch der zuverlässigste Arbeiter im Garten der Konkreten Poesie bis heute (er selbst bezeichnet sich, um seine Verbindung zur Konkreten Kunst zu betonen, als „Künstler der Poesie“). Seine Arbeiten mit Texten und Wörtern scheint einem ebenso systemischen Prinzip zu folgen, wie es Luhmann für seine Theorien erfand und angewandt hatte. Sprache visuell in Bedeutungsfelder zu setzen, Bedeutung zu variieren bis die Bedeutung Erkenntnis wird ... nicht unbedingt vom Glück, manchmal auch nur vom „Kein Fehler im System“. Sein Ansatz, über Spiel und Zufall zu etwas Neuem, vorher noch nicht Gedachtem zu gelangen, entspricht so sehr der Serendipity, dass man sich wundert, wieso die beiden Ausstellungen nicht viel näher zusammen gegangen sind. Über ein Buch beispielsweise. Oder über einen Text, der länger wäre als dieser hier. Be. K.

Serendipity – Vom Glück des Findens. Niklas Luhmann, Ulrich Rückriem, Jörg Sasse. Kunsthalle Bielefeld, noch bis zum 11. Oktober 2015. Katalog bei snoeck. Im ganzen September ist der Eintritt frei!
 
EUGEN GOMRINGER & Mit Werken von: Eugen Gomringer, Ann Cotten, Natalie Czech, Kenneth Goldsmith & John Ashbery, James Hoff, Karl Holmqvist, Sophia Le Fraga, Tan Lin, Hanne Lippard, Nils Menrad, Michalis Pichler, Cia Rinne. BielefelderKunstverein, noch bis zum 25. Oktober 2015. Begleitheft

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