„Nur mit sozialer Akzeptanz wird ein Klimaschutzkonzept nachhaltig“
Ein Gespräch mit Hans-Jürgen Unger und Lamia Messari-Becker

www.riedstadt.de

Worin besteht die Stärke des Riedstädter Klimaschutzkonzepts?
Hans-Jürgen Unger: Ein Klimaschutzkonzept ist allgemein ein Konzept, das Maßnahmen definiert, wie man welche Mengen Energie und CO2 einsparen kann. Nun ist Riedstadt schon seit Mitte der 90er Jahre in Sachen Klimaschutz aktiv. Wir haben immer detaillierte Konzepte gemacht. Das Klimaschutzkonzept als Fortschreibung unserer Aktivitäten geht schon ziemlich stark ins Detail – jetzt können wir ins Quartier gehen. Das Klimaschutzkonzept sagt uns, in welche Richtung wir gehen sollen. Es ruft die verschiedenen Bereiche auf - der wichtigste ist der Gebäudebestand. Rund 54 % des überwiegend kleinteiligen Wohnungsbestandes in Riedstadt besteht aus Gebäuden, die vor 1978 errichtet wurden. Das Konzept sagt uns jetzt, mit welcher Maßnahme wir wie viel erreichen können. Lamia Messari-Becker: Der Bestand im Immobilienbereich ist immobil - sowohl im technischen, als auch im sozialen Sinne. Um auf diese Zwänge zu reagieren, haben wir versucht, uns von der Gebäudekante in Richtung Quartier, in Richtung Stadtteil zu lösen. Warum? All das, was ich bis zur Gebäudekante erreichen kann, setzt voraus, dass der jeweilige Eigentümer oder Vermieter selbst investiert - in seine Gebäudehülle, in seine apparativen Anlagen. Das ist aber nicht immer gegeben – aus finanziellen oder Altersgründen zum Beispiel. Oder weil die Fassade zu schön ist. Wenn ich aber diese Kante verlasse und das Wissen um das Gebäude gleichsam im Rucksack habe, erweitere ich mein Handlungsfeld. Wir betrachten die Möglichkeiten dieser Gebäude, dieser Quartiere und Straßenzüge in Sachen Energieerzeugung. Wenn ich also die Energie, die im Bestand verbraucht wird, erneuerbar erzeuge, habe ich einerseits CO2 eingespart. Ich habe aber andererseits auch die Bürger in ihrer jeweiligen Situation berücksichtigt. Das Besondere an unserem Ansatz ist, auf den Bestand zu reagieren und trotzdem die Klima-Ziele zu erreichen. Wir verbinden Bedarf bzw. Bedürfnisse und Begabung.
 
Besteht bei den Bürgern überhaupt Interesse daran, einerseits den Energieverbrauch zu senken, andererseits erneuerbare Energien zu produzieren?
HJU: Man muss peu à peu vorgehen. Schon im Agenda-Prozess war die Bürgerbeteiligung groß. Aber die Fördertöpfe waren damals nicht so eingerichtet, wie sie es heute sind. Die Bürgerbefragung im Zuge des Klimaschutzkonzeptes hat erbracht, dass insgesamt 55 % bereit sind, mit einer Energiegenossenschaft zusammenzuarbeiten. Deren inzwischen 140 Mitglieder sind sehr aktiv. Sie haben von der Stadt Riedstadt auch einige Dachflächen von öffentlichen Liegenschaften bekommen, die sie dann mit Photovoltaik-Modulen bestückten. Wir nutzen dann den Strom - hauptsächlich für Kitas. Aber seit das Erneuerbare-Energien-Gesetz im vergangenen Jahr reformiert wurde, ist es für sie nicht mehr lukrativ. Deswegen hungern die Mitglieder nach anderen Projekten und sind an einem Quartierskonzept sehr, sehr interessiert. LMB: Die Herausforderung beim Bestand ist, dass alles geschützt ist - auch Informationen. Das heißt, wenn ein Bürger nicht presigibt, was er an Energie verbraucht, wann und in welche Tiefe er saniert hat, dann hat man keine Handhabe. Es gibt eine hessische Gebäudetypologie, aber die ist sehr pauschal. Wir wollten eben „riedstädtisch“ arbeiten. Und das war nur mit Riedstädtern möglich. Das war auch der Sinn der Fragebogenaktion. Mit einem Rücklauf von über 13 % – und zwar aus allen fünf Stadtteilen – ergibt sich ein repräsentatives Bild, und wir bekommen eine auf die Kommune zugeschnittene, aktuelle Gebäudetypologie. Um dann zu sagen: Wo spare ich wieviel? Wo kann ich regenerative Energie erzeugen? Und insbesondere: Wie stehen eigentlich die Bürger zu Modellen wie Contracting, Energiegenossenschaft etc. Worin bestehen die eigentlichen Hindernisse bei der Sanierung? Die Antworten ergaben sowohl technische, als auch finanzielle, als auch soziologische Informationen. All diese Maßnahmen erfordern Fingerspitzengefühl. Deswegen müssen wir jetzt wieder informieren. Und dann kann man vielleicht tatsächlich einen Straßenzug, ein Stadtquartier hinter sich versammeln - und als Pilotprojekt auf den Weg bringen. Es geht nur mit den Bürgern.
 HJU: In den Arbeitsgruppen zum Klimaschutzkonzept konnte jeder mitmachen, der wollte. Wir haben aber auch direkt Akteure angesprochen - Finanzinstitute, Energieversorger, bestimmte Berufsgruppen wie Landwirte, Architekten und auch die Handwerkerinnung.
 
