Granby Winter Garden, Liverpool/GB
Granby ist ein Stadtviertel von Liverpool, dessen Aufstieg, Niedergang und Wiederbelebung eng mit der Geschichte der Stadt verwoben ist. Der in zwei viktorianischen Reihenhäusern entstandene Granby Winter Garden kennzeichnet eine lebendige Community, die ihr verloren geglaubtes Viertel nach und nach zurückerobert und dabei Haus für Haus renoviert.
Die Stadt Liverpool war bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Dreh- und Angelpunkt internationaler Handelsbeziehungen: 40 % des Welthandels wurden über ihren Hafen abgewickelt. Erst als in den 1950er-Jahren die Bedeutung von Liverpool als Hafen- und Industriestandort abzunehmen begann, änderte sich das Bild.
Vom Niedergang des Granby Dreiecks ...
Lebten 1930 noch 850 000 EinwohnerInnen in der Metropole, waren es 1985 nur mehr 460 000. Die Armut stieg, der Migrantenanteil war hoch. Für vorher beliebte multikulturelle Stadtteile, wie das hafennahe Granby Dreieck, bedeutete dies einen sukzessiven Verfall, den die Stadtverwaltung angesichts der sogenannten „Toxteth-Unruhen“ 1981 noch beschleunigte. Die Verantwortlichen ließen leerstehende viktorianische Reihenhäuser abreißen und pflegten auch die Hauptstraße nicht mehr, sodass das Geschäftsleben des Viertels nach und nach lahmgelegt wurde. So wurde das Gebiet demontiert, mit dem Ziel, es irgendwann neu und vergleichsweise teuer aufzubauen.
… über den Widerstand und die Gründung des CLT …
Als das umstrittene „Programm zur Erneuerung des Wohnungsmarkts“ im Jahr 2011 schließlich gecancelt wurde, waren nur noch vier der ursprünglich 14 Straßen des Granby Dreiecks übrig. Doch in diesen vier Straßen wuchs der Widerstand: Die verbliebenen EinwohnerInnen räumten auf, legten Blumenbeete an, strichen düstere Fassaden und etablierten sogar einen monatlich stattfindenden Granby-Markt. Vor allem aber gründeten sie eine Stiftung, der jeder der derzeitigen und früheren AnwohnerInnen des Quartiers beitreten kann. Unter dem Namen Granby Four Streets Community Land Trust, kurz CLT, verfolgt dieser seither das Ziel, die leerstehenden Häuser von Granby behutsam zu sanieren und langfristig bezahlbaren Wohnraum für eine lebendige und nachhaltige Gemeinschaft zu schaffen, die allen Schichten offensteht.
… bis zum Masterplan
Den ersten Schritt auf dem Weg zur Revitalisierung des Stadtviertels stellte daher ein Masterplan dar, den die ArchitektInnen des Planungs- und Künstlerkollektivs Assemble für den Granby Four Streets CLT erarbeiteten. „Wir waren über ein Projekt, das wir in der der Nähe betreuten, zufällig in Kontakt mit dem CLT gekommen“, verrät der für das Projekt verantwortliche Architekt Anthony Engi Meacock. Erste Ideen hatte die Londoner Gruppe sogar unentgeltlich erarbeitet. Über den Masterplan sicherte sich das Team schließlich die Unterstützung der Stadt bei der Rettung des Quartiers. Auf seiner Basis hat der Trust inzwischen zehn verlassene Häuser saniert und der Gemeinschaft zugeführt. Darüber hinaus hat er mit dem Granby Workshop eine Werkstatt für experimentelle Architekturkeramik eingerichtet, in der lokale Künstler individuelle Fliesen, Terrazzo, keramische Lampen und vieles mehr produzieren.
Granby Winter Garden: von der Ruine ...
Mit dem Granby Wintergarden hat Assemble zusammen mit CLT in den einstigen Ruinen Cairns Street Nr. 37 und 39 zudem einen für die BürgerInnen des Quartiers frei zugänglichen Treffpunkt geschaffen, der die Gemeinschaft noch mehr zusammenrücken lässt. Der Zustand der beiden viktorianischen Reihenhäuser war zuvor derart schlecht gewesen, dass ihre Revitalisierung zum Zweck einer reinen Wohnnutzung nicht mehr in Frage kam. Die Wände waren verfallen, beide Dächer und sämtliche Decken eingestürzt. Hinter den Fassaden erstreckten sich nur mehr Innenhöfe und rohes Mauerwerk, drei Stockwerke hoch und völlig ungeschützt.
… zum Gemeinschaftstreff im Greenhouse
Aus dieser Ruine ist stattdessen der sogenannte Granby Winter Garden entstanden, ein gemeinschaftlich genutzter Innengarten nebst „Pflanzenvermehrungsraum“, Tagungs- und Veranstaltungs- sowie Projektraum, Gemeinschaftsküche und Sanitärräumen. Darüber hinaus wurden in einem Teilbereich des Ensembles Unterkünfte für KünstlerInnen und Gäste eingerichtet, sodass die Gemeinschaft die aus den Übernachtungen generierten Einnahmen dazu nutzen kann, um die laufenden Kosten des Gebäudes zu decken und Veranstaltungen und Workshops zu finanzieren.
