„Integral denken, lehren und bauen“
Ein Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Dirk Henning Braun
gbt.arch.rwth-aachen.de

Der Lehrstuhl für Gebäudetechnologie an der Fakultät für Architektur der RWTH Aachen entstand 2012 als Fusion der Lehrstühle „Technischer Ausbau und Entwerfen“ und „Baukonstruktion 3“. Er wird von Univ. Prof. Dr.-Ing. Architekt Dirk Henning Braun geleitet. Mit den Schwerpunkten Ressourcenoptimiertes Bauen, Innovative Gebäudetechnologien und Adaptive Fassaden richtet sich die Architekturfakultät im Reiffmuseum zukunftsfähig aus.

Prof. Braun, das Thema des ressourcenoptimierten Bauens beinhaltet, mithilfe integraler Planung die Prozesse zu optimieren. Wie stellt sich Ihr Lehrstuhl darauf ein?

Wir entwickeln an der RWTH Lehrformate, die geeignet sind, die enormen Distanzen zwischen der integralen Planung als theoretisches prozessuales Gedankenmodell und der Realität in den Planungsbüros und den Baustellen zu überbrücken. Da die Komplexität, die hinter diesen Aufgaben schlummert, extrem hoch ist, muss diese dosiert und schrittweise in die Lehre übertragen werden. Beispielhaft dafür steht das Modul der „Integralen Gebäudeplanung“, das über 2 Semester mit den Kollegen der Bauplanung und der computergestützen Architektur als Pflichtfach im Masterstudiengang durchgeführt wird.

An welchem Punkt im Studium sollte man das Thema der integralen Planung in die Lehre einbringen?

Ein guter Zeitpunkt ist einfach: Immer! Bauen heißt ja nicht, Architekt oder Bauingenieur oder Gebäudetechniker sein, sondern Bauen heißt, in einem Expertenteam einen Entwurf zu physikalisieren, der nicht nur allen Regeln, Normen und Gesetzen entsprechen muss, sondern auch weiche Faktoren wie Emotionen oder Orientierung beinhalten soll. Daher ist es essentiell, die gebaute Umwelt als Ergebnis eines integralen Prozesse vieler Beteiligter zu verstehen und diese Haltung so früh wie möglich an junge Gestalter in spe zu kommunzieren.

Gibt es konkrete Projekte hier in Aachen, bei denen integral zusammen gearbeitet wird?

Neben dem schon oben erwähnten Modul „Integrale Gebäudeplanung“ durchlaufen die Bachelorstudierenden im 4. Semester das „Integrierte Projekt“ unter Beteiligung der Lehrstühle Baukonstruktion, Tragwerksplanung und Gebäudetechnologie. Aus meiner Sicht ein Erfolgsmodell der „Stuttgarter Schule“ – geprägt durch Prof. Peter von Seidlein, seiner Zeit Professor der Baukonstruktion an der Universität Stuttgart. Das war auch für mich als Student 1996 ein anhaltend prägendes Lehrformat.

Leider nutzen wir in Aachen die Potentiale dieses ersten integrativen Projekts im Bachelorstudium nicht konsequent aus, da die Fachdisziplinen Baukonstruktion, Tragwerksplanung und Gebäudetechnologie nicht gleichwertig abgebildet werden. Hier sehe ich noch Verbesse-rungspotential.

In Fünfer-Gruppen erarbeiten die Studierenden ein Semester lang mittelgroße weitspannende Bauaufgaben und erleben nicht nur die Wechselwirkung der verschiedenen Fachdisziplinen, sondern eine Feuertaufe, denn sie müssen nicht nur Gruppenarbeit machen, sondern auch in einen Maßstab von 1 : 50 oder gar 1 : 1 vordringen. Das heißt, sie müssen z. B. das Tragwerk ganzheitlich bis ins Detail verstehen und dessen Interaktion mit dem Lüftungsrohr, das auf „einmal“ quer durch den Träger geführt werden soll.

Wird die Lehre zum Thema der integralen Prozesse fakultätsübergreifend eingegrenzt?

Leider ja, wir haben in Aachen z. B. kein kompatibles Lehrformat für Integrales Planen zwischen den Fakultäten des Bauingenieur- und Maschinenbauwesen und den Architekten. Die Studierenden der erstgenannten Fakultäten haben kein semesterübergreifendes Lehrformat eines „Projektes“, bei dem sie ein Semester oder mehr Zeit haben, einen Architektenentwurf durchgängig zu begleiten. Da die meisten Studierenden heute sehr auf Regelstudienzeiten und ECTS-Leistungspunkte fixiert sind, erlauben sich die wenigstens Raum für solche sehr sinnvollen „Extrarunden“, leider!

Das ist es ein strukturelles Problem, das wir auf der Studiendekane-Konferenz lösen müssen, um das integrale Planen im Studium durchlässiger, transparenter und erlebbarer zu machen.

