Nordisches LeuchtenKonzerthaus und Konferenzzentrum Harpa in Reykjavik/IS
Natur, Vulkane und Geysire, malerische Buchten und schroffe Berge sind Islands größtes Kapital, nachdem seine Wirtschaft 2007 einen steilen Absturz erlebte. Doch ein Gebäude, das Konzerthaus- und Konferenzzentrum Harpa könnte durchaus neues Interesse für Island wecken. Ein „Icon“ wurde von Henning Larsen Architectsund dem Künstler Olafur Eliasson geschaffen, das weit über Reykjavik hinaus ganz Island zu verkörpern vermag und auf ganz besondere Weise „nordisch“ leuchtet.
Es mutet wie ein Wunder an, dass nach Kopenhagen und Oslo nun auch Reykjavik ein neues Opern- und Konzerthaus erhalten hat. Als man 2003 mit einem Wettbewerb das Projekt begann, sprach alle Welt von einem isländischen Wirtschaftswunder, welches das Gesicht der Hauptstadt Islands rasant veränderte. Nichts schien unmöglich zu sein. Dank eines Wachstums ohne Grenzen fühlte sich erstmals das kleine Island auf Augenhöhe mit seinen skandinavischen Nachbarn. Im Osthafen Reykjaviks sollte ein neues Stadtquartier mit einer Shoppingmall entstehen, an deren Ende ein kombiniertes Musik-und Konferenzzentrum das neue Selbstbewusstsein der Isländer zum Ausdruck bringen wollte.
Aus mehr als 4 000 Bewerbern wählte man eine Handvoll Architekten aus, u.a. Jean Nouvel und Sir Norman Foster. Doch das dänische Architekturbüro Henning Larsen gewann 2004 den Wettbewerb, das gemeinsam mit dem Künstler Olafur Eliasson unvergleichlich die Natur Islands zum Thema des Hauses erhob. Feuer und Eis, das Meer und die gewaltigen, vulkanisch geformten Erdformationen der Insel wurden in eine Architektur übersetzt, die sich kristallin und scheinbar schwerelos über die See und die Stadt erheben wollte. Drei Jahre später endete jäh Islands Wirtschaftsboom und mit ihm auch die Bauarbeiten am Rohbau, der bereits 90 Millionen Euro verschlungen hatte. Aus einem PPP-Projekt, das von einem Unternehmen der Landesbanki-Gruppe über 30 Jahre von einer öffentlichen Gesellschaft geleast werden sollte, wurde ein rein öffentliches Bauprojekt. Nach fast zwei Jahren Baustopp investierte man weitere 97 Millionen Euro zu seiner Fertigstellung. Die kulturelle Nutzung gewann jedoch gegenüber dem Konferenzzentrum wieder an Bedeutung, was mit vielen Kosteneinsparungen viele Änderungen am Projekt nach sich zog, das aber letztendlich konzeptionell erstaunlich unbeschadet die umfangreichen Umplanungen überlebte.
Auf 8 000 m2 Grundfläche entstand ein Gebäude mit 28 000 m2, mit einem gewaltigen, größtenteils gebäudehohen Foyer und vier großen Veranstaltungssälen sowie vielen kleineren Konferenzräumen. Verschwenderisch großzügig ist der Raum, der hier den Isländern wetterunabhängig zum Promenieren und Verweilen im Haus angeboten wird. Kompakt und klug organisiert sind die eingestellten Volumina der Säle. Fast alle Säle bis auf einen sind multifunktional, sowohl für Kultur- oder Konferenznutzungen nutzbar und teilweise noch teilbar. Projektarchitekt Ósbjørn Jacobsen aus dem Büro Hennig Larsen schuf für die Opernhalle Eldborg (Feuerburg) mit den amerikanischen Akustikspezialisten von Artec einen beeindruckenden Klangraum, der kaum Wünsche offen lässt und mit seinem kräftigen Rot weit aus dem Haus hinausleuchtet.
Die Fassade und ihre Konstruktion
So ungewöhnlich und metaphernreich das Innenleben des neuen Gebäudes ist, so ist seine Fassade noch weitaus überraschender. Mit 43 m Höhe ähnelt das Haus, das Ende August feierlich eröffnet werden konnte, einem mächtigen Gebirge gebrochenen Bergkristalls. Aus jeder Richtung und Entfernung, aber auch mit dem Licht scheint sich seine Gestalt zu verändern, erscheint das Gebäude fast völlig transparent oder im nächsten Moment als ein gewaltiges, farbig glitzerndes Lichtprisma, das alle Blicke auf sich zieht. Überaus groß wirkt „Harpa“ (isländisch für Harfe), das viele Gebäude seiner Umgebung winzig erscheinen lässt. Dass seine Dimensionen, seine scharfkantige Gestalt dennoch nicht unmenschlich erscheinen, ist seiner besonderen Haut zu verdanken, die mit Olafur Eliasson entwickelt wurde. Der Däne Eliasson, Kind isländischer Eltern, entwickelte mit seinem Kollegen und Freund Einar Thorsteinn, eine bewusst dreidimensionale Fassadenstruktur, die das Licht und den Blick auf einzigartige Weise filtert bzw. fokussiert. Ihr Ausgangspunkt war einerseits die Überwindung der Grenzen zwischen Kunst und Architektur und andererseits die Verwandlung physikalischer Naturphänomene in dematerialisierte Raumkunst. Inspiriert von den kristallinen Basaltsäulen Islands entwickelten sie in ihrem Berliner Studio kristall-ähnliche Waben, die sie als „Quasi-Brick“ bezeichnen. Mit ihnen stellt sich erst ein menschlicher Maßstab im kleinteiligen Reykjavik her. Mit ihnen verwandeln sich die Fassaden zu einem einzigartigen dynamischen Ereignis, das effektreich zwischen den massiven Kernen des Inneren und dem Außen, der Landschaft und Stadt zu vermitteln vermag.
