Transformation einer ­Industriehalle

LocHal, Tilburg/NL

Allein durch ihre Größe beeindruckt die ehemalige Lokhalle ihre Besucher; mehr noch allerdings durch das, was die PlanerInnen in Abstimmung mit der Stadt dort entstehen ließen. Sie griffen die Industriegeschichte der Stadt auf, die durch Metall- und Textilindustrie ihre Bedeutung bekam und verbanden sie mit einer intelligenten, neuen Nutzung für die Zukunft.

Die niederländische Bahn betrieb bis in die 1980er-Jahre hinein auf dem Gelände neben dem Tilburger Bahnhof den Bau und die Reparatur von Loks und Waggons. Die Stadt Tilburg erwarb das 75 ha große Gelände, um dort einen neuen Stadtteil zu entwickeln, nachdem dort die Betriebe nach und nach aufgaben. Einige markante Gebäude sollten erhalten bleiben, weil sie die Geschichte der Stadt repräsentieren, darunter auch die LocHal, ein imposanter, zweischiffiger Lokschuppen mit einer Grundfläche von 90 x 60 m und einer Höhe von 15 m.

Aus einem eingeladenen Wettbewerb gingen CIVIC Architects gemeinsam mit Braaksma & Roos Architecturbureau und Inside Outside hervor. Vorgabe war, dass das Gebäude für eine Bibliothek genutzt werden und das kulturelle Erbe der Region dort seinen Ort finden sollte. Zunächst dachte die Stadt daran, die Doppelhalle als zwei getrennte Einheiten zu nutzen – allerdings war man auch aufgeschlossen für weitere Vorschläge.

„Als wir in die Halle gingen, waren wir von ihrer Größe erschlagen. Sie hatte fast etwas Unmenschliches, weil sie im Verhältnis zur menschlichen Größe so riesig erschien“, erinnert sich Gert Kwekkeboom, der neben Ingrid van der Heijden projektverantwortlicher Architekt bei CIVIC Architects war. Die Überlegungen das Planungsteams gingen dahin, das gesamte Volumen zu nutzen und mit einer aufsteigenden breiten Treppenlandschaft den Raum zu erschließen und fließende Übergänge zu schaffen. Die robuste Stahlkonstruktion bietet einen perfekten Rahmen für öffentliche Veranstaltungen und kulturelle Nutzungen. So blieb ein Großteil des Industriegebäudes erhalten – die Architekten sprechen von 90 %. Heute sind neben der öffentlichen „hybriden“ Bibliothek die Kunstorganisation Kunstloc, Brabant C (Fond, der kulturelle Projekte fördert) und die Co-Working-Einrichtungen von seats2meet untergebracht. Das Gebäude wurde in enger Zusammenarbeit zwischen CIVIC Architects (Nutzungskonzept und Lead Architects), Braaksma & Roos Architectenbureau (Renovierung und Denkmalpflege) und Inside Outside/Petra Blaisse (textile Vorhänge) entwickelt, während das Ingenieurbüro Arup zu Akustik, Beleuchtung, Bauphysik und Tragwerk beriet. Die Einrichtung der Bibliothek, der verschiedenen „Labs“, des Cafés und der Büros war Aufgabe von Mecanoo.

Die LocHal ist sehr zugänglich und einladend. Die Eingangshalle ist ein überdachter Stadtplatz mit einem Ausstellungsbereich, großen Lesetischen und einem Café. Die Lesetische haben die Grundfläche einer Lok und lassen sich auf den alten Schienen verschieben, so dass eine Bühne entstehen kann. Große Treppenanlagen mit Sitzstufen führen in die oberen Ebenen. Im 1. und 2. Obergeschoss ermöglichen Treppen und Galerien einen Blick durch das Gebäude, hier befinden sich auch Bücherschränke und Lesebereiche. Das Konzept der hybriden Bibliothek bedeutet, dass neben der Ausleihe von Büchern oder Medien auch sogenannte Labs dazu einladen, selbst zu forschen und recherchieren:  DigiLab, FoodLab, FutureLab, WordLab, HertitageLab und viele mehr sind in der gesamten Halle verteilt. „Am Anfang stand für uns die Überlegung, wie man Menschen dazu bekommt, eine öffentliche Bibliothek aufzusuchen, wo heute doch jeder googelt“, beschreibt Architekt Kwekkeboom seine anfänglichen Gedanken, die über die traditionelle Nutzung einer Bibliothek hinausführen sollten. Die LocHal sollte über die Interaktion mit menschlichen Experten tiefere und umfassendere Möglichkeiten bieten, Wissen zu erwerben. So kam es auch dazu, dass verschiedene Kunst­­ins-titute und ein Co-Working-Unternehmen dort angesiedelt sind.

