Im Bücherhimmel auf Erden

Neues Museum, weniger Fachbücher. Birkhäuser verkauft? Von Redakteur Benedikt Kraft

Waren es in diesem Jahr bereits 100.000 neue Buchtitel, die der internationale Verlegermarkt auf seine Leser geworfen hat? 124.000 Bücher exakter geschrieben, die allesamt gelesen werden wollen? Die meisten davon wurden sicher nur von einer handvoll einem Verleger treu ergebener Freaks oder Gourmets erwartet, die unterhalten und/oder intellektuell gefordert werden möchten. Doch ob die ihre Neuerscheinungen dann auch im Messegewirr gefunden haben?

Das E-Book, der Reader, die Digitalisierung ...

Da haben es die Architekten schon ein wenig leichter, „ihre“ Verlage konzentrieren sich gewohnheitsgemäß in der Halle 4 (.1.), ein paar in Halle 3, weitere in Halle 8 bei den ausländischen oder jedenfalls dezidiert international ausgerichteten Verlagen. Rund 400 Architekturbuchverleger, Galeristen oder Hochschulen aus der ganzen Welt präsentierten ihre Publikationen auf der Messe, von mehrbändigen Enzyklopädien, über Reihen und Monografien bis hin zu Fachzeitschriften und handgemachte Künstlerbücher. Das E-Book? Spätestens seit der Buchmesse 2002 in Frankfurt, als Umsatzrückgänge um rund 4,7 Prozent gemeldet wurden, war es der Feind des ganze Wälder verbrauchenden klassischen Druck-Mediums und auch in 2009 schreiben die Medien, in diesem Jahr wäre mit den neuen „Readern“ – so heißen die Lesegeräte heute – der Trend für die kommende Lesesaison geschaffen. Doch die Architekturbuch-Verleger winken ab: Noch seien die „nice to haves books“, also aufwändig gestaltete, fotolastige Publikationen mit besonderem Papier und Großformat durch die digitalen Taschenzwerge nicht ersetzbar, auch reine Fachbücher werden immer noch gedruckt und – wenn es Sinn macht – mit beiliegender DVD ergänzt.

Die Zukunft von Birkhäuser ist ungewiss

Doch bevor diejenigen, die immer schon am Geruch eines Buches, seines spezifischen Gewichtes und der Haptik des Papiers erkannten, um wessen Geistes Kind es sich hier handle und ob es sich lohne, für sein Studium kostbar gewordene freie Zeit zu investieren, bevor diese Hardliner der so genannten wie kaum beschreibbaren abendländischen Kultur ihr „Ich habe ja immer schon gesagt, dass“ anstimmen, sollten sie davon Kenntnis nehmen, dass diese Sperrigkeit gegen eine vertretbare Digitalisierung auch dazu dienen kann, den Verkauf eines traditionellen und überaus seriösen Verlages zu annoncieren: Der seit Mai 2009 neue Geschäftsführer des renommierten Birkhäuser Verlages, Ralf Ueding, der die Situation im Architektur-und Design-Segment seines Verlages als „problematisch“ skizzierte, kam zu dem Schluss, man könne sinkende Erlöse im Printbereich nicht durch Online-Einnahmen kompensieren, wie dies noch im Wissenschaftsprogramm möglich sei. Springer möchte Birkhäuser verkaufen, intern wird auch über ein Management-Buy-out verhandelt.

Aktuelle Büromonografien. Bolles + Wilson gehen eigenen Weg

Insgesamt gesehen bestätigt sich der Trend, dass Architektenmonografien seltener werden und Verlage sich auf die ganz großen Namen konzentrieren (meist in internationalen Lizenz-Kooperationen). So kommt bei Phaidon, London, eine Monografie über das Werk von Álvaro Siza heraus (The Function of Beauty), eine über Fumihiko Maki und eine über Toyo Ito. Das große Format, mit welchem Phaidon und andere seit Jahren unhandliche Hantelware auf die Coffeetables der Welt hievten, war in diesem Jahr nicht auszumachen; es sei denn, man betrachtet Band 5 (Norman Foster, Works, Prestel, München) mit den ersten vieren zusammen als reguläres Superschwergewicht.

Aus anderen Zeiten kommen Arbeiten von Oscar Niemeyer, deren „öffentliche“ in dem bilderprallen Fotoband bei DVA vorgestellt werden; natürlich ausschließlich unter blauem Himmel. Ganz anders dagegen der Band „Bruno Giacometti erinnert sich“ (Scheidegger & Spiess), der ebenfalls von der Arbeit eines Architekten aus gar nicht so fern entlegenen Zeiten berichtet, die uns Heutige jedoch wie unter dem Schutt der Geschichte vergraben erscheinen und unvorstellbar unerreichbar: Giacomettis Architektur ist, beispielhaft für eine ganze Generation des Bauens, in seinem innersten Wesen (Konstruktion, Material) konzentriert und damit zu sperrig für die Verkoster des Mainstreams zugleich; eine Qualität, die wir heute wieder zu schätzen lernen angesichts all der onduliertanimierten Oberflächenwelten des Austauschbaren.

Dass Bolles + Wilson einen ganz eigenen Buchproduktions- und Vertriebsweg wählten unabhängig vom etablierten System, überrascht. So geriet ein Exemplar der neuen ersten Bürodokumentation eher per Zufall in die Hände des Rezensenten, über Amazon ist es nicht zu recherchieren. Sehen so die zukünftigen Produktions- und Vertriebskanäle aus? Alles handmade?

