Wilhelmhospital, Diakonie-Klinikum Stuttgart
Das Wilhelmhospital ist Bestandteil einer Gesamtbaumaßnahme, die aufgrund der dynamischen Entwicklungen im Gesundheitswesen kaum je zum Stillstand kommt. Umbau und Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes bei laufendem Betrieb waren eine bauliche und vor allem auch organisatorische Herausforderung. Durch das besondere Augenmerk auf dieNatursteinfassade konnte auf dem innerstädtischen Klinikareal ein Stück Krankenhausge-schichte erhalten werden.
Text: Achim Geissinger, Stuttgart
So manchem aufmerksamen Passanten waren die Gerüste und die sechsjährige Umbau- und Sanierungszeit aufgefallen. Waren Auftraggeberin und Planer:innen zunächst von weitgehend intakter, belastbarer Bausubstanz und somit schnellem Vorankommen ausgegangen, wurde beim Entfernen der zu erneuernden Gebäudesubstanz klar, wie substanziell die Bombentreffer des Zweiten Weltkriegs das Gebäude von 1906 geschädigt hatten, wie hurtig und mit welch minderwertigem Material es direkt danach wieder nutzbar gemacht werden musste. Zudem waren über die Jahre immer neue Schlitze geklopft und einzelne Wände sorglos und undokumentiert mit Durchbrüchen stark geschwächt worden.
Zwischen dem Paulinenbau von 2004 und dem Wilhelmhospital liegt der Haupteingang, von dem aus das gesamte Klinikum zentral über kurze Wege erschlossen ist. Die weißen Leichtbau-strukturen sind Bestandteil coronabedingter Schutzmaßnahmen
Foto: Dietmar Strauß
Bauprozess bei laufendem Betrieb
Der Plan, zügig alle Vollgeschosse von unten nach oben zu erneuern, wich zunächst der Befunderhebung und so manchem entsetzten Blick unter dem Eindruck, das ganze Haus hielte nur noch aus Gewohnheit. Etappenweise mussten die Wände und Tragstrukturen untersucht, abgestützt, ertüchtigt oder ersetzt werden. Für die Belastbarkeit der 6 bis 10 cm dicken Betondecken aus der Nachkriegszeit ließ sich weder ein einheitlicher statischer, noch ein brandschutztechnischer Nachweis führen; überall ergaben sich Sondersituationen in Bezug auf Tragfähigkeit und Bodenaufbau. Lucas Müller, Partner im Büro Arcass Architekten, betont in diesem Zusammenhang das Engagement der Tragwerksplaner und Prüfstatiker: „Unter ihrer Mitwirkung konnten etwa 30 % der Deckenflächen erhalten werden.“ So wurde dazu unter anderem durch Belastungstest mit flächig aufgebrachter Kalksandsteinlast (und unterspanntem Auffanggerüst) das Tragverhalten erforscht. Der gesamte Bauprozess erfolgte bei laufendem Betrieb über und unter den jeweils in Umbau befindlichen Geschossen und aus der Notwendigkeit heraus, einen bestimmten Prozentsatz an nutzungsfähigen Betten im Haus aufrechtzuerhalten, mit deren Belegung der Bauherr die Baukosten mit abdecken musste.
Der Zugang vom Treppenhaus her, der Pflegestützpunkt und der Aufenthaltsraum für die Patient:innen liegen dicht beieinander an zentraler Stelle im Flur, der sich hier ein wenig aufweitet
Foto: Dietmar Strauß
Klare Funktionsverteilung
In mehreren Bauabschnitten arbeitete man sich vom Fundament, das ertüchtigt werden musste, nach oben, zunächst zu der für das gesamte Klinikum zentral eingerichteten Patientennaufnahme auf der Eingangsebene, die organisatorisch ausgeklügelt mit optimierten Abläufen und kurzen Wegen die Wartezeiten verkürzt. Auf dieser Ebene 0 ist direkt vom zentralen Klinikfoyer aus auch die Kapelle zugänglich, Teile der Räume für die zugeordnete Verwaltung, Personal und Technik sind halb ins Gelände eingegraben.
