„Mittlerweile sind wir ein bisschen coldblooded“Ein Gespräch mit Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch
Louisa Hutton: Jetzt sollen die Preise schon miteinander konkurrieren!
Matthias Sauerbruch: Der Deutsche Architekturpreis deckt vielleicht das größere Spektrum ab als der Deutsche Holzbaupreis oder der Architekturpreis der Stadt Köln. Natürlich haben wir uns über alle sehr gefreut.
LH: Das ist schon etwas Besonderes. Auch, weil wir die Preise für ein doch eher kleines Projekt erhalten haben. Die Kirche hatte ein reduziertes Budget und wir mussten sehr hart arbeiten, um die Vorstellungen und die Möglichkeiten der Gemeinde in eine angemessene Architektur zu überführen. Das war ein langer, sehr intensiver Prozess, dessen Ergebnisse auch für uns sehr befriedigend waren. Und nicht zuletzt haben wir uns darüber gefreut, dass der Deutsche Architekturpreis von einer Jury entschieden wurde, deren Mitglieder wir sehr schätzen.
MS: Hat es sicher, aber so etwas kann durchaus auch in beide Richtungen losgehen! Man kennt sich ja ganz gut, die Stärken und Schwächen ...
LH: Und natürlich stehen die Berliner ja auch ständig in Konkurrenz zueinander, im lokalen Wettbewerb.
MS: Nein, ich glaube, wir möchten uns bei solchen Verfahren nicht heraushalten. Man muss doch seine Arbeiten zur Diskussion stellen. Wir sind ganz klar am Urteil der Kollegen interessiert. Schon alleine, um über die reine Erfüllung des Bauherrenauftrages die Diskussion in der Architekturszene aufrecht zu halten und in der Bauwelt etwas zu bewegen.
MS: Man kann das positiv und konstruktiv sehen, man kann dazu auch eine eher abgeklärte bis zynische Haltung haben. Klar, eine Jury-entscheidung ist das Resultat einer Diskussion unter Experten. Da kommt am Ende immer eine Art von Kompromiss heraus – was eine große Schwäche unseres Wettbewerbssystems insgesamt ist und für Preise wie den Deutschen Architekturpreis natürlich auch gilt.
Oder man kann es so sehen – und das entspricht durchaus meiner Erfahrung –, dass man in solchen Verfahren auch die Spreu vom Weizen trennen kann. Wenn man will, kann man als Juror eine solche Situation nutzen, um jenseits von allen politischen Überlegungen und jenseits von allem, was da sonst noch eine Rolle spielen mag, gerade bei Wettbewerbsentscheidungen, einfach mal zu sagen, was gelungen ist, was gut ist und Vorbild sein kann. Das ist dann die positive Sichtweise, die wir in diesem Fall natürlich sehr gerne einnehmen! [beide lachen]
LH: Mir fällt da sofort der Erich-Schelling-Preis für Architektur ein, den wir, glaube ich, 1998 erhalten haben. Nicht für ein besonderes Projekt, sondern für unsere Arbeit. Die GSW war noch nicht fertig. Der Preis war damit irgendwie auch ein Versprechen, a promise. Das hat uns Mut gegeben. Es war schön, dass uns die Kollegen eine Zukunft zugetraut haben, von der wir vielleicht noch gar nichts ahnten. Wir hatten damals fast nur das Photonic Center fertiggestellt, die GSW wurde viel in der Presse besprochen mit allem Für und Wider. Damit hat die Auszeichnung uns auf dem Weg irgendwohin getroffen.
MS: So ganz am Anfang, so wie wir damals am Anfang waren, ahnt man ja nicht, was so alles auf einen zu kommt. Und wenn man dann, wie wir damals mit der GSW, kräftig in die Mangel genommen wird, dann ist so eine Auszeichnung wichtig. Sie ermutigt die Anfänger, gibt Zuspruch, Unterstützung ... Mittlerweile sind wir ein bisschen abgehärteter, ein bisschen mehr coldblooded und können uns ein wenig mehr von den täglichen Bombardements frei machen. Trotzdem: Preise bereiten Freude – es gibt so selten Gelegenheiten, wo Architekten mal für das, was sie tun, eine Reaktion bekommen. Schauspieler haben jeden Abend ihren Beifall.
LH: Wir waren in der Vergangenheit beide in der Jury des Mies van der Rohe Preises und ich war einmal Jurorin beim Stirling Prize. Beim Stirling Prize gab es eine Shortlist von sechs Projekten, die über die Welt verstreut lagen. Die haben wir alle besucht. Was eigentlich immer der Fall sein sollte.
