Eine Schule für alle – Aspekte barrierefreier Gestaltung
Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) besteht die Verpflichtung, ein inklusives Schulsystem in Deutschland zu etablieren. Inklusive Schulen haben den Anspruch, allen Schülern die gleichen Bildungschancen und damit die bestmögliche Entfaltung zu bieten – unabhängig von Geschlecht, sozialen bzw. ökonomischen Voraussetzungen oder Assistenzerfordernissen. Erklärtes Ziel ist es, dass zukünftig mindestens 80 % der Schüler mit Förderbedarf in einer Regelschule lernen. Deutschland ist weit entfernt von der Umsetzung einer Schule für alle. Zum jetzigen Zeitpunkt werden nicht einmal 15 % der Schüler mit Behinderung auf einer Regelschule unterrichtet. Die Mehrheit von ihnen besucht Förderschulen bzw. Sonderschulen. Anhand der Zahlen lässt sich die Komplexität der Voraussetzungen für inklusive Schulen erahnen. Neben pädagogischen Konzepten, entsprechender Qualifizierung der Lehrenden, medizinisch geschultem Personal und auch erforderlicher finanzieller Ressourcen, ist die barrierefreie Gestaltung der Lernräume essentiell.
Verbindliche Planungsgrundlagen? – Fehlanzeige
Barrierefreiheit bedeutet, dass die Schule und ihre Räume für Schüler als auch Lehrer oder auch Besucher (beispielsweise Eltern) jederzeit ohne fremde Hilfe und besondere Erschwernis zugänglich sind. Der Zugang zur Schule wird oftmals gleichgesetzt mit Zugang zu Bildungsangeboten und damit der geforderten Chancengleichheit aller Schüler unabhängig von ihren persönlichen Voraussetzungen.
Grundlage für barrierefrei gestaltete Schulen ist die oben erwähnte UN-Behindertenrechtskonvention (Artikel 9/Zugänglichkeit, Artikel 20/Persönliche Mobilität und Artikel 24/Bildung). Im Behindertengleichstellungsgesetz sowie in den Landesbauordnungen ist die barrierefreie Gestaltung öffentlicher Gebäude ebenso verankert. Die Landesschulgesetze regeln die Gestaltung inklusiver Schulen. Hinzu kommen Ministerialveröffentlichungen sowie diverse Richtlinien und Empfehlungen auf kommunaler Ebene. Konkrete Vorgaben finden sich in keinem der Regelwerke, lediglich allgemeine Anforderungen. Private Initiativen oder auch Schulverbände, die sich für ein inklusives Schulsystem einsetzen, fokussieren sich vornehmlich auf pädagogische Konzepte und lassen die architektonischen Voraussetzungen außen vor. Erschwerend kommt hinzu, dass Bildung Ländersache ist. Es fehlen verlässliche Leitlinien. Zur Planung und Umsetzung inklusiver Schulen liegen derzeit keine rechtlich verbindlichen Vorgaben vor. Daher kann nur auf die bestehenden Grundlagen barrierefreier Gestaltung öffentlicher Gebäude, die DIN 18040-1, zurückgegriffen werden. Im Folgenden wird daher ein Überblick der wichtigsten Planungsgrundlagen gegeben, die als Denkanstöße dienen sollen.
100 % Barrierefreiheit – eine Utopie
Die DIN 18040-1 beinhaltet maßgeblich Vorgaben für Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, Personen mit motori-schen Behinderungen sowie Menschen mit Sehbehinderungen und gemindertem Hörvermögen. Psychische Einschränkungen bleiben unberücksichtigt.
Der Begriff Barrierefreiheit wandelt sich stetig. Anstelle von Integration tritt das Konzept der Inklusion. Integration setzt einen Anpassungsprozess an die Gegebenheiten der „Normgesellschaft“ voraus. Inklusion dagegen betrachtet barrierefreie Gestaltung viel differenzierter und richtet sich nach den individuellen Bedürfnissen beziehungsweise Kompetenzen des Einzelnen. Ziel ist es, grundsätzlich den Zugang für alle Menschen gleichermaßen zu ermöglichen – unabhängig von ihren physischen und kognitiven Voraussetzungen.