 

Textile Vorhänge

Eine wichtige Rolle für die Nutzung der LocHal spielen die sechs riesigen Vorhänge, die von Inside Outside/Petra Blaisse aus Tilburg in Zusammenarbeit mit dem TextilLab entwickelt und vom Textil Museum Tilburg gewebt wurden. Sie dienen zum einen dazu, Raumzonen je nach Bedarf abzugrenzen und zum anderen verweisen sie auch auf einen anderen wichtigen Industriezweig der Stadt – die Textilindustrie. Die sechs Vorhänge bilden drei Paare, die an Schienen mit Motoren bewegt werden. Die längsten sind 15 m hoch und 50 m breit, die insgesamt 4 125 m² textilen Vorhänge wiegen 1 990 kg – Dimensionen, die ähnlich imposant sind wie die Halle selbst.

Je nach Position ergeben sich im Raum neue Perspektiven und dennoch bleibt der Gesamtraumeindruck erhalten; dies auch, weil ein Teil der Vorhänge transparent ist. Die technischen Anforderungen an das Material waren hoch: Es sollte sowohl glänzend als auch matt, feuerfest und farbecht sein und industriell aussehen. Das Ergebnis nach intensiven Recherchen und Versuchen ist ein Gewebe aus Kunststoff und Segeltuch, das die geforderten Eigenschaften erfüllt.

 

Tragwerk und Fassade

Aus denkmalpflegerischen Gründen wurden die Fassaden mit ihrer Industrieverglasung möglichst bewahrt und restauriert. Die wesentlichen Eingriffe wurden an der Südseite vorgenommen. Dort war die Halle ursprünglich sehr geschlossen. Da über diese Seite der Hauptzugang erfolgen sollte, wurde die zur Stadt hin orientierte Fassade komplett geöffnet, um eine gute Verbindung zum Außenraum zu erhalten. Der angefügte „urban balcony“, der über dem Eingang liegt, nimmt den Rhythmus der vorhandenen historischen Fassadegliederung auf und bietet neben der Möglichkeit als Aussichtsplattform auch Raum für Ausstellungen. Nord- und Ostfassaden wurden im Wesentlichen erhalten und restauriert. Im Ergeschoss wurde ein Teil der Westfassade erneuert, um mehr Tageslicht einzulassen. Die Stahlprofile der neuen Pfosten-Riegel-Fassade in den 5,40 m breiten Feldern der Primärstruktur haben eine Ansichtsbreite von nur 60 mm. Die Fassade wurde mit Stahllaschen an die vorhandene Primärstruktur befestigt. Die drei Scheiben in der unteren Reihe sind 1,80 m breit, die zwei in der darüber liegenden Reihe 2,70 m. So trifft der Pfosten der oberen Reihe mittig auf den Riegel der da­runterliegenden Reihe. Um die Last hier aufzufangen wurden diese Riegel mit einem innenliegenden Flachstahl verstärkt. In den neu erstellten Bereichen wurde nur eine Zweifach-Isolierverglasung eingesetzt, da die Hülle im Wesentlichen ein Wind- und Wetterschutz ist.

Die Tragstruktur der Halle blieb fast unangetastet. Dort, wo es unbedingt nötig war, wurde verstärkt, es wurden überflüssige Einbauten entfernt und neue Säulenstrukturen an den Seiten für Galerien und Treppenanlagen eingebaut. „Das kaskadierende System von Ebenen und Treppen erzeugt Dynamik, die Menschen bewegen sich von unten, wo es etwas dunkler ist, hinauf in die helleren oberen Bereiche der LocHal“, erklärt Gert Kwekkenboom.

