Runter von der Insel!
BIM, Rollenverteilung und Abläufe im Planungsprozess

Fast schon ein Modewort: BIM. Vor allem die Hersteller von Architektursoftware bemühen dieses Kürzel gerne, wenn sie den hohen technologischen Standard ihrer Lösungen hervorheben möchten. Aber was verbirgt sich eigentlich dahinter? BIM (Building Information Modeling) bedeutet bauteilorientiertes Planen, das Speichern und Bereithalten digitaler und intelligenter Gebäudedaten in einer einzigen Datenbank, auf die Anwender bei den unterschiedlichsten Aufgaben während des gesamten Planungs- und Bauprozesses zugreifen können.

Pionier dieser Technologie war die Firma Graphisoft, die mit der Entwicklung des Virtuellen Gebäudemodells schon zu Beginn der 90er Jahre weit über die Digitalisierung des Reißbretts hinausging. Mittlerweile setzen fast alle Anbieter von Architektursoftware auf BIM. Wie der Einsatz von BIM den gesamten modernen Planungs- und Bauprozess verändern wird, vor allem aber auch, welche Konsequenzen der Einsatz dieser Technologie für Berufsalltag und -bild des Architekten haben wird fragten wir Siegfried Wernik, der das am Beispiel des Berliner Büros Léon Wohlhage Wernik Architekten erläuterte.

CAD war gestern – BIM ist heute

... könnte man meinen. Die Realität sieht allerdings oft noch erheblich anders aus. Nicht nur, dass viele Planer nach wie vor lieber in 2D zeichnen als ihren Entwurf im 3D-Modell zu bauen, sondern auch der in anderen Branchen längst übliche IT-Standard, das interdisziplinäre Arbeiten mit konsistenten Daten in einem Modell oder aber der verlustfreie Datenaustausch sind in der Baubranche noch keineswegs überall Praxis, sondern oft noch Zukunftsmusik.

Bei Léon Wohlhage Wernik Architekten wird schon lange konsequent im und am

Virtuellen Gebäudemodell gearbeitet. „Das ‚Zeichnen‘ haben wir in unserem Büro aus den Köpfen verbannt“, erzählt Siegfried Wernik. „Wir bauen ein Gebäudemodell – die Zeichnung ist dabei quasi ein Abfallprodukt bzw. eine Abbildung des Virtuellen Gebäudemodells. Mittlerweile gibt es in unseren Projekten kaum noch Daten oder Informationen, die außerhalb des Virtuellen Gebäudemodells liegen. Damit werden Fehler vermieden – und das Leben um einiges leichter“, erläutert der Architekt die Arbeit im Berliner Büro mit circa 40 Mitarbeitern.

Der Schritt vom CAD zum BIM ist hier also konsequent gemacht – allerdings nur in einem begrenzten Bereich, auf der „Architekteninsel“. „Leider ist es immer noch so“, beklagt Siegfried Wernik, „ dass wenn wir unser fertiges 3D-Modell beispielsweise an einen Statiker übergeben, alle intelligenten Informationen zu Linien und Schraffuren platt gewalzt werden. Da blutet einem das Herz.“ Anders als in anderen Branchen – wie beispielsweise in der Automobilindustrie oder beim Flugzeugbau – wo längst durchgängig an einem gemeinsamen Datenmodell gearbeitet wird, hat die „IT-Revolution“ in der Baubranche offensichtlich noch nicht wirklich stattgefunden. Planer und Ingenieure arbeiten nach wie vor auf unterschiedlichen CAD-Systemen. Das bedeutet redundante Prozesse bei der Dateneingabe, hohe Informa-
tionsverluste beim Datenaustausch und da-
raus resultierend: erhebliche Planungsfehler.

„Die Fragmentierung muss und wird – nicht nur angesichts des wachsenden Kos-
tendrucks und verkürzter Planungs- und Bauzeiten – in der Baubranche überwunden wer-
den,“ prognostiziert Wernik. Auf kurz oder lang wird sich BIM durchsetzen und das heißt: Alle an einem Bauprojekt Beteiligten werden in einer zentralen Datenbank arbeiten und gemeinsam ein Virtuelles Gebäudemodell bauen. Alle arbeiten mit zentralen, konsistenten und intelligenten Daten auf einer gemeinsamen Plattform. Das bedeutet: Ende des Inseldenkens – Ende des Inseldaseins! Building Information Modeling, das heißt: Arbeiten im Team.