Inklusive Schulen spiegeln die Heterogenität der Gesellschaft wider. Aufgrund der Vielzahl von Behinderungen ist es nahezu unmöglich, ein Schulgebäude für ausnahmslos alle zu gestalten und damit eine 100-prozentige Barrierefreiheit der Architektur zu erreichen. Barrierefreie Schulen stellen damit immer Kompromisslösungen dar. Aufgrund der Komplexität kann schulische Inklusion nicht bedeuten, dass jeder Schüler jeden Punkt innerhalb der Schule ohne fremde Hilfe erreichen kann. Das Ziel sollte sein, jedem Schüler die Teilnahme am Schulalltag zu ermöglichen. Prioritäten und Standards müssen daher immer wieder und vor allem individuell von Fall zu Fall ausgehandelt werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Zwei-Kanal-Prinzip. Das Gestaltungsprinzip sieht vor, eine nicht vorhandene beziehungsweise nicht ausreichende Fähigkeit durch eine andere Fähigkeit zu ersetzen. So können beispielsweise Höhenunterschiede mit einer Treppe überwunden werden, alternativ per Fahrstuhl oder mit Hilfe einer Rampe.
Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus der Tatsache, dass sich die Angaben der DIN 18040-1 auf die Körpermaße von Jugendlichen und Erwachsenen beziehen, nicht auf Kinder. Eine Übertragung auf weiterführende Schulen ist sicherlich möglich. Für die barrierefreie Gestaltung von Grundschulen sind die Planungshinweise der DIN 18040-1 eher ungeeignet.
Hier empfiehlt sich u. a. die VDI Richtlinie 6000-6. In dieser werden Hinweise für die Gestaltung von Sanitärräumen für die Altersgruppe 5- bis 12-jährige Kinder gegeben.
Planungsprinzipien für barrierefrei gestaltete Schulen
Bei der Umsetzung einer für alle zugänglichen Architektur gilt es, eine Vielzahl von Barrieren abzubauen:
– vertikale Barrieren, wie sie beispielsweise
Türschwellen darstellen
– horizontale Barrieren, hervorgerufen durch
ungenügende Flurbreiten oder fehlende
Bewegungsräume
– Sturzgefahr aufgrund fehlender Haltemög-
lichkeiten
– schlechte Erreichbarkeit von Funktions-
elementen wegen zu hoch oder zu tief
angeordneter Bedienelemente, wie bei-
spielsweise Türdrücker oder Schalter
– sensorische Barrieren erschweren die Nut-
zung von Gebäuden, zum Beispiel eine
ungenügende Beleuchtung oder visuell
kaum wahrnehmbare Hinweisschilder.
Zwei-Sinne-Prinzip
Das Zwei-Sinne-Prinzip bildet die Grundlage für die Informationsvermittlung für Menschen mit sensorischen Einschränkungen. Hierunter versteht man die gleichzeitige Übermittlung von Informationen über min-destens zwei Sinne (Sehen, Hören oder Fühlen). Hierdurch kann die fehlende oder eingeschränkte Wahrnehmung über einen anderen Sinn ausgeglichen werden. Türschilder mit taktilen Hinweisen können beispielsweise visuell erfasst und über die Fingerkuppen leicht ertastet werden. Durch Schriftgröße und geeignete Farbwahl ist eine deutlich kontrastierende Gestaltung möglich. Die Orientierung innerhalb eines Gebäudes kann zusätzlich mit taktilen Informationsträgern an Handläufen erleichtert werden. Flure und sonstige Verkehrsflächen sollten mit möglichst lückenlosen Informations- und Leitsys-temen ausgestattet werden. Eine blend- und schattenfreie Beleuchtung von Informationselementen sowie deren kontrastreiche Gestaltung unterstützt Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen bei der Orientierung. Einfache und klar konturierte Schrifttypen und Piktogramme sind für das Informationssystem besonders geeignet.
Warnsysteme (beispielsweise Feueralarm) und auch Informationssysteme (zum Beispiel Vertretungsplan) sollten ebenfalls im Zwei-Sinne-Prinzip entsprechend gestaltet sein. Hier eignet sich am besten eine akustische und visuelle Vermittlung.
