Holzbau neu denken
Das Bauen mit Holz stößt in neue Dimensionen vor – das bringt höhere Anforderungen an Statik und Konstruktion mit sich. Damit dies nicht zulasten des Schallschutzes geht, müssen Planerinnen und Planer eine neue Balance finden. Dabei stehen Ihnen spezielle Verbindungsmittel hilfreich zu Seite.
Text: Dipl.-Ing. Stephan Bertagnolli
Die Durchstanzbewehrung leitet Kräfte bis zu 500 kN pro Aufhängepunkt und bis zu 5 000 kN Bemessungslast als Lastdurchleitung weiter
Illustration: Rothoblaas
Der Holzbau in Deutschland ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark gewachsen. 2022 stagnierte die Holzbauquote erstmals auf 21,2 %; vor allem deshalb, weil die Zahl der Baugenehmigungen um 14,3 % zurückgegangen war – vornehmlich bei den Ein- und Zweifamilienhäusern, die noch immer das Gros der Gebäude in Holzbauweise ausmachen. Doch der Trend ist unumkehrbar – auch im Geschosswohnungsbau und bei gewerblich genutzten Gebäuden; vor allem dort, wo der Holzbau stark unterstützt wird. In Bayern werden 500 Euro/t gespeichertem CO2 gefördert, in Hamburg 1 Euro/kg CO2 für den Einsatz von Holz in der Gebäudekonstruktion von Neubauten. Noch weiter ist Baden-Württemberg. Dort werden mit der interministeriellen Holzbau-Initiative seit 2018 überprüfbare Ziele verfolgt. Die Holzbauquote wuchs 2022 auf 32,4 %. Dieser Trend ist nicht nur durch direkte und indirekte Förderungen getrieben, sondern auch dadurch, dass Themen wie Bauökologie, CO2-Neutralität, Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und Rückbaubarkeit nicht mehr nur an Hochschulen, in Thinktanks und bei Tagungen diskutiert werden, sondern harte Entscheidungskriterien bei Architektinnen und Architekten, Bauherrinnen und Bauherren, Investorinnen und Investoren geworden sind.
Moderne Architektur ordnet sich aber nicht den Eigenschaften des Baustoffs oder den Möglichkeiten von Stahlbeton-, Hybrid- oder Holzbauweise unter, sondern definiert sich über Flächen, Formen und Flexibilität in der Raumgestaltung. Im Gegensatz zum Stahlbeton ist Holz ein vergleichsweise inhomogener Werkstoff. Nicht erst seit der Einführung der FEM-Berechnung wird im Stahlbetonbau nach der Plattentheorie gerechnet. Mithilfe von Tabellenbüchern wird im Stahlbetonbau bereits seit mehr als 50 Jahren zweiachsig gespannt. Der Holzbau hingegen spannt klassisch einachsig nach der Balkentheorie. Eine Querverteilung der Lasten wurde im Holzbau in aller Regel ausgeschlossen.
Die Winkel leiten Zug- und Schubkräfte ein. Dadurch wird die Anzahl der Verbinder reduziert
Illustration: Rothoblaas
Dies hat seinen Ursprung einerseits in der Beschaffenheit des Holzes, denn durch senkrecht zur Faser stehende Scherkräfte entsteht im Holz Rollschub, andererseits auch mit der natürlichen Wuchsform. Das Verleimen von Holz zu Platten etablierte sich erst Anfang der Jahrtausendwende durch das Brettsperrholz (BSP/CLT). Hierbei werden mindestens drei kreuzweise angeordnete, beleibte Lamellenlagen aufeinandergelegt. Daraus entstehen BSP-Platten mit Stärken von 60 bis 340 mm. Mit der Einführung von BSP wurde zeitnah die statische Berechnung nach der Finite-Elemente-Methode etabliert – und damit bis dato unvorstellbare Höhen für Gebäude in Holzbauweise erklommen.