Die Normalstationen im 1. und 2. OG sind nicht ganz so hochwertig ausgestattet wie die für Patient:innen mit Wahlleistungen und die Palliativstation
Foto: Dietmar Strauß
Die vier Geschosse darüber beinhalten die Stationen der chirurgischen und der urologischen Abteilung mit den benötigten zeitgemäßen Patientenzimmern im Neubaustandard. Um gleichwertige Zimmer entlang der Straßenfassade und funktionale Räume zur Rückseite hin zu erhalten, mussten etliche Wandabschnitte weichen, ersetzt oder mitunter an anderer Stelle neu hergestellt werden. Leider eignete sich das Abbruchmaterial nicht zur Wiederverwendung. Aus dem Maß der Fens-terachsen und der beschränkten Gebäudetiefe ergab sich ein Zimmertypus mit verschränkten Nasszellen und ohne die üblichen Flursituationen direkt hinter der Zimmertür. Die zentral im Mittelrisalit gelegenen Zimmer wurden zu Aufenthaltsräumen für die Patient:innen umgewidmet; zum Flur hin raumhoch verglast, ergibt sich vom Treppenhaus kommend ein Eindruck von Offenheit und Transparenz.
Die Zimmer für die Patient:innen mit Wahlleistung sind v.a. durch die Holzoptik des PVC-Bodens gekennzeichnet und mitunter mit nur einem Bett belegt
Foto: Dietmar Strauß
Die Ebenen 1 und 2 sind mit Normalstationen belegt, zu erkennen am Boden aus gelbem Kautschuk, der im gesamten Diakonie-Klinikum durchgängig als Farbträger zum Einsatz kommt.
Auf der Ebene 3 sind die Patient:innen mit Wahlleistung in Komfortstationen unter sich, ihnen steht ein Treffpunkt mit Teeküche und weitläufigem Balkon zur Verfügung. Die Holz-optik des PVC-Bodens signalisiert hier den höherwertigen Standard.
Auf der Ebene 4 liegt die Palliativstation: Zwei „Wohnzimmer“ in den Gebäudeecken, jeweils mit Küche und Zugang zu den luftigen Loggien, bieten Aussicht, geschützten Außenraum und vor allem die Möglichkeit für Patient:innen und deren Angehörige, eine großzügige Wohnsituation außerhalb ihres Zimmers erfahren zu können.
Die beiden Geschosse unter dem – beim Wiederaufbau gegenüber dem Original in vereinfachter Form hergestellten – Dach waren von Arcass bereits 2010 für die psychosomatische Tagesklinik auf Vordermann gebracht worden und nicht Bestandteil des aktuellen Auftrags.
Die nötigen medizinischen Produkte und die Versorgungsanschlüsse kommen in eigens entworfenen unauffälligen Einbaumöbeln und Leisten unter. Mit verschiedenen Leuchten lassen sich unterschiedliche Lichtstimmungen herstellen
Foto: Dietmar Strauß
Stemmen, Bohren, Hämmern
Damit alle Personen die Beeinträchtigungen durch Baulärm und Erschütterungen mittragen konnten, wurde eine offensive Kommunikationsstrategie umgesetzt. Regelmäßig gab es Mitarbeiterinformationen über die Ziele der einzelnen anstehenden Baumaßnahmen, über Zeitraum und Ausmaß der jeweiligen Belastungen und über die Vorteile des Endergebnisses in Struktur und Gestaltung. So gewappnet konnte man auch beruhigend auf die Patient:innen einwirken, sodass sich alle „mitgenommen“ fühlten.
Dazu gehörte auch umsichtiges Vorgehen beim Umbauen selbst, etwa durch geräuschreduziertes Arbeiten in kleineren Etappen ohne zu großes Gerät, Sägen statt Stemmen und Bohren oder die klare Benennung des Arbeitszeitraums von 7 – 18 Uhr mit einer Stunde Mittagspause. Zudem griff eine klar definierte Eskalationskette für den Fall, dass die Beeinträchtigungen das erträgliche Maß doch überschreiten sollten.
Die beiden geräumigen „Wohnzimmer“ im 4. OG mit Küchenzeile und Zugang zu den luftigen Loggien machen den Patienten der Palliativstation und ihren Angehörigen ein zusätzliches Raumangebot
Foto: Dietmar Strauß
Architekt Lucas Müller verweist in diesem Zusammenhang auch auf die regelmäßigen, eng getakteten Jour fixe-Treffen mit allen Beteiligten zur Abstimmung von Fachexpertisen und Rahmenbedingungen. Als sehr gelungen empfindet er die Zusammenarbeit mit dem Lenkungsausschuss, bestehend aus Geschäftsführung und technischer Leitung des Hauses, der „im Vergleich zu Häusern mit mehr Hierarchie-Ebenen eine übersichtliche Struktur bietet und zu raschen Entscheidungen in der Lage ist“.