Barrierefreie Sanitärräume
Die Nutzbarkeit von Sanitärräumen wird wesentlich durch ihre Größe und Anordnung der zur Verfügung stehenden Bewegungsräume bestimmt. Die Vorgaben der DIN 18040-1 haben zum Ziel, dass ein barrierefreier Sanitärraum von Menschen mit einem Rollstuhl oder einem Rollator ebenso nutzbar ist wie von Personen mit einer Sehbehinderung.
Eine clevere Planung sowie der Einsatz von Produkten, die intuitiv bedienbar sind, ermöglichen einen Sanitärraum, der nicht nur für alle zugänglich ist, sondern auch die Nutzer in ihrer Selbstständigkeit unterstützt. Die obenstehende Checkliste vermittelt einen Überblick, was im Detail beachtet werden muss, damit ein barrierefreier Sanitärraum beispielsweise auch mit einem Rollstuhl zugänglich ist (siehe Checkliste rollstuhlgerechter Sanitärraum).
Hinzu kommen Sicherheitsaspekte, wie beispielsweise eine von außen entriegelbare Tür. Um Personen im Notfall schnell helfen zu können, müssen die Türen außen angeschlagen sein, sie dürfen also nicht zum Sanitärraum hin öffnen. Eine Armatur mit Thermostat erhöht ebenfalls die Sicherheit der Nutzer. Hierdurch wird die Temperatur konstant geregelt – fällt die Kaltwasser-Zufuhr aus, stoppt der Wasserfluss automatisch. Gerade für Schulen eignen sich elektronische Armaturen – sie helfen Wasser zu sparen und sind weniger anfällig für Manipulation. Zudem lassen sie sich ohne Kraftaufwand mit einer Handbewegung bedienen. Der Erfassungsbereich des Infrarotsensors kann so eingestellt werden, dass die Bedienung der elektronischen Armatur auch vor dem Waschtisch sitzend möglich ist.
Inklusion durch flexible Konzepte ermöglichen
Die Beispiele oben links zeigen, wie komplex die Umsetzung integrativer Schul-Konzepte ist. Hierbei wird auch deutlich, dass dies im Neubau eher gelingt als in bestehenden Schulen. Eine anpassbare bzw. flexibel gestaltbare Architektur ist gerade bei integrativen Schulen eine Grundvoraussetzung, um die vielseitigen Anforderungen zu erfüllen. Eine grundsätzlich barrierefreie Gestaltung ist hierfür ein entscheidendes Kriterium.
Planungsempfehlungen für kindgerechte
Sanitärräume
Sanitärkabine
Die Kabine sollte mindestens 0,9 m breit und 1,25 m tief sein. Die Höhe der Trennwand sollte 1,2 –1,4 m betragen.
Waschtisch
Der Ablauf sollte ohne Verschluss sein und das Waschen sollte unter fließendem Wasser möglich sein. Damit ein Rollstuhlfahrer den Waschtisch nutzen kann, muss der Waschtisch unterfahrbar sein. Empfohlene Montagehöhe:
Altersklasse 3 –6 Jahre: 55 –65 cm
Altersklasse 7 –11Jahre: 65 –75 cm
Altersklasse 12 –15 Jahre: 75 –85 cm
Armaturen
Die Form und Griffausbildung sollte so gestaltet sein, dass diese auch für Kinder leicht zu bedienen ist. Insbesondere Einhebelmischer erfüllen diese Vorgabe.
WC
Die angrenzende Wand und Bodenfläche sollte leicht zu reinigen sein. Die wandhängende Ausführung bietet den Vorteil, dass diese leichter zu reinigen und damit hygienischer ist.