2008 wurde mit dem E3 in Berlin ein Meilenstein gesetzt: das erste Gebäude der Gebäudeklasse 5 aus Holz. Die Gebäude werden seitdem höher, die Anforderungen an Brandschutz, Schallschutz und Statik komplexer und mitunter widerstreitend. Gegenwärtig wächst das Roots in Hamburg auf 65 m Höhe. Es gilt, die Anforderungen von Architektinnen und Architekten, Bauherrinnen und Bauherren einerseits und die mitunter widerstreitenden Interessen von Statik und Schallschutz andererseits zusammenzuführen. Konkret: Die Tragwerksplanerin und der Tragwerksplaner, die alles möglichst steif verbunden und die Schallschutzexpertin und der Schallschutzexperte, die alles konstruktiv getrennt haben möchten.
Durch die kombinierte Lastaufnahme der mehrdimensional belastbaren Winkel kann der Tragwerksplaner die Horizontallasten über die Wandlänge und die Zuglasten am Wandanfang auf die Winkel besser verteilen
Illustration: Rothoblaas
Neue Verbindungsmittel: weniger ist mehr
Wer sich als Architektin oder Architekt für den Holzbau entscheidet, der möchte diesen in der Regel auch erlebbar machen. Die gestalterischen Möglichkeiten und die Ästhetik des Baustoffs Holz wurden bislang durch sichtbare Befestigungselemente eingeschränkt. Der klassische Zuganker kann nur bedingt eingesetzt werden, da er in der Regel über den Estrich hinausragt. Durch innovative Verankerungskonzepte ist es jedoch gelungen, die ästhetisch ansprechende Oberfläche des Holzes sichtbar zu lassen und weniger Verkleidungen anzubringen.
Der gängige Ansatz zur Verankerung der Wände im Holztafelbau sieht drei Winkel vor. Diese sind konstruktive Winkel, die nach den Anforderungen der Montage gesetzt werden. Damit werden die Wände ausgerichtet und in Position gehalten. Für die Zug- und Schubbeanspruchung aus Wind- und Erdbebenlasten werden die Anschlüsse im Erdgeschoss auf Beton, in den oberen Geschossen auf Holz gesetzt. Diese werden für den Zug am Wandanfang und am -ende gesetzt, die Schubwinkel dazwischen positioniert. Die Herstellerinnen und Hersteller haben hierzu eine Vielzahl von verschiedenen Winkeln entwickelt. Dies erhöht allerdings den planerischen und logistischen Aufwand.
Die Stütze wird als Stahlstütze oder aber auch aus Furnierschichtholz (Gl75) gefertigt. Dadurch können schlanke Stützen ausgeführt werden
Illustration: Rothoblaas
Mit dem Winkel Titan V wurde 2019 ein neues Verankerungskonzept entwickelt und zertifiziert. Der als Schubanker eingesetzte Winkel wurde hierbei so weiterentwickelt, dass er gleichzeitig auch als Zuganker genutzt werden kann. Dieser Winkel war einer der ersten mehrdimensional belastbaren Winkel in einem statisch relevanten Lastbereich. Durch dieses Konzept wurde es möglich, die Zugwinkel am Wandende als reine Schubwinkel auszubilden. Dies hat eine Vereinfachung und eine weitere Reduzierung der Verbindungsmittel mit sich gebracht.
In Zusammenarbeit mit führenden Universitäten im Bereich der metallischen Verbindungsmittel wurde mit dem NINO ein kombinierter Schub- und Zugwinkel und ein Verankerungskonzept entwickelt, in den viele Jahre Erfahrung aus der Praxis und aus der Forschung eingeflossen sind. Mit vergleichsweise kleinen, sehr leistungsstarken und kostengünstigen Winkeln wird die Verankerung und die Positionierung der Wände gewährleistet. Dadurch sind keine großen Zuganker mehr nötig. Durch die geringe Höhe sind die Winkel nach dem Einbringen des Estrichs nicht mehr sichtbar.