Klimazonen

„Wir wollten Menschen erwärmen, nicht den Raum“, erläuterten die Planer von Arup das Klimakonzept für die LocHal. Die Art der zu erhaltenden Fassade macht es nahezu unmöglich, sie so auszurüsten, dass die ganze Halle klimatisch kontrolliert werden kann. Das hätte den Charakter des Gebäudes zerstört. Dazu Rob Verhaegh von Arup: „Das gesamte Gebäude ist zu groß, um es effizient zu heizen oder zu kühlen. Es hätte einen
enormen Energieverbrauch bedeutet. So kam Arup dazu, verschiedene Zonen zu beheizen, je nach den spezifischen Anforderungen dort.“ Im gesamten Gebäude wurden die Installa­tionen für Elektrik, Mechanik und Sanitär neu verlegt, um heutigen Anforderungen zu entsprechen.

Im Eingangsbereich hat die Außentemperatur den größten Einfluss, dort ist es im Winter immer etwas kühler und im Sommer etwas wärmer als in anderen Bereichen. Die Treppen sind ebenfalls durch integrierte Lüftungsschlitze klimatisiert und haben ihre eigene Klimazone. Die Meetingräume, Büros und Kuben der Labs wurden komplett klimatisiert. Die Sheds im Dach lassen sich öffnen, so das hier im Sommer eine Luftzirkulation möglich ist. ⇥BBe

Das hybride Gebäude ist viel mehr als nur eine Bibliothek. Die Bestandshalle wird durch unterschiedliche Niveaus mit Treppen und Terrassen neu gegliedert. Durch mobile, raumhohe Leinwände lassen sich für unterschiedliche Programme immer neue Konfigurationen herstellen. Durch diese Nutzungsoffenheit ist ein einladender Raum entstanden, der zu einem Forum für die Stadt werden kann. Eine gelungene Transformation in einen neuen öffentlichen Ort!«⇥DBZ Heftpartner Teleinternetcafe

Baudaten

Bauherrin: Stadtverwaltung Tilburg/NL

Architektur: Civic Architects, Amsterdam/NL, www.civicarchitects.eu

Sanierung und Durchführung: Braaksma & Roos Architectenbureau, Den Haag/NL, www.braaksma-roos.nl

Innenarchitektur, Textilien: Inside Outside / Petra Blaisse, Amsterdam/NL, www.insideoutside.nl

Landschaftplanung: Donkergroen, www.donkergrop.com

Innenarchitektur Bibliothek und

Büros: Mecanoo, Delft/NL,

www.mecanoo.nl

Fachplaner

Tragwerksplanung, Gebäudetechnik, Bauphysik, Brandschutz, Beleuchtung, Akustik: Enny Breure, Simone Collon, Antonio D´Aquilio, Solmaz Esmailzadeh, Bettine Gommer, Michiel Hagenouw, Sander Hofman, Bart Kramer-Segers, Ander Perez Palacios, Camille Pfeiffer, Ouiam Rhersellah, Kevin Truijens, Rob Verhaegh, Babette Verheggen, Pieter Wackers, Hielke Wagter, Tom Warger, Matthew Vola (Projekt Leiter), Arup, Amsterdam/NL, www.arup.com

 

Projektdaten

Grundstücksgröße: 11 200 m2

Nutzung: öffentliche Bibliothek  Midden-Brabant, seats2meet (Co-Working), BKKC, Kunstbalie, Catering-Einrichtungen, Eventbereiche

Hersteller

Fassade: Facadis Gevelbouw,

www.facadis.nl; Jansen ODS,

www.jansenbyods.com;

Oberlicht: JetBik, www.jet-bik.nl

Stahltragwerk: Klein Poelhuis,

www.kleinpolhuis.com

Bewegliche Paneelwände: Breedveld Mobliele Wandsysemen,

www.breedveld.com

Glaswände: Vitriwand,

www.vitriwand.nl

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