Flächen schaffen statt versiegeln
Viermal mehr Platz zum Spielen im Freien haben die Kinder der Volksschule Absam Dorf mit dem Erweiterungsbau erhalten. Der Trick: Die Planer verlegten die Turnhalle in den Untergrund und schufen auf dem Dach ein Gelände zum Toben und Ausruhen.
Sechs Olympiasieger sowie ein paar Welt- und Europameister aus den eigenen Reihen, eine Ansammlung preisgekrönter kommunaler Bauten und eine engagierte Gemeinde: Absam, ein wachstumsstarker kleiner Ort bei Innsbruck, hat viele Gründe, stolz zu sein. Mit dem kürzlich fertig gestellten Schulerweiterungsbau neben der 110 Jahre alten, unter Denkmalschutz stehenden Volksschule ist nun ein weiterer Grund dazu gekommen.
Um bestmögliche architektonische Voraussetzungen für den Neubau zu schaffen, vergab die Gemeinde die Planung in einem zweistufigen Wettbewerbsverfahren. Nach einer vorgeschaltenen öffentlichen Ausschreibung lud sie rund zwei Dutzend Büros zum Projektwettbewerb, der in Form einer Generalplanerleistung ausgeschrieben wurde. Als Sieger ging daraus das Wiener Büro Schenker Salvi Weber Architekten ZT GmbH in Kombination mit dem Ingenieurbüro Merz Kley Partner aus Dornbirn hervor.
Kunstgriff: viel Programm auf wenig Platz
Dreifachturnhalle, Krippe, Kindergarten und Musikschule: So lautete das Raumprogramm des Bauvorhabens. Ein stolzes Programm für ein beengtes Schulgelände. „Um das Gelände bestmöglich auszunutzen, haben wir daher die in der Ausschreibung geforderte Dreifachturnhalle in den Boden versenkt. Daraus resultierte die Möglichkeit, auf dem Dach der Halle eine Freifläche anzulegen, die direkt an das Erdgeschoss des Bestands angrenzt“, erläutert Architekt Michael Salvi. So können die Kinder in den Pausen nach draußen gehen, um dort zu spielen und die Gemeinde kann das Gelände für Veranstaltungen nutzen. „Die meisten Gemeinden rings um den Wachstumsort Innsbruck sind Straßendörfer ohne jegliche Mitte, eine Aneinanderreihung von Häusern. Ein zentraler Platz ist also ein Alleinstellungsmerkmal, von dem das dörfliche Leben sehr profitiert“, konstatiert der Planer. Auch Arno Guggenbichler, Bürgermeister von Absam, freut sich:
„Der Platz, den die Kinder nun im Freien zum Spielen haben, hat
sich mit dem Neubau vervierfacht.“
Damit ist die unterirdische Dreifachturnhalle in zweierlei Hinsicht ein Ort für die Dorfgemeinschaft, als Dorfzentrum oben und als Trainingsort drinnen. Denn die Säle ermöglichen es der sportbegeisterten und überregional erfolgreichen Handballmannschaft, Turniere auf höherer Ebene abzuhalten. Auch sonst mangelt es nicht an Zuspruch. „Zwischen 7:30 Uhr am Montag Morgen und 22 Uhr am Freitag Abend ist die Halle fast durchgängig belegt“, weiß der Bürgermeister, von den Veranstaltungen am Wochenende gar nicht zu reden.
Kombi: Stahlbeton und Holz
Die Lage des Gebäudes gab das Material vor: Stahlbeton, dessen rauhe Haptik das „Unterirdische, Mineralische und Höhlenartige“
zitiert. Um den Baukörper im Erdreich versenken zu können, musste das angrenzende Baudenkmal auf der gesamten Länge unterfangen werden. Doch angesichts dieser Bauaufgabe hatte Gordian Kley, Geschäftsführer von Merz Kley Partner, nur lapidar gemeint: „Wenn wir runter graben, dann richtig.“
Im ersten Untergeschoss wurden daher neben der Halle Technikräume und eine Bühne untergebracht, im zweiten Untergeschoss befinden sich die Garderoben der Schüler und Lehrer sowie der Geräteraum. Stirnseitig ist noch ein kleiner Kiosk in die Halle integriert, der die Bewirtschaftung bei Veranstaltungen übernimmt. Ein sich über die gesamte Längsseite durchziehendes Oberlicht im Süden des unterirdischen Bauwerks stellt die Belichtung sicher, sodass den Tribünen-
bereich ausreichend Tageslicht erhellt, während im Rest der Räumlichkeiten
zusätzlich Kunstlicht eingesetzt wird.