Umfangreiche Tests und Optimierungen und die damit verbundene Europäische Technische Zulassung (ETA) stellen sicher, dass die Winkel den hohen Anforderungen gerecht werden und zuverlässig Lasten einleiten. Mit dem Verankerungskonzept werden bis zu 40 % weniger Winkel benötigt. Zudem können die Winkel durch lösbare Verbindungsmittel befestigt werden: mit Lochblechschrauben statt Rillennägeln und mit Betonankern statt chemischen Verbundankern. Dadurch wird der CO2-Fußabdruck des Gebäudes nochmals reduziert und seine Recyclierbarkeit erhöht.
TC Fusion: „Fliegender Plattenstoß“ mittels parallel zur Faser verschraubten Gewindestangen und einem Bewehrungskorb in der Mitte, der mit Beton vergossen wird
Illustration: Rothoblaas
Punktgestützte Flachdecken im Holzbau
Punktgestütze Flachdecken und das unterzugfreie Bauen sind seit der Einführung der Durchstanzbewehrung Standard im Stahlbetonbau, im Holzbau jedoch bis vor kurzem nicht möglich gewesen. Um eine zweiachsig gespannte Platte zu ermöglichen, wurden Aufbauten entwickelt, die in beiden Richtungen über eine ähnliche Steifigkeit verfügen. Die an den Punktlagern hohen Lasten würden bei einer direkten Auflagerung zu einem Querdruckversagen in den unteren Lamellen führen. Daher werden die Platten mittels Vollgewindeschrauben an sechs Armen aufgehängt. Diese Schrauben halten nicht nur die Platten, sondern dienen zugleich auch als Bewehrung. Denn die konzentrierten Lastspitzen an den Auflagen führen zusätzlich zu einer Rollschubbelastung im Bereich der Querlagen. Diese werden durch die Verschraubung verstärkt. Die Deckenlasten werden über ein Kegelstück in einen massiven Zylinder und weiter in eine Stütze geleitet. Die Stütze wird als Stahlstütze oder aber auch aus Furnierschichtholz gefertigt. Dadurch wird die angeführte Querdruckproblematik vermieden.
TC Fusion: Je nach Durchmesser der Schrauben und deren Abstand kann die entstandene „Betongasse“ gelenkig oder auch biegesteif ausgeführt werden
Illustration: Rothoblaas
Auf diese Weise kann im Holzbau ebenfalls eine Flachdecke ausgebildet werden. Diese bietet neben den gestalterischen Möglichkeiten und der geringeren Deckenhöhe den Vorteil, dass die technische Gebäudeausrüstung keine Kollisionspunkte mehr mit Unterzügen hat. Mit einem Stützenraster von 7 x 7 m und bis zu 10 kN/m² Bemessungslast öffnen sich neue Möglichkeiten für das Bauen mit Holz. Auch die Lastdurchleitung ist mit dem Zylinder möglich, da diese unabhängig von der Decke direkt durchgeführt wird. So können Kräfte von bis zu 500 kN pro Aufhängepunkt und bis zu 5 000 kN Bemessungslast als Lastdurchleitung weitergeleitet werden.
Die hierdurch erhöhte Flexibilität in der Grundrissgestaltung ermöglicht es, Räume vielseitig zu nutzen und optimal auszugestalten. Die architektonische Anpassungsfähigkeit fördert eine sinnvolle Umnutzung des Grundrisses über die Zeit hinweg, was den Lebenszyklus eines Gebäudes verlängert und Abfall reduziert.
Mit dem zunehmenden Mehrgeschossbau im Holzbau rückt der Schallschutz in den Fokus
Illustration: Rothoblaas
Ähnlich wie Betonfertigteile sind auch die BSP-Platten in ihrer Breite durch Produktion und Transport begrenzt. 7 m weit spannende Platten sind daher nur mit Verbundlösungen auf der Baustelle zu realisieren. Hierzu gibt es verschiedene Ansätze. Versuche mit Deckbrettern, um Zug und Schub aufzunehmen, Diagonalverschraubungen mit Vollgewindeschrauben, stirnseitigen Verklebung, eingeleimten Schlitzbleche und Verschiedenes mehr führten nicht zu den gewünschten Steifigkeiten oder waren auf der Baustelle schwer ausführbar. Daher wurde eine Lösung für den „fliegenden Plattenstoß“ entwickelt, die auf der Baustelle ohne großen Aufwand realisiert werden kann. Die sogenannte TC Fusion wird mittels parallel zur Faser verschraubten Gewindestangen und einem Bewehrungskorb in der Mitte ausgebildet, der dann mit Beton vergossen wird. Je nach Durchmesser der Schrauben und deren Abstand kann diese entstandene „Betongasse“ gelenkig oder auch biegesteif ausgeführt werden. Das erste deutsche Projekt, bei dem neben dem Spider auch die TC Fusion als Plattenstoß eingesetzt wird, ist gegenwärtig im Bau.
