Zu neuen Ufern

Fuß- und Radwegbrücke Varvsbron,  Helsingborg/SWE

Im schwedischen Helsingborg haben Ramboll und der Architekt Stephen James im Auftrag der Stadt eine Brücke für den Hafen entworfen, die das neue Wohn-und Büroquartier Oceanpiren für Fußgänger und Radfahrerinnen erschließt und ans Zentrum von Helsingborg anbindet. Die „Varvsbron“ (Werftbrücke) mit den mastartigen Pylonen ist ein neues Wahrzeichen der Stadt und eröffnet neue Perspektiven auf das raue Hafenareal.

An der nördlichen Spitze des Öresund, der Meeresenge zwischen Dänemark und Schweden, liegt Helsingborg, die älteste Stadt Schwedens. Mit rund 100 000 Einwohnerinnen und Einwohnern hat Helsingborg als achtgrößte Stadt des Landes immerhin den zweitgrößten Hafen, der sich als Fähr- und Containerhafen an ihrem Ufer erstreckt. Im Akkord werden hier Fähren von Lkws beladen, die eng getaktet hinüber nach Helsingör in Dänemark fahren.


Foto: Lotta Wittinger

Foto: Lotta Wittinger

In diesem unruhigen Hafenareal entstand am Bahnhof in den 1980er-Jahren ein Gebäudekomplex der, zwischen der Altstadt und dem Fährhafen gelegen, die Stadt wie eine Festung vom Lärm der Fähren abschirmen sollte. Es handelt sich dabei um die Bahnhofshalle für die unterirdisch ankommenden und abfahrenden Züge. An der Rückseite des Bahnhofs zum Hafen schließt sich ein privat betriebenes Parkdeck an. Drei weitere, identische Gebäude sind hier angegliedert, in denen die Stadt Helsingborg seit den 1980er-Jahren verwaltet wird. Damals war das im Hafenbecken liegende Dock gegenüber noch unbebaut. Lediglich flache Lagerhallen befanden sich auf der sonst kargen Fläche, auf denen heute das neue Wohn- und Büroquartier Oceanhamnen in die Höhe ragt. Zwischen 2018 und 2022 entstand das heterogene Quartier, das die wachsende Stadt im Hafen verdichtet. Gleichzeitig wertet es das Gebiet des Fährhafens auf und bringt Leben in das Quartier. Auf kleinster Fläche entstanden 350 Wohnungen, die von drei Bürogebäuden gegenüber dem Lärm der Fähren abgeschirmt werden.

Wie eine Aussichtsterrasse kragt die Brücke hinter dem Pylon aus und erlaubt den Blick auf den Fährhafen
Foto: Lotta Wittinger

Wie eine Aussichtsterrasse kragt die Brücke hinter dem Pylon aus und erlaubt den Blick auf den Fährhafen
Foto: Lotta Wittinger

Den Hafen erschließen

Der von drei Seiten mit Wasser umgebene Pier war bisher nur von einer Seite über eine Zufahrtsstraße erreichbar, die einen großen Bogen um die Stadt schlägt. Um die Zugänglichkeit für Fußgängerinnen und Radfahrer zu gewährleisten und so auch eine direkte Verbindung zwischen dem neuen Stadtgebiet, in seiner eigentlich so zentralen Lage, und der Altstadt zu schaffen, richtete die Stadt 2014 einen Wettbewerb aus. Die Brücke sollte von der höheren Ebene, die über dem Bahnhof liegt, das schräg gegenüberliegende Ufer der Insel erschließen. Der Startpunkt ist etwas skurril: Um die Zufahrtsstraße zu den Fähren nicht zu beeinträchtigen, beginnt die Brücke an der privat betrieben Parkfläche oberhalb des Straßenniveaus. Um Oceanpiren zu erreichen galt es, weitere Hindernisse für den Entwurf zu beachten: Die Brücke muss aus Sicherheitsgründen einen Bogen um einen bestehenden Öltank schlagen, dann die Wasserstraße diagonal überqueren, an einem Dock anschließen, der als öffentlicher Spielplatz gestaltet wurde, um dann erneut einen Bogen in Richtung des neuen Wohngebiets zu schlagen.  Dabei galt es einen Höhenunterschied von ungefähr 6 m zu bewältigen. Ohne Frage ist eine Brücke mit diesen Anforderungen äußerst komplex. Dem Entwurf das nicht anmerken zu lassen, war anspruchsvoll für die beteiligten Büros.