Weil der oberirdische Kindergarten auf der Halle steht, musste dessen Konstruktion möglichst leicht sein, sodass sich die Planer für einen vorfabrizierten Holzständerbau entschieden. Möglichst viele Leistungen wurden aus der nahen Umgebung bezogen, um die lokale Wirtschaft zu unterstützen. Aus ökologischen Gründen wünschte die Gemeinde darüber hinaus, dass der Neubau als Passivhaus errichtet werden sollte. Daher wurde er hochwertig gedämmt und mit einer kontrollierten Lüftungsanlage ausgestattet. Die notwendige Restenergie bezieht das Gebäude über Geothermie in Kombination mit einer Wärmepumpe. Dazu wurden 30 Erdsonden rund 100 m tief in den Erdboden versenkt. Wie von der Turnhalle ist davon oberirdisch nichts zu sehen. Auch die Fassade des Neubaus hält sich zurück. Der gesamte Baukörper ist verputzt, wobei grobkörniger Kalk-Kratzputz und Glattputz am Sockel sowie als Faschen bei den Fenstern miteinander kombiniert wurden, um die Erweiterung in die Umgebung einzubinden.
Ausblicke und Durchblicke
Drinnen bieten die oberirdischen Räumlichkeiten des Neubaus Platz für 120 Kindergarten- und 24 Krippenplätze, die sich auf acht Gruppenräume aufteilen.
Dazwischen schieben sich sogenannte Teilungsräume, die gleichzeitig als Puffer dienen und bei geöffneten Schiebetüren die Räume zu Zonen miteinander verbinden. Im Zentrum des Gebäudes steht der offene Erschließungsraum. Er erweitert sich im Erdgeschoss zu einem großen Foyer, im Obergeschoss zu einer großzügigen Galerie, über die sich ein schirmartiger Oberlichtkonus für Kunst- und Tagesbelichtung spannt. Die angrenzenden offenen Bewegungs- und Essbereiche lassen sich mit Vorhängen bzw. Schiebeelementen abtrennen, um je nach Bedarf kleine ruhige Zonen oder einen großen Kommunikationsbereich zu schaffen.
Rund um die großen Fenster der Gruppenräume tun sich viel-flältige Lern- und Treppenlandschaften auf, die die von Montessori inspirierte Pädagogik der Einrichtung haptisch und optisch unterstützen. Kissen, Teppiche und kleine Stühle laden im ganzen Haus zum gemütlichen Plausch ein. Vor den Küchenzeilen etwa reihen sich Bänke aneinander. Darunter stehen Schemel, auf denen sich die Kleinen wie große Köche fühlen dürfen. Und wer will, darf sich auch auf dem Boden aus geölten Eichendielen niederlassen.
In der Fassade bieten unterschiedlich große Fenster, in deren Laibungen man sitzen kann, im wahrsten Sinne des Wortes „auf
Augenhöhe“ gerahmte Ausblicke in die Natur – für die Kleinen
wie die Großen. Vom Friedhof nebenan über die Bergkette hinter
Innsbruck bis hin zum Platz vor dem Neubau: Blickkontakte sind in alle Richtungen möglich.
„Im Wettbewerb hatten wir zusätzlich zu den Fenstern nach draußen und zwischen den Räumen sogar noch Lufträume im Gebäude eingeplant“, erinnert sich der Architekt. Doch dann stellte die Gemeinde fest, dass sie aufgrund des eigenen Wachstums noch eine Kindergartengruppe mehr benötigen würde. Daher wanderte die
ursprünglich im Neubau geplante Musikschule in den im Zuge der Sanierung ausgebauten Dachstuhl des Volksschulhauses.
Gut vernetzt und eigenständig
Dort wurde unterhalb des Dachstuhls – eine Erhöhung war von Behördenseite nicht erlaubt – Dämmung eingezogen, der Dachstuhl weiß gestrichen und der notwendige Aufbau mit einer akustisch wirksamen Lattung bekleidet. Die Fenster platzierten die Planer
einerseits am First, andererseits auf Augenhöhe, um ein Maximum
an Lichtausbeute mit optimalen Blickbeziehungen nach draußen
zu kombinieren.