MS: Gerade beim Deutschen Architekturpreis, wo es um Architektur in Deutschland geht, müsste man das auch machen.
MS: Kann sein. Aber wie oft hat es sich schon herausgestellt, dass die besten Projekte besser waren als die besten Fotos?!
LH: Und umgekehrt!
MS: Das ist ja bei den meisten Preise so, dass die für eine Haltung, ein Ziel, eine Absicht etc. stehen. Der Deutsche Holzbaupreis wurde auf einer Messe für Holzbau vergeben.
[beide lachen]
MS: Nein! Ich glaube nicht, dass es soweit kommt! Die Abteilung Baukultur ist in dieser Zeitung, glaube ich, eher vernachlässigbar.
MS: In Köln, kann ich mir vorstellen, ist der Architekturpreis möglicherweise in der Boulevard-Presse Thema gewesen. Der Pfarrer, der mit seiner Frau nach Berlin umgezogen ist – unmittelbar hier in die Nachbarschaft ...
MS: Nein, das hat mit unserer Zusammenarbeit nichts zu tun! Der Pfarrer erzählte uns vor Kurzem, dass die Kirche viel Aufmerksamkeit bekommt, dass Architekturtouristen anreisen, dass die Gemeinde sogar etwas gewachsen sei wegen dem Neubau mit seiner Atmosphäre. Das heißt, Architektur wirkt, ob mit oder ohne Boulevard-Presse!
LH: Die Gemeinde ist jetzt sehr stolz. Am Anfang haben sie Sorge gehabt, dass wenn ein international tätiges Büro ihre Kirche und alles baut, dass diese Berliner Architekten sich gar nicht um das Projekt kümmern würden. Weil es zu klein sei, weil die Berliner so viele andere Projekte zu betreuen hätten.
MS: Der Abriss wurde bereits in einer sehr sorgfältigen Diskussion vor dem Wettbewerb entschieden.
LH: Der Altbau war nicht barrierefrei, der Beton war physikalisch in a very bad condition. Die energetische Ertüchtigung wäre höchst kompliziert geworden und natürlich war die Technik völlig veraltet. Wir sind durchaus Fans des Reuse-Konzepts, aber wie gesagt, das lag schon nicht mehr in unserer Hand.
MS: Vielleicht noch mal zur Verdeutlichung: Wir hatten zwei Gemeinden, die sich zusammengetan haben. Die eine Gemeinde hatte eine Kirche und ein Gemeindehaus, die andere hatte das Grundstück mit dem Pfarrhaus, einem Haus für die Gemeindeschwester und das Gemeindehaus. Eine Kirche ist hier nie gebaut worden. Gottesdienste wurde im Gemeindehaus abgehalten, das nicht wirklich den Charakter einer Kirche hatte. Hier musste ständig improvisiert werden. Und weil du das andeutetest: Ich glaube nicht, dass wir in der CO2-Bilanz hier eine Menge hätten rausholen können, zumal wir ja auch einen Holzbau umgesetzt haben. Wir haben also die Wettbewerbsbedingung akzeptiert. Immerhin haben wir die Setzung der neuen Kirche mit den anliegenden Gemeinderäume verändern können, wir haben das Volumen nicht mitten auf das Grundstück in den alten Baumbestand gestellt, sondern hinter das damals noch bestehende Gemeindezentrum.
MS: Das war der Wunsch der Gemeinde.
MS: Ja und nein.
LH: Am Anfang waren wir damit nicht einverstanden, haben die Kapelle aber schnell als Möglichkeit begriffen, einen sehr schönen Außenraum zu definieren. Und dann kam dazu, dass die Kölner sehr viele Nutzungsanforderungen an die Kirche hatten. Ein kleiner Raum, der nur der Meditation dient, war da sehr willkommen. Wir haben eine ganze Zeit gebraucht, zu verstehen, dass die Kirche in Köln nicht ausschließlich dazu dient, Gottesdienste zu feiern. Die ganz alltägliche Nutzung steht hier deutlich im Vordergrund.
MS: Da trafen wohl auch zwei Vorstellungswelten ... nein, zwei Sprachwelten aufeinander. Für uns ist die Kirche ein Ort, der sich durch seine spirituelle Qualität auszeichnet. Wir wollen einen Raum schaffen, der die physischen Gegebenheiten wie Konstruktion, Material etc. überwindet und zu metaphysischen Aspekten gelangt. Das haben wir nicht vor uns hergetragen, aber das war sicherlich die ganze Zeit in unserm Hinterkopf. Die Kirchengemeinde hatte dagegen immer die größte Sorge, die Architekten könnten etwas vergessen ...