In der Nacht leuchten die Pylone, auch das Brückengeländer ist durch Beleuchtung inszeniert
Foto: Fredrik Rege, courtesy of Peab AB

In der Nacht leuchten die Pylone, auch das Brückengeländer ist durch Beleuchtung inszeniert
Foto: Fredrik Rege, courtesy of Peab AB

Den Wettbewerb für sich entschied die schwedische Niederlassung der weltweit tätigen Ramboll Group. In Schweden zuständig für die Planung der Brücke war der Ingenieur Henrik Undeland. Den Entwurf lieferte federführend der auf den Entwurf von Brücken spezialisierte britische Architekt Stephen James, damals noch Teil des Teams von Ramboll in London. „Ich habe keinen bestimmten Entwurfsstil, die Brücken, die ich entwerfe, sind sehr stark im Kontext verankert. Deswegen war es ein längerer Prozess, ausgehend von sechs verschiedenen Ideen, der dazu führte, dass die Brücke nur an diesen Ort passt und an keinem anderen stehen könnte“, sagt Stephen James im Interview. Von Seiten der Stadt Helsingborg betreute Torgny Johansson den Wettbewerb. Johansson erinnert sich beim Lokaltermin vor Ort, dass sich erst im weiteren Prozess der finale Entwurf herauskristallisiert habe. Der Entwurf von Ramboll sei im Wettbewerb vor allem durch die Idee eines S-förmigen Verlaufs herausgestochen, sagt Johansson. Auch die Pylone, an denen die Brücke aufgehängt ist, seien ein Alleinstellungsmerkmal gewesen. Die Abstimmungen bis zum finalen Entwurf seien aufwändig gewesen, es habe sich aber gelohnt. Einige Unsicherheiten habe es gegeben, da die Entwicklung des neuen Stadtquartiers erst kurz zuvor begonnen hatte und bisher nur grobe Volumenmodelle vorlagen. Dass die Brücke mit der neuen Bebauung in Gestaltung und Proportion harmoniert, ist ein glücklicher Zufall.

Das Geländer der Brücke mit seinen V-förmigen Stahl-elementen (l.) sieht aus, als sei es auf die Fassade des Neubaus (u.) abgestimmt. Der wurde jedoch erst später realisiert
Foto: Fredrik Rege, courtesy of Peab AB

Das Geländer der Brücke mit seinen V-förmigen Stahl-elementen (l.) sieht aus, als sei es auf die Fassade des Neubaus (u.) abgestimmt. Der wurde jedoch erst später realisiert
Foto: Fredrik Rege, courtesy of Peab AB

Fließende Formen

Der Bau der Brücke dauerte von Oktober 2018 bis September 2021. Es handelt sich um eine Mischform aus Hängebrücke und Schrägseilbrücke, ihr Mittelteil wird von drei Stahlseilen von zwei gegenüberliegenden Pylonen getragen. Sie sind nach außen geneigt, als würden sie sich gegen das Gewicht lehnen, um es zu halten. Eine Besonderheit: Die Seile sind nicht mit dem Rand des Decks verbunden, sondern führen unter der Brücke hindurch und tauchen auf der anderen Seite wieder auf, wo sie am gegenüberliegenden Pylon verankert sind. Überraschend simpel sieht es aus, wie das Brückendeck auf den drei Seilen aufliegt. Je zwei weitere Seile an den Pylonen sorgen für Stabilität. Das sind  zum einen Rückhaltekabel, die in Betonfundamenten im Wasser verankert sind und die Pylone in Position halten. Zum anderen nehmen die am Brückendeck befestigten Seile die horizontalen Kräfte auf. Der Brückenträger aus Stahl ist im Querschnitt trapezförmig und ca. 4 m breit. 

Ansicht M 1 : 1 000

Ansicht M 1 : 1 000

Lageplan M 1 : 3 000

Lageplan M 1 : 3 000

Auch wenn man es vor Ort nicht unbedingt wahrnimmt, ist die Brücke leicht geneigt, denn es gibt einen Höhenunterschied von etwa 6 m zwischen dem Start- und dem Endpunktes der Brücke. Vom Bahnhof kommend weist die Brücke zunächst eine Steigung auf, um eine ausreichende Höhe über der Straße zu erreichen, dann fällt sie gleichmäßig ab. Hinter dem eleganten Entwurf steht eine komplexe 3D-Modellierung. Dazu kam das System Catia zum Anwendung, das vor allem im Flugzeugbau Anwendung findet. Sein Einsatz ermöglichte, den geschwungenen und geneigten Brückenverlauf effizient zu gestalten. So sei die Brücke mit ihrer Spannweite von 220 m gerade so lang, wie es sein muss. Die Modellierung konnte außerdem helfen, die organische Form der Brücke ohne Kanten zu realisieren; beispielsweise hat jedes einzelne der V-förmigen Elemente des Geländers eine individuelle Neigung.