Immer weiter
Da die Entwicklungen im Gesundheitsbereich mitunter rasant voranschreiten und sich die organisatorischen Anforderungen schnell verändern, gestaltet sich die Arbeit an einem Klinikum als „Work in Progress“. Wichtig ist dabei anzuerkennen, dass die eigentliche Expertise letztlich bei den auf Krankenhausbau spezialisierten Architekt:innen liegt, deren Wissen kontinuierlich über den Arbeitskreis Gesundheitsbau (AKG – Architekten für Krankenhausbau und Gesundheitswesen e.V.) aktualisiert und erweitert wird.
Angenehm hell wie alle Räume im Haus und mit angenehmen Oberflächen gestaltet sind auch die Bäder, selbst die wenigen ohne Tageslicht
Foto: Dietmar Strauß
Mustergültig abzulesen ist das am Diakonie-Klinikum. Dessen Keimzellen sind die 1845 gegründete Paulinenhilfe, die als älteste fortbestehende orthopädische Klinik der Welt gilt, sowie das Diakonissenkrankenhaus, gegründet 1854, die beide durch diverse königliche Stiftungen einen enormen Ausbau erfuhren, der bis heute anhält – zuletzt erweitert um ein Gesundheitshaus mit Mietwohnungen auf der gegenüberliegenden Straßenseite (2016, willwersch architekten, Stuttgart) mit Arztpraxen und einschlägigen Fachgeschäften. In das dortige Erdgeschoss wurde auch die nun hochmoderne Aufbereitungseinheit für Medizinprodukte ausgelagert und durch einen unterirdischen Verbindungskanal angebunden. Auf dem eigentlichen Klinikareal, das zwei Straßenblöcke umfasst, erforderte die innerstädtische Lage im belebten Stuttgarter Westen über die Jahrzehnte eine fortschreitende Nachverdichtung und Überformung der Nachkriegsbauten, wenn nicht gar deren Ersatz. Fast alle neueren Bauten auf dem Areal wurden von Arcass geplant, so der Paulinenbau von 2004 mit Orthopädie, Innerer Medizin, Röntgen und Zentralküche, der vielfältig genutzte Sophienbau von 2007 und der Charlottenbau von 2008 mit Augenheilkunde und urologischer Ambulanz. Wegen der beengten innerstädtischen Rahmenbedingungen mussten Parkraum und Liegendkrankenhalle innerhalb der Gebäude realisiert und über Rampen erschlossen werden. Soweit möglich, wurden die Patientenzimmer zum ruhigen, großzügigen, hellen und begrünten Innenhof hin orientiert, den die Reflexionen der ockerfarbenen Fassaden in ein angenehmes Licht tauchen.
Die funktional und hell eingerichteten Pflegestützpunkte bieten dem Pflegepersonal angenehme Arbeitsbedingungen
Foto: Dietmar Strauß
Demgegenüber überzeugt das denkmalgeschützte Wilhelmhospital nun mit etwas mehr als 100 Betten in hochmodernen, funktionalen Räumen. Von der ursprünglichen Ausstattung erhalten bleiben konnten Stufen, Terrazzoböden und die Jugendstil-Geländer im Treppenhaus.
Die neuen Holz-Aluminium-Fenster sitzen in der originalen Sandsteinfassade, deren Schadensbild akribisch kartiert und durch Ausbesserungen mit Steinzement oder durch Austausch etlicher stark verwitterter Partien, etwa der Fenstersimse, zuletzt durch Dampfstrahlen in einen Zustand strahlender Frische versetzt wurde. Um den Dämmwert der dicken Mauern ist es nicht allzu gut bestellt. Bedeutender ist aber der Erhalt der Bausubstanz an sich und somit auch der Wiedergewinn historischer Stadtgestalt, nicht zuletzt durch die originalgetreue Wiederherstellung des Vorgartens. Auch schräg gegenüber tut sich etwas: Der über lange Zeit verwilderte Diakonissenplatz wird momentan in einen Park umgewandelt.