LH: ... die Küche beispielsweise, die Toiletten, die Gruppenräume, den Kinderraum, den Yoga-Raum ... !
MS: Und diese Räume müssen hierhin oder dorthin und so weiter. Das alles kam sehr pragmatisch an und zwischen den Zeilen konnten wir immer die Angst lesen, dass wir uns ja doch nur ein Denkmal bauen wollten. Andererseits gab es natürlich nie Zweifel an der Erwartung, dass am Ende eine Kirche dabei rauskommen sollte.
MS: Das Licht ...
LH: Aber auch über die spezielle Konstruktion, über das scheinbar Einfache des Raums, über die Wiederholung der Motive, über das Material, die Farbe, und ja, über das Licht, natürlich.
MS: Eigentlich ist das sehr einfach: Das Licht, das im Altarraum den Screen zum Leuchten bringt auf der einen und auf der anderen Seite des Längsvolumens die matte Scheibe. Dort wirkt das Schattenspiel der Bäume davor ... Das war’s!
MS: Wie die Prinzipalien ist auch die Orgel eine Hinterlassenschaft derjenigen Kirche, die wegen des Gemeindezusammenschlusses verkauft wurde. Die Orgel ist sowohl optisch als auch vom Klangvolumen eigentlich fast zu groß für den Raum. Ein Orgelbauer aus Freiburg hat das Instrument dann auf den Raum gestimmt.
LH: Hast du sie gehört? Nein? Oh, die Orgel füllt den ganzen Raum mit ihrem Klang, das ist fantastisch!
MS: Anfangs gab es Bedenken, der Screen könnte vibrieren oder den Ton verfälschen.
LH: Aber man kann die Orgel im Schattenumriss sehen! Wenn man genau hinschaut, bei entsprechend einfallendem Licht ... dieses Unscharfe, Geheimnisvolle gefällt mir sehr gut.
MS: Dem wäre vielleicht hinzuzufügen, dass wir mit dem abstrakten Bild, den Farben und ihrer oszillierenden räumlichen Wirkung nahe an der Musik dran sind. Vielleicht sogar ganz besonders an der Vielstimmigkeit, die gerade eine Orgel auszeichnet.
LH: By the way, du sprachst vom Katholischen. Als wir die Kirche fertiggestellt hatten gab es einen Gottesdienst, an dem auch die Katholiken aus der Nachbarschaft teilnahmen. Sie hatten während des Umzugs viel Nachbarschaftshilfe geleistet. Ich hatte den Eindruck, dass ganz besonders die von der Musik der Orgel bewegt waren, ja richtig mit ihr mitgingen!
[längeres Schweigen]
LH: Ich könnte mir vorstellen, dass das eine Auszeichnung wäre, die eher einem Team verliehen würde. Architekten, Fachplanen, Bauherren ... eigentlich allen, die an einem Projekt mitgearbeitet haben. Ich denke hier an das LCC [London County Council; Be. K.], das als öffentlicher Auftraggeber jahrzehntelang sehr gute Projekte angeschoben hat.
MS: Das ist vielleicht ein Stichwort: öffentlicher Auftraggeber. Wir haben ja potentiell eine großartige Bauverwaltung. Deren Rolle wurde aber über die letzten Jahrzehnte mehr und mehr verändert. Das Vorbild ist nicht mehr der öffentliche, sondern der private Bauherr und die Öffentlichen versuchen, privater zu sein als die Privaten. Wer meint, dass Bauherren keine Gestaltungsaufgabe hätten, hat nichts kapiert. Also, ich würde einen Preis ausloben, der von Architekten für die beste Planung und Realisierung einer öffentlichen Planungsbehörde vergeben wird. Die wenigen Beamten, die sich gegen alle Widerstände immer noch persönlich für gute Architektur einsetzen, soll man zum vorbildlichen Standard erheben.
LH: Die Folge wäre – im Idealfall –, dass wir damit die Arbeit in einer Behörde nicht nur als Anlegestelle im sicheren Hafen des öffentlichen Dienstes, sondern vor allem als ein Einsatzfeld für mutige Ideen und vorbildliche Projekte zeigen, das auch für begabte Architekten sehr attraktiv sein kann. Eine Karriere im Bauamt, die wieder mit Gestaltung und nicht bloß mit Verwaltung zu tun hätte. Das gab es doch mal!
Mit Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 9. Juli 2015 in deren Berliner Büro Sauerbruch Hutton an der Lehrter Straße.