Empfohlene Montagehöhe:
Altersklasse 3 –6 Jahre: 35 cm
Altersklasse 7 –11Jahre: 35 cm
Altersklasse 12 –15 Jahre: 42 cm
Checkliste rollstuhlgerechter Sanitärraum
– Bewegungsfläche 150 x 150 cm vor den Sanitärobjekten
– WC-Ausladung mindestens 70 cm
– Sitzhöhe WC 46 – 48 cm
– Seitliche Bewegungsfläche links und rechts vom WC mindestens 90 cm
– Rückenstütze ab 55 cm hinter der Vorderkante des WCs
– Links und rechts ist ein Stützklappgriff anzuordnen, 15 cm länger als das WC
– Lichter Abstand zwischen den Stützklappgriffen 65 – 70 cm
– Oberkante Stützklappgriffe 28 cm über Sitzhöhe
– Befestigung des Stützklappgriffes muss eine Punktlast von 1 kN am vorderen Griffende standhalten
– Waschtisch unterfahrbar, mindestens 55 cm
– Handwaschbecken mindestens 45 cm unterfahrbar
– Beinfreiraum 67 cm gemessen bis 30 cm hinter Vorderkante Waschtisch
– Beinfreiraum axial gemessen mindestens 90 cm breit
– Höhe Vorderkante Waschtisch maximal 80 cm
– Spiegel über dem Waschtisch angeordnet, mindestens 100 cm hoch
– Abstand Armatur zum vorderen Waschtischrand maximal 40cm
– Einhand-Seifenspender, Papiertuchspender, Abfallbehälter und Kleiderhaken im Bereich des Waschtisches angeordnet
Kurz gefragt
Gestaltung barrierefreier Sanitärräume im Bestand und im Neubau
Der Grundsatz „Eine Schule für alle“ stellt insbesondere bestehende Schulen vor hohe Herausforderungen – sowohl technisch als auch räumlich. Im Interview erklärt Katja Schultze vom HEWI Service-Center Barrierefrei, was bei der Planung barrierefreier Sanitärräume in Schulen zu beachten ist:
Welche Herausforderungen stellen sich, wenn in einer Schule im Bestand barrierefreie Sanitärräume integriert werden?
K. Schultze: Oftmals sind Raumgrößen eine Herausforderung. Im Optimalfall wird das barrierefreie WC in vorhandene Sanitärräume integriert. Dies ist jedoch aus Platzmangel nicht immer möglich, da vor Waschtisch und WC eine Bewegungsfläche von mindestens 150 x 150 cm erforderlich ist. Muss ein anderer Raum aus diesem Grund als barrierefreier Sanitärraum umgebaut werden, sollte dieser zumindest ohne großen Aufwand an Versorgungsleitungen anschließbar sein. Zudem sollte bei der Wahl des Raumes beachtet werden, dass dieser für einen Rollator-Nutzer oder Rollstuhl-Fahrer leicht zu erreichen ist.
Sanitärräume in Schulen werden besonders strapaziert. Welche Materialien empfehlen sich hier besonders?
K. Schultze: Sanitärräume in Schulen müssen nicht nur funktional gestaltet sein, sie müssen mit Materialien und Produkten ausgestattet werden, die besonders langlebig sind, eine hohe Dauergebrauchstauglichkeit aufweisen und auch Vandalismus standhalten. Aus diesem Grund empfehlen sich pflegeleichte Materialien wie beispielsweise Edelstahl oder Polyamid-Produkte, die mit einem Stahlkern verstärkt sind. Diese sind robust genug um lange Zeit den Schulalltag zu bestehen. Beim Rollstuhl-WC kann eine zusätzliche „Absicherung“ über das Euro-Key Schloss erfolgen. Hier haben dann nur Nutzer mit diesem Schlüssel Zutritt.
Integrative Schulen sind ein Kostenfaktor. Kann man sagen, was der Umbau eines Sanitärraums zu einem barrierefreien kostet?
K. Schultze: In Bestandsbauten müssen vorhandene Barrieren nachträglich abgebaut werden – dies ist immer ein enormer Kostenfaktor. Der Fokus liegt hier auf der Schaffung barrierefreier Infrastruktur – also Aufzüge, Flurbreiten, breitere Türen, geeignete Orientierungs- und Leitsysteme wie auch barrierefreie Sanitärräume.
Wie verhält es sich beim Neubau mit den Kosten?
K. Schultze: Bei einem Neubau ist barrierefreies Bauen „wirtschaftlich zumutbar“. Hier kann die Barrierefreiheit bereits im Planungs- und Entwurfsprozess mitberücksichtigt werden. Bei Neubauten sind durch intelligente Planung Lösungen möglich, die nur minimale Mehrkosten verursachen.