Was tut die Verwaltung der Kommune Riedstadt selbst für den Klimaschutz?
HJU: Wir haben ja den Öko-Audit und sind zertifiziert – als zweite Kommune in Hessen. Das heißt in unserem Fall, dass wir mit Rathaus, Bauhof und Kläranlage drei Standorte haben, bei denen wir Energieverbrauch, Wasserverbrauch, allgemein den Ressourcenverbrauch kontinuierlich senken. Und das wird uns auch jährlich von einem unabhängigen Gutachter bestätigt. Im Klimaschutzkonzept ist bei den Kitas angedacht, das, was sie durch geringeren Verbrauch von Energie und Wasser an Betriebskosten einsparen, zu bezuschussen. Dessen ungeachtet, muss das Klimaschutzkonzept auch innerhalb der Verwaltung etabliert werden. Und alle Maßnahmen müssen verwaltungsintern begleitet werden.
LMB: Wir werden oft gefragt, was kann denn Riedstadt insgesamt sparen. Da sage ich immer: Das ist nicht die Stadt Riedstadt, die ein-spart, das ist die Gemeinschaft Riedstädter Bürger, die einsparen kann. Das Konzept stellt verschiedene Szenarien vor, aber wie etwas durchgeführt wird und wieviel am Ende erreicht wird, ist letztlich zweitrangig. Wichtig ist, dass ein Prozess in Gang kommt. Und alles, was dann tatsächlich erreicht wird, ist letztlich der Verdienst der Riedstädter. Nur durch die soziale Akzeptanz, die dieses Konzept trägt, wird es nachhaltig.
 
Ein zentraler Aspekt bei dem Konzept ist die regionale Wirtschaftsschöpfung. Können Sie das näher erklären?
HJU: Für mich ist Klimaschutz gleich Wirtschaftsförderung. Gerade wenn es um den Gebäudebestand geht, ist es wichtig, dass die regionale Handwerkerschaft, die Heizungsfirmen und Elektriker, die Ingenieur- und Architekturbüros das Geld abschöpfen - und vielleicht auch Leute einstellen oder ihre Leute besser bezahlen als vorher. Wir haben im Ort einen guten Dachdeckermeister, der auch Energieberater ist und regelmäßig aufwändige Lehrgänge besucht, der hat seit Jahren volle Auftragsbücher. Oder eine Heizungsfirma, die sich jetzt auch mit erneuerbaren Energie auskennt. Die will ihren Betrieb erweitern und hat mich unlängst gefragt, ob ich nicht eine Fläche hätte. Und da wir auch mit einem Leerstand bei Ladenlokalen zu kämpfen haben, sind wir froh, wenn in leer stehende Geschäfte beispielsweise Elektrohändler einziehen.  
Das Konzept gibt ja verschiedene Handlungsoptionen vor. Was ist jetzt der nächste Schritt?
HJU: Wir brauchen einen Klimaschutzmanager. Für mich und meine Mannschaft alleine ist es nicht möglich, sich in dem Maße, wie wir es für erforderlich halten, um diese Thematik zu kümmern. Wir haben ja nicht nur mit Klimaschutz, sondern mit Abfallwirtschaft und Altlasten, mit allgemeinem Naturschutz und Gewässerschutz bis hin zum öffentlichen Personennahverkehr zu tun. Der Klimaschutzmanager soll mit unseren Leuten zusammenarbeiten, aber auch nach außen hin tätig sein, dringend nötige Öffentlichkeitsarbeit machen und bei der Antragstellung von Fördermitteln helfen. LMB: Aus der Kommune heraus ist es sicherlich schwierig, über die gesamte Expertise zu verfügen. Da ist die Kooperation mit Externen sehr wichtig. Sowohl die Aufstellung eines Klimaschutzkonzepts, als auch die Personalkosten für einen Klimaschutzmanager werden gefördert. Selbst die Stadtquartiersanierung durch die KfW. Da gibt es Einiges, man muss es nur bündeln. HJU: Und alles greift ineinander. Weil wir das Klimaschutzkonzept haben, wird der Klimaschutzmanager bezuschusst – bis zu 90% für drei Jahre. Und das ist auch verlängerbar. Das Problem war der Haushalt. Er wurde vor kurzem genehmigt - mit der Auflage keine neuen Stellen zu schaffen. Aber einen Klimaschutzmanager, ich bekam heute die Zusage, dürfen wir dennoch ausschreiben - wir müssen die Stelle aber genehmigen lassen.
 
Die Fragen für die DBZ Deutsche Bauzeitschrift stellte Enrico Santifaller.

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