Schallschutz: Flankenübertragung reduzieren
Mit dem Höhenwachstum und der Möglichkeit zu punktgestützten Flachdecken im Holzbau gehen auch die erhöhten Anforderungen an den Schallschutz einher, vor allem bei der Reduzierung der Flankenübertragung des Schalls. Dabei wird der Schall über Baukonstruktionen wie Wände oder Decken von einem Raum in einen anderen übertragen. Im Holzrahmenbau ist dieses Thema nicht so relevant, da die vielen verschiedenen Materialien im Wand- und Deckenaufbau einen guten Schallschutz bieten. Im Holzmassivbau und vor allem bei sichtbaren Oberflächen ist die Reduzierung der Flankenübertragung hingegen sehr wichtig für den Schallschutz.
Die vielfachen Einflussfaktoren gestalten einen wirkungsvollen Schallschutz sehr anspruchsvoll und komplex – bereits im Testverfahren. Viele gegenwärtig auf dem Markt erhältlichen Produkte, bekannt als Elastomerlager, wurden nur im Hinblick auf die Bestimmung des dynamischen Elastizitätsmoduls und des Dämpfungsfaktors geprüft. In Ermangelung einer gemeinsamen Norm wurden bislang von den anbietenden Unternehmen unterschiedliche Prüfverfahren genutzt. Teilweise wurden die angewendeten Normen und der Prüfaufbau nicht angegeben.
Die Schalldämmbänder sind während ihrer Lebensdauer Lasten aus Eigengewicht und Verkehrslast ausgesetzt. Deshalb ist es für Planerinnen und Planer aus statischen und akustischen Gründen wichtig, das Langzeitverhalten abzuschätzen. Die Elastomerlager Xylofon sind die ers-ten Bänder, die über eine ETA (Event Tree Analysis) verfügen, in der nicht nur die schalltechnischen Eigenschaften definiert sind, sondern auch die statischen Maximalbelastungen sowie alle Verbesserungsmaße für Stoßstellen. Da diese Werte zuvor noch die Ungewissheit zu den gewählten Verbindungsmitteln bargen, berücksichtigen die veröffentlichten Werte die Befestigung mit Winkel und Schrauben. Der neue kombinierte Zug- und Schub-anker wurde auch nach den Anforderungen des Schallschutzes zertifiziert, ohne diesen dabei statisch zu sehr abzumindern und eine einfach und kostengünstig Montage zu ermöglichen.
Fazit
Der moderne Holzbau hat aus seinen traditionell-handwerklichen Wurzeln dank intensiver Forschung standardisierte und bauaufsichtlich zugelassene Produkte und Systeme entwickelt, die den Anforderungen von Architektinnen und Architekten, Tragswerksplanerinnen und Tragwerksplanern entsprechen. Moderner Holzbau zeichnet die Balance zwischen den Anforderungen wie Ästhetik und Nachhaltigkeit, aber auch Statik und Schallschutz aus, die bei der Planung und Umsetzung zu berücksichtigen sind. Daher ist die ganzheitliche Herangehensweise wichtig. Dies gelingt am ehesten, wenn schon in einer frühen Entwurfsphase Architektinnen und Architekten, Fachplanerinnen und Fachplaner zusammenarbeiten.
Autor: Dipl.-Ing. Stephan Bertagnolli ist technischer Berater bei rothoblaas
www.rothoblaas.de
Foto: Rothoblaas