Buchreihen

Alle großen deutschen Verlage legen immer neue Reihen auf, immer sind es Sammlungen von Architekturen unter einem bestimmten Motto (Energie, Fläche, Kosten, Exotik, Kritiker, Größe, Farbe etc. etc.). Dass dieses Ausschlachten des Vorhandenen immer wieder einmal zu Mehrfachnennungen in den Parallelpublikationen führt ist umsatzgenerierend gewollt und fällt nur dem auf, der mehr als ein Buch kauft: Das schönste Einfamilienhaus kann auch das größte sein, den Kritikerpreis erhalten haben, unter 500 m² Wohnfläche bieten, am Hang realisiert worden sein, puren Luxus darstellen und sowohl in „Building the New Millennium“ wie auch „Living in the New Millennium“ vorhanden sein. Ein Projekt in acht oder mehr Büchern gleichzeitig zu publizieren heißt: Ich mache mir einmal etwas Arbeit und dann wird nur noch kopiert. Geht, kann man machen, die elektronischen Systeme heutiger Verlagshäuser sind so gebaut, sie verlangen geradezu den Mehrfachnutzen.

Und die Kinder. Wurden die in der Vergangenheit vielleicht so gerade eben noch mit kleinen Architekturspielen angesprochen, sind es heute schon Junior-Reihen (Prestel: „13 Bauwerke, die du kennen solltest“, darunter u. a. Schloss Neuschwanstein und das Nest in Peking). Oder so schöne Ausnahmen, wie das bei Ernst & Sohn erschienene: „Opa, was macht ein Bauschiniör?“, der gelungene Versuch, komplizierte Technik verständlich zu machen, sie mit all ihrer Komplexität dem kindlichen Denken nahe zu bringen (auch dem der Erwachsenen!). Für die Jugend ist noch nichts auf dem Wege, in dieser schwierigen Selbstfindungsphase sind es auch nicht mehr die Eltern, die Lesestoff vorgeben können; und welcher 14-jährige sollte sich denn auch interessieren für Le Corbusier, das Hansa-Viertel in Berlin oder die Energieeinsparverordnung in ihrer zurzeit gültigen Fassung?!

Rezensionsexemplare, demnächst hier

Es gab keine wirklichen Highlights, aber wie immer die vielen vielen kleinen Entdeckungen. So das „The Dolder Grand“ bei Lars Müller, ein dicker Foto- und Textwälzer, der sich dem Umbau eines der grandiosen Hotels in der Schweiz bis ins Detail widmet (demnächst hier besprochen). Oder die „Generative Gestaltung“ bei Hermann Schmidt, Mainz, die den Zusammenhang von Zahlenkomplexen und Entwurfsmodellen oder umgekehrt beleuchtet (demnächst hier besprochen). Oder „Retrodesign“ (Hermann Schmidt), das der Frage nachgeht, woher kommen eigentlich die Formen immer wieder und wie lässt sich ein solches Wurzelwerk gewinnbringend für die eigene Arbeit entziffern. Oder „Migropolis“ bei Hatje Cantz, eine Art von Atlas, der sich dem Phänomen der globalisierten Stadt am Beispiel Venedigs annimmt (demnächst hier besprochen). Oder „Neues Museum Berlin“ bei Walther König, Essayband sowie weitere Bilder der Candida Höfer (demächst hier besprochen). Überhaupt das Neue Museum: Kein anderes Gebäude bewegt so sehr die deutschen Architektur- und Kunstbuchverlegerherzen, der Bau von David Chipperfield mit Julian Harrap hat es in viele Verlagsprogramme geschafft; so unter anderem in das des Deutschen Kunstverlags, E. A. Seemann, Jaron Verlag, Hatje Cantz oder Nicolai (alle demnächst hier besprochen). Dass auch der erstmals zur Buchmessenzeit verliehene Architekturbuchpreis des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt nicht wirklich DAS eine Buch entdeckte, das die Fach- oder Liebhaberherzen höher schlagen ließe, unterstreicht den Verdacht, die Verleger hätten sich in 2009 ein wenig mehr zurückgehalten.

Fachbuch und digitales Drumherum

Die Themen in den Fachbüchern (Schwarzbrot!) sind erwartungsgemäß auf energetische Planung ausgerichtet, hier sind sowohl Neubauplanungen, Umbauten, Sanierungen bei WEKA, Rudolf Müller, Vieweg+Teubner, Bauwerk, Birkhäuser, DVA oder Huss Medien vertreten. Der Großteil der Bücher sind Planungshilfen, ein weiterer dokumentiert und kommentiert die sich geänderten Planungsvoraussetzungen (meist rechtlicher Art). Mehr und mehr verlagern hier die Büchermacher Inhalte in beiliegende digitale Informationen (Tabellen, importierbare Zeichnungen etc.) oder verkaufen mit dem Printprodukt den individuellen Zugang zu tagesaktuellen online-Informationen. Bei den meisten dieser Produkte wird mit Subskriptionen geworben, wer hier früh bestellt, kann gut und gerne bis zu 25 Prozent vom Buchpreis sparen.

Noch mehr sparen kann der, der gar keine Bücher kauft. Aber dem werden eines nicht fernen Tages die Ideen ausgehen, die Planung mißlingen, und ganz sicher: Langeweile auf die Füsse treten. Wer das aushält, dem ist ohnehin nicht zu helfen.

Hier finden Sie die meisten der im Text angesprochenen Bücher ... in den nächsten Wochen!

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