Verbandsgebäude des Nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsverbandes

Weil das Licht „dann am besten sei“, besuchten wir sie in den frühen Morgenstunden: die neue Verbandszentrale des Nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsverbandes in Münster. Die Sonne kam leider nicht durch die Wolken, aber das Bild der Klinker-Fassade war trotzdem beeindruckend. Durch sieben verschiedene Steinformate, die jeweils unterschiedlich weit aus der Wand hinausragen, entsteht der Eindruck eines Faltenwurfs, der sich über das Gebäude legt. Das Thema „Stoff“ war durch den Bauherrn schon beim Wettbewerb gesetzt worden. Alle anderen Entwürfe enthielten echte textile Elemente. Dass sich der Textilverband für den Vorschlag des Architekturbüros behet bondzio lin architekten entschied, lag auch daran, dass der Bebauungsplan eine Ziegel- oder Putzfassade vorsah und somit keine Sondergenehmigung eingeholt werden musste.

Die Idee war also klar: Die neue Fassade sollte ein Bild dessen sein, womit sich der Textilverband tagtäglich beschäftigt, nicht 1:1, sondern übersetzt in harten Stein. Diese Diskrepanz der Materialien inspirierte die Architekten auch zu ihrem Vorbild: der Alabasterfaltenwurf der Beethoven-Statue von Max Klinger. Ein Foto dieses Tuchs wurde in Grautöne umgewandelt und soweit reduziert, bis es nur noch aus Pixeln in sieben Helligkeitswerten bestand. Jedem Wert wurde ein Stein zugeordnet. Das Normalformat Nr. 1 bildet die hellsten Flächen, die etwas dunkleren wurden mit dem Sonderformat Nr. 2 gemauert, das gut 1 cm aus der Wand hervorschaut, bis hin zum Sonderformat Nr. 7, das 5 cm aus der Wand ragt. Der Stein ist an dieser Stelle 17,5 cm (statt 11,5 cm Normalformat) breit – das Maximum, das noch herstellbar, transportabel und mauerbar war. Ein vom Architekturbüro eigens dafür entwickeltes Computerprogramm generierte den Verlegeplan, der jedem Ziegel in der Wand eine Formatnummer zuordnete, der Ziegel wird zum Bild-Pixel. Und nun steht sie da, die Wand, und alles sieht so logisch aus. Aber wie so oft durchlaufen die klarsten Designs die längsten Prozesse.

Direkt nach Projektvergabe an 2bxl suchten die Architekten eine Ziegelei, mit der sie diesen Weg gehen konnten. Die Wahl fiel mit Deppe Backstein-Keramik aus Uelsen bewusst nicht auf einen der großen Ziegelhersteller. Alle Beteiligten waren sich einig, dass man sich auf ein kleines Forschungsprojekt einlässt. Nach 1,5 Jahren, verschiedenen Überlegungen zu Mauer-Robotern, unzähligen Styrocut- und 3D-gedruckten Modellen, elf 1:1-Modellen und Musterflächen mit verschiedenen Steinoberflächen und Fugenverläufen, entschied man sich schlussendlich für den puristischsten Ziegel, der zur Auswahl stand. „Kein zusätzliches Chichi“, so Roland Bondzio, „ein Kind würde sagen: ‚Das ist ein Backstein‘.“ Und er hat Recht, der Stein braucht keine Veredelung, die entsteht im Bild. Damit vermeidet die Fassade auch jeden Gedanken in Richtung Dekoration, von der sich Architekten klassischerweise fernhalten wollen.

Ebenfalls einen langen Prozess durchlaufen hat die Programmierung des Computermodells, das jedem Stein seinen Platz zuordnen sollte. Zeitweise pendelte es zwischen dem Partnerbüro in Taiwan und Münster und konnte dank Zeitverschiebung rund um die Uhr bearbeitet werden. Am Ende generierte es den Ausführungsplan, der aussieht wie „Malen nach Zahlen“. Die eigentliche Maurerarbeit war dadurch nicht wesentlich aufwendiger.

Neben den drei südlichen Ziegelfassaden öffnet sich die Nord-West Fassade zum See des Friedensparks. Das macht energetisch Sinn, ­ermöglicht aus allen Verbandsräumen den eindeutig schöneren Ausblick und sorgt für blendfreies Nordlicht in den Büros. Alle Räume kommen ohne Sonnenschutz aus.

Wie man einen Haupteingang in die komplett geschlossene Süd Fassade integriert, beantworteten die Architekten mit einem Schnitt im Gebäudevolumen. Wo sich die Kuben verschieben, betreten wir den Innenraum. Auch hier kein Chichi. Ein klassischer Bürogrundriss organisiert alle Nebenräume hinter der geschlossenen Ziegelfassade,  und gegenüber die Büros, Seminar- und Besprechungsräume mit bodentiefen Fenstern. Dekorieren dürfen nur ohnehin nötige Einbauten und Möbel: Leuchten, Akustik-Paneele, Bürostühle. Trotzdem sahen wir eine farbig-moderne Bürolandschaft.

Das Projekt zeigt, wie eine starke Entwurfsidee, die in ihrer konsequenten Umsetzung viele Prozesse aufwendiger macht, auch einige beschleunigt. Natürlich bedeutete z. B. die Entwicklung der Falten-Fassade einen riesigen Mehraufwand, besonders auf Architekten­seite. Aber die sonst oft komplizierte Zusammenarbeit mit Baukommissionen und Ehrenämtlern wurde beim Textilverband durch dieses starke Bild vereinfacht, weil es sich allen Beteiligten direkt vermittelte. Als z. B. nach Fenstern auch auf der geschlossenen Süd-Seite verlangt wurde, mussten die Architekten nicht lange argumentieren, direkt war klar: Das geht nicht, da ist ja die Wand.

Als wir – wieder draußen - vor der Fassade die letzten Filmaufnahmen machen, fängt es an zu regnen. Das Licht war nicht da, aber das Fassadenbild funktioniert trotzdem, tatsächlich, nicht nur im Rendering, und das ist schon selten genug. St.J.

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