Halle 6 West,
Interdisziplinäres Zentrum für digitale Kultur,Nantes/FR
Bauen im Bestand ist, auch wenn es vielleicht paradox klingen mag, immer auch etwas ganz Neues. Zwar werden im besten Fall die Themen vor Ort in den Entwurf mitaufgenommen, wird das Vorhandene, das Materielle, die Tragkraft, vielleicht gar der Genius Loci in eine neue, eine zeitgenössische Sprache übersetzt, doch immer auch geht es um das Weiterleben des Vorhandenen mit neuen Anforderungen. Schon ein Nutzungswandel erfordert radikales Loslassen vom Bestehenden, sonst bekommt das Bauen im Bestand den Gestus des Protagonisten einer Seifenoper, der viel verspricht und am Ende gar nichts halten kann. In Nantes haben LIN Architekten Urbanisten die Geschichte des Ortes angenommen, aber dann etwas ganz Neues gewollt. Und das sehr lässig erreicht.
„Phönix aus der Asche“ oder gerne auch „Zukunftsinsel“: Die französische Stadt Nantes begann Ende des letzten Jahrhunderts nach Potential für Eigenentwicklung, für Zukunftsfähigkeit Ausschau zu halten. Und fand dieses direkt vor der Haustür auf der Île de Nantes, fußläufig von der Nantaiser Altstadt entfernt, umflossen von der mittlerweile in diesem Abschnitt wieder komplett freigelegten Loire. 5 km lang, 337 ha groß, bis vor etwa 30 Jahren wurden hier Schiffe gebaut und andere Hardware gefertigt, Industrie und Gewerbe standen für die wirtschaftliche Kraft der Hafenstadt.
Dann kam, wie überall, der Niedergang der Großindustrie, Produktionen wurden verlagert, Leerstand, Ruinen und Wildwuchs – auch architektonischer – machten sich auf der zentrumsnahen Insel breit. Es gab also diese ideale Mischung aus verlorenen Resträumen, sanierungsbedürftigen Wohnquartieren und unter Druck stehenden Einkaufszentren einerseits und andererseits eine Stadt auf der Suche nach Zukunftslaboren.
Planen und Bauen mit dem Bestand
Es gab einen Wettbewerb für eine Masterplanung, die Alexandre Chemetoff und Landschaftsgestalter Jean-Louis Berthomieu gewannen. Doch im Gegensatz zur HafenCity in Hamburg machte man in Nantes keine Tabula rasa. Die Stadt setzte auch nicht nur auf Wohnungs- oder Bürobau, sondern behielt die gewachsenen (Gewerbe-)Strukturen im Wesentlichen bei. Das Bauen im Bestand entwickelte sich aus der Planung mit dem Bestand. Und der war im hier besprochenen westlichen Teil der Insel von der Werftindustrie mit großen Fertigungshallen geprägt. Von den Neubauten der letzten Jahre dort gab es, neben dem vielleicht bekanntesten, dem Palais de Justice von Jean Nouvel, zwischen und mit den historischen Ziegel-, Stahl- und Glasbauten Gärten, Ausstellungsräume oder die Architekturschule von Nantes, die Lacaton Vassal 2009 fertig stellten. Die Stadt, hier der stadteigene Projektträger, die Société d’Aménagement de la Métropole Ouest Atlantique (SAMOA), versteht die Umgestaltung der riesigen Fläche als „offenes, flexibles, kreatives und gemeinsames Projekt, das ganz unterschiedliche Initiativen einbeziehen kann.“
Halle 6 West, Charakter
Halle 6 West ist nur ein kleiner Teil einer großen Produktionsstätte des hier einmal arbeitenden Alstom Konzerns, der hier in Nantes Schiffspropeller produzierte. Die alten Alstom-Hallen – sechs an der Zahl – standen lange leer und wurden in den vergangenen Jahren von sogenannten Start-ups aus der Kreativ- und Kulturbranche in Teilen genutzt („Le quartier de la création“). 1,5 ha Grundfläche überdecken sie etwa insgesamt, mittlerweile sind alle Hallen überplant, um- und weitergebaut und bezogen. Halle 6, zwischen der École des Beaux-Arts Nantes Saint-Nazaire im Norden und Wohnbebauung im Süden liegend, war immer schon in zwei Teile aufgeteilt und nun auch in zwei Teilen beplant: der östliche Part, ein „Hotel für digitale und kreative Unternehmen“ von Avignon-Clouet architectes, der westliche das „Interdisziplinäre Zentrum für digitale Kultur“ von LIN Architekten Urbanisten.