Grundriss Ebene 0, M 1 : 750
1 Seminarraum
2 Büro
3 Personalraum
4 Koordinator
5 Sozialer Dienst
6 Verwaltung
7 Flur Zentrale Patientenaufnahme
8 Aufnahme
9 Wartezimmer
10 Technik
11 PTA-Raum
12 Anmeldung/Leitstelle
13 Eingangs-/Verbindungshalle
14 Nebenraum Kapelle
15 Zugang Kapelle
16 Kapelle
17 Innenhof
18 Garderobe
19 Aufenthaltsraum Reinigungspersonal
20 HWS-Leitung
21 HWS-Stellvertretung
22 2-Bettzimmer
23 Wohnzimmer/ Teeküche
24 Dachterrasse
25 1-Bett-Zimmer
26 1-2-Bett-Zimmer
27 Raum der Stille
28 Abstellraum
29 Stützpunkt/Arbeiten rein
30 Entsorgung
31 Flur Palliativstation
32 Oberarzt
33 Verwaltung
34 Betriebsmittel
35 Arztdienst/Fallkoordination
36 Pflegerische Leitung
37 Arbeiten unrein
Arcass Freie Architekten BDA
Lucas Müller
www.arcass.de
Foto: Arcass
Projektdaten
Objekt: Diakonie-Klinikum Stuttgart, Umbau und Sanierung Wilhelmhospital
Standort: Stuttgart West
Typologie: Krankenhausbau
Bauherrin: Diakonie-Klinikum Stuttgart Diakonissen-krankenhaus und Paulinenhilfe gGmbH
Nutzer: Diakonie-Klinikum Stuttgart
Architektur: Arcass Freie Architekten BDA, Stuttgart, www.arcass.de
Team: Lucas Müller, Katrin Fuoss, Kristina Vogel, Peter Wuppermann, Jens Eiteljörge
Bauleitung: Ernst² Architekten AG, Stuttgart
Projektsteuerung: JEGGLE ARCHITEKTEN und Partner mbB, Kernen-Stetten
Bauzeit: 09.2016 – 07.2022
Grundstücksgröße: 14 777 m²
Brutto-Grundfläche: 7 900 m²
Brutto-Rauminhalt: 31 900 m³
Baukosten (nach DIN 276 / KG300-KG500): 29,972 Mio. €
Fachplanung
Tragwerksplanung: BuP., Boll Beraten und Planen, Ingenieurgesellschaft mbH & Co. KG, Stuttgart,
www.bup-ing.de
TGA-Planung: bis 2016: Ingenieurpartnerschaft H+H, Planungsbüro für Gebäudetechnik, Leonberg,
www.ingpartnerhh.de, ab 2016: PFÄHLER + RÜHL GMBH, Lehrensteinsfeld, www.pr-tga.de
Elektro- und Lichtplanung: Raible + Partner GmbH & Co. KG, Ditzingen, www.raible.de
Innenarchitektur: Arcass Freie Architekten BDA, Stuttgart, www.arcass.de
Bauphysik und Akustik: GN BAUPHYSIK, Stuttgart,
www.gn-bauphysik.com
Brandschutz: TRIAS Brandschutzplanung, Stuttgart, www.trias-ing.de
Medizintechnik: P3-plan GmbH, Esslingen, www.p3-plan.de
Vermessung: Vermessungsbüro Hils, Stuttgart,
www.hils.net
Fachplaner Natursteinfassade: Gerhard Feldmann, Bildhauer + Restaurator, Tübingen
Leitsystem: Projektgruppe Visuelle Kommunikation GmbH, Ludwigsburg, www.projektgruppe.de
Hersteller
Beleuchtung: Wila, www.schmitz-wila.com; Zumtobel, www.zumtobel.com; Occhio, www.occhio.de; Trilux, www.trilux.com; Targetti, www.targetti.com
Bodenbeläge: nora systems GmbH,
www.nora.com; Tarkett, www.tarkett.de
Fenster: Denkmalgeschützte Fassade: Fink Duo GmbH, www.fink-duo.de; Nordfassade: heroal,
www.heroal.de
Heizung: Arbonia, www.arbonia.de
Innenwände/Trockenbau: Rigips, www.rigips.de
Möbel, Patientenzimmer: HUSSL Sitzmöbel GmbH & Co.KG, www.hussl.at; KFF, www.kff.de; Lammhults, www.lammhults.se; Pedrali, www.pedrali.com
Sonnenschutz: Clauss Markisen,
www.clauss-markisen.ch
Türen/Tore: neuform, www.neuform-tuer.com
Medizinische Versorgungseinheit: Schyns,
www.schyns.de