Die Konstruktion
Eine reduzierte, zweidimensionale Variation der „Quasi-Brick“ kam entlang dreier Seiten, Nord, West und Ost zum Einsatz, für die 2 000 t Stahl und 800 t Glas verbaut wurden. Bei dieser „Cut Quasi Brick-Konstruktion“ handelt es sich um eine ebene Glas-Stahlstruktur mit unregelmäßigen Sechsecken. Doch an den beiden geneigten Südfassaden, der zur Stadt orientierten Eingangsseite schufen sie mit Greiner Engineering eine gebäudehohe, selbsttragende Wabenfassade, die es in sich hat. Zwölf unterschiedliche Seiten mit einer Maximalhöhe von 1,74 m besitzen ihre „Quasi-Bricks“, die Außenbündig, aber Innen ganz als dreidimensionale Glaskörper in Erscheinung treten.
Höchste Transparenz, extreme Windlasten (Windsog 2,01 kN/m2, in den Randbereichen bis 4,97 kN/m2), geringer Materialeinsatz und effektive modulare Produktion waren die Zielvorgaben der Künstler an die Ingenieure des Greiner Arbeitsbereichs Art Engineering, an Herwig Bretis und Jörg Beierbach. Diagonalen zur Versteifung waren ihnen untersagt. Für die Überführung des Konzepts in eine baubare Struktur griffen sie das Prinzip der Zelle auf, um die „Zellwände“ bis zum maximal möglichen Kompromiss zwischen Transparenz, Festigkeit (Spannungen) und Materialeinsatz (Steifigkeit) auszudünnen. Während der Entwurfsphase wurden dazu Streifen 3 x 15 „Quasi Bricks“ mittels Schalenelementen diskretisiert. Die Modelle wurden dreidimensional im CAD Programm erstellt in ein FE-Programm übertragen und berechnet. Daraus gingen ganz individuelle Hüll-Polyeder hervor, deren Kanten mit rautenförmigen Hohlprofilen aus 10 mm dicken Blechstreifen der Stahlklasse S355 zusammengeschweißt wurden – mit bis zu 11 verschiedenen Querschnitten! Die räumliche Verschneidung in den Eckpunkten und die Schwächung dieser Bereiche durch Verbindungsschrauben bedingte in Folge die Ausführung der Stahlgussknoten aus GS-20-Mn5N. Dabei wurde die nötige Schubsteifigkeit der Module durch die Ecksteifigkeit ihrer Knotenpunkte erreicht, während ihre Struktur Lasten weitgehend über eine räumliche Viereendelwirkung abträgt. Die Schrauben von Modul zu Modul übertragen nur die Scher- und Druckkräfte. Ein Mockup als auch Labortechnische Untersuchungen an drei „Quasi Bricks“ erbrachten eine modulare Anordnung von 15 Reihen übereinander gestapelter „Quasi Bricks“, die an der östlichen Südfassade über elastische Linienlager bis zu einer Höhe von 30 m frei spannen. Die Südfassaden derart entmaterialisiert mit ihren 956 „Quasi Bricks“ ausgeführt, besitzen eine erstaunliche, fast schwebend anmutende Leichtigkeit, die nur noch von ihrem kurzweiligen Spiel mit dem Licht übertroffen wird. Eine kleine Zahl der „Bricks“ erhielten zudem „dichroitisches Glas” in Gelb, Orange und Grün, deren Farben in direkter Durchsicht zu sehen ist, aber in Reflexion unterschiedliche Komplementärfarben erscheinen lassen. Dieses Spezialglas, das in einem Tauchbeschichtungsverfahren festhaftende Metalloxidschichten erhält, wurde hier erstmals in größerem Umfange eingesetzt .Für Harpa stellte Schollglas Gewe-tec®-Elemente her, die auf der Außenseite aus 12 mm dickem Verbundsicherheitsglas Gewe-safe® im Dreifachglasverbund bestehen, welcher je nach Anforderung mit dichroitischen, hochreflektierenden oder entspiegelten Gläsern ausgeführt wurde. Auf den 16 mm breiten Scheibenzwischenraum mit Edelgasfüllung folgt an der Innenseite ebenfalls 12 mm dickes GEWE-safe®-Glas. Der Effekt? Eine gelbe Glasfläche schimmert nun Lila in der Reflexion. Abhängig vom Standpunkt des Betrachters ändert sich die Farbwirkung je nach Winkel der einfallenden Sonnenstrahlen. Und damit nicht genug, integrierte Olafur Eliasson noch steuerbare Led´s in den Farben Rot, Grün und Blau in die Profile der „Quasi Bricks“. Nachts und in der langen Dunkelheit des hohen Nordens bringt Harpa Reykjavik das Geschenk eines lebendigen Lichtspiels, das die dunklen Monate des Jahres um viele Ereignisse bereichern wird. Mit einer Synthese von Architektur, Ingenieurbau und Kunst wurden hier wirklich die Grenzen zwischen Disziplinen überwunden. Das gewohnte, viel gerühmte Licht des Nordens hat eine Erweiterung erfahren, um ein artifizielles, von Menschen geschaffenes Leuchten. Claus Käpplinger, Berlin