Als Sitzplätze für die Kinder dienen Sitzstufen. An der Rückwand nimmt ein Einbauschrank die notwendigen Instrumente auf. Im Neubau – nun ohne Luftraum – wurde hingegen Platz geschaffen für zwei weitere Kindergartengruppen.
„Für uns war wichtig, dass das neue Kinderbetreuungszentrum, die Sporthalle und auch die Musikschule jeweils allein, aber auch als Gesamtkonzept miteinander gut funktionieren“, erklärt der Bürgermeister. Genau das sei passiert, freut er sich. Überhaupt leistet der Neubau einen in jeder Hinsicht gelungenen Spagat, befindet er weiter. „Mit der neuen Baumaßnahme tritt das Baudenkmal nebenan noch besser in Erscheinung als vorher – sodass das Gebäude auch optisch in
jeder Hinsicht ein Gewinn ist.“
Christine Ryll, München
Baudaten
Standort: Absam, Tirol/AT
Typologie: Kindergarten, Volksschule, Musikschule, Sporthalle
Bauherr: Gemeinde Absam, www.absam.at
Nutzer: Kindergarten, Volksschule, Musikschule
Architekt: Schenker Salvi Weber Architekten ZT GmbH, Wien/AT und Bern/CH, www.schenkersalviweber.com
Mitarbeiter (Team): Projektleitung: Barbara Roller, Mitarbeiter: Bettina Doser, Sophie Gerg, Teresa de Miguel, Thomas Morgner, Hans Reumann, Tiago Santana, Michael Salvi, Andres Schenker, Verena Theil, Tina Tobisch, Katalin Tóth, Rowena Ullrich, Thomas Weber
Bauleitung: die bauleiter, Innsbruck/AT, www.diebauleiter.at
Bauzeit: März 2015 – September 2016
Fachplaner
TGA-Planer: Moser & Partner Ingenieurbüro, Absam/AT, www.moser-partner.at
Fassadentechniker: KPS Ötztal Putzgesellschaft mbH, Ötztal Bahnhof/AT, www.kps.co.at
Lichtplaner: Designbüro Christian Ploderer GmbH, Wien/AT, www.ploderer.at
Innenarchitekt: Schenker Salvi Weber Architekten ZT GmbH, Wien/AT und Bern/CH, www.schenkersalviweber.com
Akustikplaner: IBO GmbH, Wien/AT, www.ibo.at
Landschaftsarchitekt: DnD Landschaftsplanung ZT KG, Wien/AT, www.dnd.at
Energieplaner: IBO GmbH, Wien/AT, www.ibo.at
Projektdaten
Nutzfläche gesamt: 7 246 m²
Brutto-Rauminhalt: 22 806 m³ Neubau, 1 998 m³ Musikschule, 2 199 m³ Umbau, 9 134 m³ Bestand
Baukosten
Gesamt brutto €: 10,6 Mio
Energiebedarf:
gemäß österreich. Energieausweis:
Primärenergiebedarf: 185,40 kWh/m²a Endenergiebedarf: 70,78 kWh/m²a Heizwärmebedarf: 1,17 kWh/m²a
gemäß PHPP-Berechnung:
Primärenergiebedarf: 118 kWh/m²a Heizwärmebedarf: 12 kWh/m²a
Hersteller
Heizung: Duschek Haustechnik GmbH, www.duschek-haustechnik.at
Sanitär: Opbacher Installationen GmbH, www.opbacher.at
Bodenbeschichtungen: Frankhauser Estriche GmbH, www.fankhauser-estriche.at
Fliesen: Troyer Fliesen & Marmor GmbH, www.troyer-fliesen.at
Holzböden: Hochrieser GmbH,
www.hochrieser-parkett.at
Beleuchtung: fiegl+spielberger GmbH, www.fiegl.co.at
Einbau-Möbel: MODL GmbH, www.modl.at
Bewegliche Möbel: Reiter Wohn- und Objekteinrichtung GmbH, www.reiterrankweil.at
Textile Ausstattung: Einrichtungshaus Kranebitter GmbH, www.kranebitter.at
CAD: ArchiCad 16, Graphisoft GmbH, www.graphisoft.com