Das Konzept für Halle 6 West war den ArchitektInnen vorgegeben. Hier sollte die digitale Zukunft in Arbeit und Produktion sichtbar werden, eine Karte, die die Stadt Nantes für ihr Innovations-Marketing ausspielt. Die ArchitektInnen übersetzten nun die historischen Produktionswerkstätten in zeitgenössische Modie: Im Erdgeschoss befinden sich Fab Lab (westlicher Teil) mit Maschinen und Ateliers und User Lab (östlicher Teil) für Experimente. Die beiden können sich flexibel im zentralen Raum der Halle flächenmäßig verändern. Die Grundriss- und Vertikalstruktur sieht eine flexible Raumlandschaft vor, die den sich schnell entwickelnden Produktionsprozessen durch die klare Rasterstruktur ihres Behälters leicht angepasst werden kann. Um das „mise en scène“ zu unterstreichen, wurde sowohl auf den neuen wie den Bestands-oberflächen dieselbe Farbe verwendet: Eine helle, leicht silbrige Lackschicht mit lichtdurchlässiger Textur erzeugt reibungsarme Bewegungen und soll den Fokus auf die Arbeit richten helfen. Hier nimmt sich das Gebäude zurück.
Halle 6 West, Struktur
Die Beibehaltung der bestehenden Struktur von Halle 6 West anstelle der Errichtung eines neuen Gebäudes war, so die ArchitektInnen, zentraler Punkt der Arbeit. Dabei wurde der Bestand hinsichtlich der aktuellen Bau- und Brandschutzanforderungen analysiert. Dann wurde die Halle komplett entkernt, die Seitenschiffe wurden freigemacht. Jetzt sind das Tragwerk und weitere strukturierende Elemente sichtbar. Insbesondere der vom Sheddach belichtete, 10 m breite und bis zu 13 m hohe Zentralraum kann wieder beeindrucken. Und er ist, weil komplett in der gedämmten Hallenhülle, Innenraum. Im Kern sollen das sogenannte 550 m² große „Fab Lab“ und „User Lab“ das neue Herz des Hauses sein. Links und rechts davon stapeln sich zur Halle hin verglaste Büro- und Mehrzweckräume auf vier Ebenen. In den vier Gebäudeecken liegen die großen Treppenhäuser.
Zwischen die Büroebenen können Passarellen gehängt werden, die einerseits einen Flächenzugewinn darstellen, andererseits aber auch der direkten Kommunikation dienen. Auffällig der sogenannte „immersive Kollaborationsraum“, eine etwa 5 m über dem Hallenboden schwebende Black Box aus geschweißtem Stahl. Hier sollen auf 75 m² Fläche alle VR-, AR- und MR-Themen ihre Arbeitsheimat finden.
Das Fab Lab, User Lab und der öffentliche Platz können durch das Verschieben modularer Wände für eine gezielte Zugangskontrolle programmiert werden, man kann aber auch den offenen Straßencharakter beibehalten. Sowohl die Galerien und auch die Brücken-/Passarellenräume sind der Ort für Geschäfts- und informelle Gespräche aller Art und ein Angebot für die aktive Entwicklung einer Sharing Economy.
Gestaltung des Bausteins Halle 6 West im Kontext
Der Rhythmus in den Wandöffnungen an der Süd- und Westfassade wurde beibehalten. Die Nordfassade gegenüber der École des Beaux-Arts Nantes Saint-Nazaire wurde auf dem Raster des Vorhandenen durchlässiger gemacht, um hier eine starke Verbindung zur neuen Fußgängerzone herzustellen. Die Transparenz möchte den fachlichen Austausch mit der École des Beaux-Arts fördern und der Stadt ein Willkommen signalisieren. Die Ostfassade – hier ist die Halle 6 unterbrochen und lediglich das offene Dachtragwerk läuft hier weiter in Richtung Halle Ouest – ist komplett verglast, hier liegt auch der Haupteingang zu beiden Hallenteilen. Von hier aus, der neugeschaffenen Plaza, gegenüber dem klar geführten Schnitt durch das Volumen, geht der Blick auf Fab Lab, User Lab, die Galerien, Passarellen etc.