Dass es auch anders geht, zeigen aber auch Projekte wie der Solar Decathlon oder der jährlich stattfindende VDI-Wettbewerb für Studierende. Beide Formate fordern die Interaktion der Fachdisziplinen ein und belohnen die Teilnehmer mit Erfahrung, Austausch und u.a. sehr hohen Preisgeldern!

Die Disziplin der Gebäudetechnik hat bei Architekten keinen guten Ruf. Es gibt Aussagen wie: „Es gibt so wenige gute TGA-Planer“. Gibt es Ansätze hier in Aachen, dem Bereich in Hinblick auf integrale Planung einen qualitativen Anstoß zu geben?

Zu Beginn des Studiums merken wir häufig, dass die Studierenden die Berufsbereiche des Architekten, des Bauingenieurs oder der Gebäudetechnik nur durch Hörensagen beurteilen und inhaltlich nicht wirklich durchdrungen haben. Die Studienplatzwahl erfolgt dann meist noch weit weniger durchdacht und oft fremdbestimmt.

Mir fällt dabei immer wieder auf, dass wir viele Architekturstudenten ausbilden, die sehr gute Konstrukteure und Tüftler sind und besser nach innen als nach außen wirken. Seine kreative Leistung zu zeigen, sich zu „vermarkten“ und zu verteidigen ist auch nicht jedermanns oder jederfraus Sache. Genauso geht es aber auch den anderen Fakultäten wie Maschinenbauern und den Bauingenieuren.

Wir sollten daher an den Rändern arbeiten, allen am Bauen Beteiligten Zugang zu Nachwuchsressourcen ermöglichen und integrales Denken stabiliseren. Wenn ich den Rand des anderen kenne, ist meine Mitte nicht mehr so weit weg! Und das geht allen am Bau so!

Ich würde mir wünschen, dass wir in Aachen eine Art „Sondierungsjahr“ aller „am Bau schaffenden“ Lehrkompetenzen einführen, in dem die vielfältigen Aufgaben und Aspekte des Bauens dem Studierenden dargestellt werden, damit er nach einem Jahr Erfahrungsaufbau die Chance hat zu sagen: „Ich finde so eine thermodynamische Berechnung und Konzeptionierung einer Raumluftanlage einfach total super“ oder „Ich spüre jetzt endlich, dass ich Bühnenbildner am Theater werden kann“ oder „Wenn ich keine Brücke rechnen darf, drehe ich durch!“

In der Praxis spielen Architekten oftmals nicht mehr die Rolle, die der Beruf früher hatte, nämlich die des Generalisten. Es gibt eine andere Rollenverteilung und Verantwortung, u.a. durch Projektentwicklung, Projektsteuerung, Generalplanung. Wie werden die Studierenden auf diese Situation vorbereitet?

Unsere Aufgabe muss es sein, Studierende wieder dahin zu führen, dass sie eine generalistische Wahrnehmung der Qualität von Gestaltung haben und später als Moderator komplexer Vorgänge wirken können. Das Potential der Architekten ist die integrierte Gestaltungsleistung der gebauten Umwelt, die mehr und mehr von „gestaltungsbefreiten“ Kompetenzen dominiert wird. Genau dagegen will ich vorgehen: Ich glaube fest an die Qualität der Gestaltung meiner Umgebung, sei es ein Türdrücker oder das Layout eines Stadtquartiers. Es geht immer und immer mehr um die basale Umgebung, das meint nicht Job, Geld oder zu Hause. Es meint Qualität! Und das können wir als Architekten leisten oder sollten es zumindest können!

Sie haben während Ihres Studiums in Stuttgart mit Werner Sobek und Stefan Behling zwei Professoren gehabt, die Sie sicherlich frühzeitig mit dem Thema der integralen Prozesse konfrontiert haben. Geben Sie das jetzt an Ihre eigenen Studenten so weiter?

Zwei solche Profis als Professoren zu haben ist sicher ein großer Glücksfall, das stimmt, wobei mich der eine eingeschüchtert und der andere zugleich befreit hat. Ich sage Ihnen natürlich nicht wer welche Rolle hatte. Für beide Erfahrungen bin ich im Nachhinein sehr dankbar und fast sicher, dass diese besondere Qualität der „Stuttgarter Schule“ den Gedanken Frei Ottos geschuldet ist.

Wichtiger für mich ist jedoch die Entschlossenheit des Gestalters, der in seiner Aufgabe unbeeindruckt und beharrlich seinen Weg geht und sich als ganzheitlicher Moderator des Bauens versteht, also auch die Subsysteme Tragwerk, Ausbau und die gebäudetechnologischen Komponenten mitentwirft und gestalterisch integriert.

Mit Prof. Dr. Braun sprachen Sandra Greiser und Burkhard Fröhlich,
Chefredaktion DBZ, am 14. Juli 2015 an der RWTH Aachen.

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