Viktorianische Palmenhäuser als Vorbilder für die Struktur
Um für den Bestand eine bauliche Lösung zu finden, die die einzigartige dreigeschossige Struktur der Ruinen erhält, stützt und betont, zog Assemble während der Sanierung das Ingenieurbüro Structure Workshop zu Rate. Gemeinsam entwickelte das Team eine Stahlkonstruktion aus zwei hellblau gestrichenen Ringen, die die beiden Häuser bzw. deren Fassaden nun umspannen und so die Bestandswände sichern. Als Schutz vor Regen und Schnee erhielt das Ensemble Glasdächer, die in ihrer Struktur viktorianischen Palmenhäusern ähneln und das Gebäudeduo in einen großen Wintergarten verwandeln.
Der Innenausbau setzt weitgehend auf Bestandsmaterial. Die HandwerkerInnen nutzten in den Gebäuden vorgefundene Ziegel und was sonst noch brauchbar war, um Wände zu flicken und kaputte Strukturen zu reparieren. Der Betonboden hingegen ist neu: Um die Gebäude barrierefrei erschließen zu können, musste die Eingangsebene niedriger gesetzt werden und neu betoniert. Die handgefertigten Fliesen, darunter geräucherte und handgetauchte Marmor- sowie mit Enkaustik gestaltete Keramik, lieferte der Granby Workshop nebenan. Die Künstlerin Nina Edge trug mit einem 1,8 m hohen Kristallleuchter, der am höchsten Punkt des Glasdaches „Licht und Leben feiert“, zur Einrichtung des Wintergartens bei. Für die Bepflanzung des Innengartens legten die BewohnerInnen des Quartiers unter der Leitung der Gemeinschaftsgärtnerin Andrea Ku gemeinsam Hand an.
Gemeinsam zum Ziel
Notwendige Entscheidungen vor und während der Bauarbeiten wurden von Assemble in enger Zusammenarbeit mit dem Trust besprochen. In regelmäßigen Meetings trafen sich die Planer mit Eleanor Lee und Hazel Tilley aus dem für den Granby Winter Garden verantwortlichen Projektteam des CLT, um anstehende Themen zu klären. Zur Verdeutlichung diente ein von den PlanerInnen zur Verfügung gestelltes Modell, das im Maßstab 1 : 10 zeigt, wie das Gebäude aussehen würde.
Das Geld, das für den Bau notwendig war, verdankt das Projekt zum einen dem von der Tate Galerie verliehenen Turner Preis, den das Künstlerkollektiv Assemble für seine Arbeit am Granby Four Streets Projekt und der Granby Werkstatt 2015 gewann. Zum anderen förderte das Arts Council das Projekt mit rund 290 200 €. Parallel zur Fertigstellung des Gebäudes wurde auch ein 360 °-Film veröffentlicht, eine Zusammenarbeit von Rob Vincent, Popla Media und Assemble, die den Umbau der beiden Häuser dokumentiert. Christine Ryll, München
Zwei heruntergekommene Reihenhäuser werden zum Gemeinschaftsraum, von den Menschen vor Ort gemeinsam umgebaut als Impuls für positiven Wandel in dem vernachlässigten Quartier. „A resource for the people who live here“, so eine Bewohnerin aus Granby − und eine Motivation für uns, Sorge zu tragen für gebaute und soziale Ressourcen.«
DBZ Heftpartner heilergeiger architekten und
stadtplaner BDA, Kempten
Baudaten
Objekt: Granby Winter Garden
Standort: Cairns Street, Liverpool/GB
Bauherr: Granby Four Streets Community Land Trust
Architektur: Assemble Studio, London/GB, www.assemblestudio.co.uk
Bauaufsicht: Liverpool City Council
Bauzeit: 12.2016–03.2019
Fachplaner
Tragwerksplanung: Structure Workshop, London/GB, www.structureworkshop.co.uk
Bauingenieure: Max Fordham, London/GB, www.maxfordham.com
Fundraising und Kunstberatung: Maria Brewster
Gartenbauforschung: Nina Edge und Andrea Ku
Gartenbauberatung: Mima Taylor, Steven Perkins and Mount Venus Nursery
Leitung Gartendesign und -bepflanzung: Community Gardener Andrea Ku
Kunstausschuss: Nina Edge
Generalunternehmer: Merco Developments, Liverpool/GB,
www.mercodevelopments.co.uk
Architekturkeramik: unterstützt von Granby Workshop
Projektdaten
Grundfläche innen: 120 m²
Grundfläche innen und außen: 150 m²
Baukosten: 349 158 €
Baukosten pro m²: 2 900 €