Veränderte Organisationsstruktur –

neue Rollen

Dabei wird sich im BIM die Kommunikations- und Organisationsstruktur nachhaltig verändern: Der Austausch wichtiger Informationen erfolgt nicht länger situativ und basierend auf Absprachen einzelner Teilnehmer untereinander, sondern die Kommunikation aller Projektbeteiligter geschieht zentral über das gemeinsame Modell. Die Arbeit an einem gemeinsamen Datenmodell, das Building Information Modeling, hat darüber hinaus Einfluss auf die Aufgabenverteilung, auf die Aufwandsverteilung und damit letztendlich auch auf die Verteilung der Honorare: Führt die Planung in einem gemeinsamen Datenmodell dazu, dass der Arbeitsaufwand für alle Beteiligten, für Architekten, Statiker, TGA-Planer etc. geringer wird, so veranschlagt Wernik die Herstellung und Pflege des gemeinsamen Datenmodells auf ca. 10 bis 15 % des gesamten Aufwandes. Auch die Aufwandsverteilung verschiebt sich beim Building Information Modeling gegenüber dem herkömmlichen Planungsprozess. Während zu Beginn, d.h. bei der Vor- und Ent-

wurfsplanung ein wesentlich höherer Arbeitsaufwand entsteht, wird aufgrund der einmal ermittelten konsistenten und intelligenten Daten der Aufwand zu einem späteren Planungsstadium, d.h. nach dem Abschluss der Entwurfsplanung, wesentlich geringer.

Die HOAI, wie sie heute existiert, bildet dieses Modell jedoch (noch) nicht ab. Indem er neue Aufgaben stellt, verlangt der veränderte Planungsprozess auch nach neuen Funktionen bzw. Rollen. Über die hinlänglich bekannte, am Bauprozess beteiligte Personage hinaus betreten nun Projekt-Team-Koordinatoren, Modellentwickler und Datenmanager die Bühne. Auch das Leistungscontrolling, die Leistungsbewertung und die Vergütungszuordnung müssen neu organisiert werden.  

Wer ist Herr der zentralen Datenbank?

Die zentrale Frage bei allen Veränderungen, die BIM mit sich bringt, lautet jedoch: Wer macht BIM, das heißt, wer ist Herr über die Datenbank? Und was bedeutet das für die Rolle des Architekten bzw. des Architektur-
büros? Droht dem Protagonisten der Abstieg zur Randfigur, zur Nebenrolle? „Beim Building Information Modeling gibt es verschiedene mögliche Organisationsmodelle“, er-

läutert Siegfried Wernik. „So könnte es beispielsweise der Bauunternehmer sein, der ‚BIM macht‘. Dagegen spricht, dass er erst zu einem relativ späten Zeitpunkt in den Planungsprozess involviert wird. Eine andere Möglichkeit wäre, dass ein Dienstleister diese Aufgabe übernimmt und ‚BIM macht’. In beiden Fällen wäre der Architekt nicht länger Inhaber der zentralen Projektdaten; er verlöre seine zentrale Rolle im Planungs- und Bauprozess. Er würde zum Designer an einem großen Modell.“

Nur wenn der Architekt, oder besser gesagt das Architekturunternehmen, die Auf-
gabe übernimmt, „BIM zu machen“, bleibt er im Besitz der zentralen Projektdaten und bleibt Protagonist im Planungs- und Bauprozess. Das bedeutet aber auch, dass er sich neuen Aufgaben stellen muss, dass er sich intensiv mit Datentechnologie beschäftigen und dafür sehr anspruchsvolle Technologieaufgaben übernehmen muss.

„Wenn wir Architekten“, so plädiert Siegfried Wernik, „nicht unseren Einfluss auf den Gesamtprozess verlieren wollen und unsere zentrale Rolle im Bauprozess nicht aufgeben möchten, müssen wir unser ‚Inseldasein’ verlassen, neue Denkmodelle annehmen und uns neuen Aufgaben stellen. Architektur wird durch BIM nicht besser und nicht schlechter, aber Prozesse werden ganz entscheidend optimiert.“

Mit BIM werden Fehlplanungen vermieden, BIM garantiert eine frühe und kontinuierliche Mengen- und Kostenkontrolle, und der Bauherr erhält eine vollständige und konsistente Gebäudedokumentation, die nicht zuletzt für die spätere Wertschöpfungskette von großem Vorteil ist bzw. im Sinne des nachhaltigen Bauens an Bedeutung gewinnen wird, wenn es beispielsweise um zerti-
fizierte Gebäudestandards geht. BIM wird daher über kurz oder lang von jedem Bauherren verlangt werden.

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