Detail, Anschluss des Brückendecks zum Parkdeck M 1 : 300

Detail, Anschluss des Brückendecks zum Parkdeck M 1 : 300

Detail Pylon M: 1 : 300

Detail Pylon M: 1 : 300

Die Brücke ist das Zentrum

Wer die Brücke entlangläuft, sollte keine Langeweile verspüren, sagt Stephen James. So wechselt beim Passieren immer wieder die Blickrichtung und es tun sich neue Perspektiven auf. An den beiden Kurven, von denen aus die Pylone 23 m über das Deck hinaus in die Höhe ragen, kragt die Brücke in Form von kleinen Plattformen aus. Sie laden dazu ein, die Aussicht zu genießen. Gelegenheit zum Verweilen bieten die Sitzmöbel rund um die Pylone. Während die erste Kurve eine visuelle Verbindung zu den Fähren schafft, dockt die zweite Kurve an einen neuen, grün gestalteten Pier mit Spielplatz an.  Dieser ist ein weiteres, wichtiges Element zur Belebung des Gebiets. So steht die Brücke in einer starken Verbindung zu ihrem Umfeld, inmitten der Entwicklungen, die um sie herum geschehen.

Die Fähren fahren von Helsingborg aus über den Öresund in das nur wenige Kilometer entfernt liegende dänische Helsingör
Foto: Lotta Wittinger

Die Fähren fahren von Helsingborg aus über den Öresund in das nur wenige Kilometer entfernt liegende dänische Helsingör
Foto: Lotta Wittinger

Auf dem Brückendeck umschließen Holzbänke den Ansatz der Pylone
Foto: Fredrik Rege, courtesy of Peab AB

Auf dem Brückendeck umschließen Holzbänke den Ansatz der Pylone
Foto: Fredrik Rege, courtesy of Peab AB

„Die Brücke wird immer das Zentrum sein. Die Menschen sehen die Brücke aus verschiedenen Richtungen, sie kommen aus verschiedenen Richtungen. Deswegen wollten wir erreichen, dass Menschen sich hier begegnen. Die S-Kurve begünstig dies aus Sicht des Architekten, da sie zum langsamen Gehen und zum längeren Aufenthalt animiert. Gleichzeitig bietet die Varvsbron eine neue Attraktion und Identifikation für die Hafenstadt. Schon von weitem sind die weißen Pylone erkennbar, zum Beispiel, wenn man mit dem Zug in die Stadt einfährt. Aber auch wer sich durch die Stadt bewegt, wird die  die Pylone wie Segelmasten immer wieder zwischen den Häusern aufblitzen sehen. So definiert die Brücke einen neuen Mittelpunkt in der Stadt, ihre markante Präsenz prägt das Stadtbild. Wie Stephen James sagt, könne eine Brücke aber nie wie eine Skulptur nur für sich stehen. „Sie muss auf den Kontext reagieren und einen Mehrwert für die Menschen bringen, die sie benutzen.“ Nur bei Nacht, mit ihrer aufwendigen Beleuchtung, werde sie zu so etwas wie einer Skulptur, die mit ihrer Form und den leuchtenden Pylonen anzeigt, dass sie genau hier hingehört. Natalie Scholder/ DBZ

Eine wortwörtlich wegweisende Brücke, die jetzt schon zu den Klassikern der Leichtbauwerke gezählt werden kann. Die Komplexität der S-förmig gekrümmten Stahlbrücke beeindruckt ungemein und zeigt, wozu Ingenieure im Brückenbau bereits heute in der Lage sind.« 
⇥DBZ Heftpartner formTL ingenieure für tragwerk
⇥und leichtbau gmbh, Radolfzell
Ramboll Sweden, Stephen James, London/UK

www.ramboll.com

Baudaten

Objekt: Fuß- und Radwegbrücke Varvsbron

Ort: Helsingborg/SWE

Typologie: Brückenbauwerk

Eigentümer: Stadt Helsingborg

Architektur: Ramboll Sweden / Ramboll UK

Team: Stephen James, Henrik Undeland, Mikael Nummedal, Eric Eliasson, Jacob Toxen-Worm, Tore Lundmark

Generalunternehmer: PEAB

Fertigstellung: September 2021

 

Fachplanung

Tiefbau, Beton und Stahl: Centerlöf & Holmberg, Malmö, www.coh.se

Detailplanung, Stahlkonstruktion: Leonhardt, Andrä und Partner, Stuttgart, www.lap-consult.com

3D-Planung: Visopro, Klippan, www.visopro.se

Lichtplanung: Luxera, Malmö, www.luxera.se

Sitzmöbel: Sara Schlyter, Landschaftsarchitektin, Helsingborgs Stad

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