Die massiven Außenwände mit Außenwanddämmung wurde – wie das Innere auch – komplett mit einem hellen, silbern metallisch glänzenden Lack überzogen. Damit konnten die ArchitektInnen das historische Volumen kenntlich machen wie zugleich über die Abstraktion an die umliegenden, ebenfalls hellgefärbten Hallenbauten und ihren glänzenden Edelstahlelemente in der Fassade (das „Insula“, von Besseau – Micheau) anschließen. Be. K.
Die prozesshafte Transformation der Île de Nantes ist eine der spannendsten städtebaulichen Entwicklungen der letzten Jahre. Bis heute ist dort eine Vielzahl von äußerst gelungenen, innovativen Bauten entstanden, von der Architekturschule über Wohnungsbau, Kreativwerkstätten bis hin zu öffentlichen Freiräumen. Die Halle 6 als Transformation einer ehemaligen Werkshalle ist dabei ein aktuell herausragendes Beispiel.« ⇥
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Baudaten
Objekt: Halle 6 West, Interdisziplinäres Zentrum für digitale Kultur
Standort: 42 Rue de la Tour d‘Auvergne, 44000 Nantes/FR
Bauherr: Universität Nantes/FR
Architekt: LIN Architekten Urbanisten, Paris/FR, Berlin, www.lin-a.com
Mitarbeiter (Team): Sandra Badji (Projektleitung), Fabian Scholz (Projektleitung Wettbewerb), Kévin Biot, Alejandra Castellanos, Hélène Coussedière, Manon Fougerouse, Finn Geipel, Isalyne Hoarau, Philip König, Maja Lesnik, Martin Leveilley, Florent Lévêque, Alice Manach, Amande Marie, Carolin Miller, Cécile Oberkampf, Joanna Orlowska, Martin Painsar, Guillaume Pinton-Delteil, Lisa Tertrin, Thibaud Toussaint, Kim Tzarowsky
Bauleitung: F.au, Nantes/FR
Bauzeit: 09.2017 – 09.2019
Fachplaner
Tragwerksplaner: Bollinger & Grohmann, Paris/FR,
www.bollinger-grohmann.com
TGA-Planer: Elogia, Nantes/FR, www.elogia.eu
Akustikplaner: Aida, Paris/FR, www.aida-acoustique.com
Energieplaner: Elogia, Nantes/FR
Brandschutzplaner: Casso & associés, Paris/FR,
www.cassoetassocies.com
Projektdaten
Grundstücksgröße: 4 000 m²
Nutzfläche gesamt: 2 500 m²
Baukosten (nach DIN 276)
Gesamt brutto: 7 Mio. €
Energiebedarf
Primärenergiebedarf: 66,3 kWh/m²a nach RT2012
Endenergiebedarf: 37,1 kWh/m²a nach RT2012
Jahresheizwärmebedarf: 18,5 kWh/m²a nach RT2012
Gebäudehülle: U-Wert Außenwand = 0,26 W/(m²K)
U-Wert Bodenplatte = 0,18 W/(m²K)
U-Wert Dach = 0,11 W/(m²K)
Uw-Wert Fenster = 1,4 W/(m²K)
Ug-Wert Verglasung = 1,1 W/(m²K)
Luftwechselrate n50 = 2,25 Vol/h
Die Heizung des Gebäudes erfolgt durch städtische Fernwärme (erneuerbaren Energiequote: 84 %). Wärmeabgabe durch Strahlung, Lüfter und Fußbodenheizung. Das Gebäude ist mit einem Dual-Flow-Lüftungsgerät mit Rotationswärmetauscher ausgestattet.
Hersteller
Wärmerückgewinnung/Außengeräte
Lüftung/Klima: Daikin, www.daikin.de
Wärmedämmverbund: Sto, www.sto.de
Außentüren: Doortal, www.doortal.fr
Innentüren: Malerba, www.malerba.fr
Drückergarnituren: Normbau, www.normbau.de
Akustiksysteme: ISOVER SAINT GOBAIN, www.isover.de
Isolation Fußbodenheizung: REHAU, www.rehau.com
Spotbeleuchtung: iGUZZINI, www.iguzzini.com
Schmutzfangmatten: Emco, www.emco.de