Eine Gitternetzschale für die Stadt des Lichts
Admirant Eingangsgebäude in Eindhoven/NL

Es ist ein klassisches Déjà vu-Erlebnis. Im neuen Admirant-Viertel von Eindhoven steht ein gigantisches Ei. Das Bauwerk hat eher die Ausstrahlung eines Objektes und Straßenmöbels als eines Hauses. Das verantwortliche Studio Fuksas aus Rom schreibt von „amorpher und organischer Baukörperqualität – von gefrorener Rotation. Von Dynamik und Kraft.“

Vorgeschichte: Blob statt Box

Im Hintergrund wird die Witte Dame in Eindhoven sichtbar, die zwischen 1928 - 1931 von Dirk Roosenburg im sachlichen Stil jener Jahre für Philips errichtet wurde, um dort Glühbirnen zu produzieren und damit mehr Licht in die Welt zu bringen. Die innerstädtische Fabrik wurde in den 1980er überflüssig, das Schicksal der Glühbirne ist bekannt. 1998 hat sich die Witte Dame als hybrider Szenestandort für Bildung, Kultur und Kommerz neu erfunden. Die Zubauten sind eine Delikatesse in Sachen moderner HighTech-Fassadenbaukunst (Architektur: u.a. Bert Dirrix).

Im Dezember des Jahres 2000 gastierten damals nicht allzu bekannte Architekten, die sich als Heroen einer neuen Bewegung verstanden. Sie hielten Vorträge in der Universität, stellten in der Witte Dame aus. Böse Zungen sprachen von Blobisten. Die Protagonisten selbst, wie die Amerikaner Gregg Lynn und William J. Mac Donald oder der holländische Lars Spuybrok (NOX), forderten die Ablösung von Balken und Stütze als wesentliches Vokabular der Architektur und wollten sie durch Membranen und Häute, also durch fließende Dynamik ersetzen: Blob statt Box – wir erinnern uns. Indes, Nachweise durch gute Bauten für ihre Ideen gab es damals nicht. Nur Modelle, die alles immer wie gestylte Turnschuhe aussehen ließen. Lediglich Lars Spuybrok hatte schon damals seinen Water Pavillon auf der Insel Neeltje Jans (1993-1997), an der südniederländischen Küste vollendet, ein Museum ohne einen rechten Winkel und als Speerspize der Bewegung mit schiefen und gekrümmten Ebenen und dem stolzen Kommentar Spuybroks, der Mensch ginge auch nie gerade.

Ein Standort für ein ikonographisches Gebäude“

Zehn Jahre später wird diese Story überraschenderweise genau hier fortgeschrieben. Das römische Studio Fuksas entwickelte in Folge des Masterplans von 1998 für das Gebiet zwischen der Witte Dame und dem Hauptbahnhof ein Einkaufszentrum, einen Elektrogroßmarkt und ein unterirdisches Parkhaus für 1 700 Fahrräder. Die eigentlich architektonisch anspruchsvolle Aufgabe stellte das so genannte Admirant-Eingangsgebäude dar. Es markiert den Übergang von der gewachsenen Innenstadt zum Areal des Projektentwicklers. „Der Standort schrie nach einem ikonographischen Gebäude,“ sagt Fuksas. Ein bisschen gebaute Zukunft bauen wollen, hieß das für eine Stadt, die mitten im üblichen Strukturwechsel eines Industrielandes steckt. Eine City, die stark kriegszerstört, dann modern und später holländisch strukturalistisch geprägt war.

Jetzt aber ist ein Laden- und Bürohaus entstanden, das keine Rück­seite besitzt, sondern nur einen einheitlich gerundeten Baukörper mit willkürlichen Beulen und Biegun­gen. Hätten die Superblobisten im Jahr 2000 ein solches Referenzobjekt vorweisen können, wäre vieles anders gelaufen – so oder so. Durch die fließende Form variieren die Grundflächen von etwa 950 m² im Erdgeschoss bis zu 250 m² im obersten der Bürogeschosse, die auf dem zweigeschossigen Laden des Texilienkaufhauses JC. Rags liegen. Dieser Mieter der beiden unteren Etagen ist möglicherweise ein Glücksfall. Die Nutzung durch einen hippen, global agierenden Szeneladen ist kongenial. Hier verkauft man nach dem Motto „Die Zukunft ist schön, aber anders“. Die alte Idee vom Bazar unter dem Zeltdach blitzt durch, die Architektur ist hier eine Hülle, mehr nicht.

Am Anfang steht die Form, aber ohne Ingenieur geht es nicht

Scheinbar spielerisch und problemlos entstehen die gläsernen Häute als Gitternetzschale. Die Stahlbetonkonstruktion für Stützen und frei geformte Decken wird von einem Dreiecksnetz überzogen, das wie eine leichte Mem­bran Dach und Wand umfasst. Der Verlauf der Hauptlinien folgt der dynamischen Form des Entwurfes. Sonderknoten erlauben die erforderlichen Richtungsänderungen des Netzes, dessen Maschengrößen von etwa 1,80 m Kantenlänge im unteren Gebäudeteil nach oben hin abnehmen. Die Stäbe bestehen aus geschweißten Rechteckhohlprofilen 65 x 50 mm, die ihrer Belastung entsprechend optimiert wurden. Für die dreieckigen Paneele gibt es zwei Mate­rialitäten, wo das Bauwerk eine Art Wand zeigt, meist transparentes Glas. Wo das Haus im nahtlosen Anschluss dann Dach braucht, weiß eloxiertes Aluminium. Blau und Weiß soll es sein, wie der Himmel auf sonnigen Architekturfotos. Allein im Regenlicht Westeuropas und auch mit den entsprechenden Spuren auf dieser Fassade kann man jetzt schon absehen, dass Ziegel hier nachhaltiger sind.

Die Fassade wurde in österreichischer Präzisionsarbeit von der global agierenden Waagner Biro Stahlbau AG entwickelt. Sie liegt auf der Stahlbetonkonstruktion auf und die unterschiedlichsten Windlasten werden entsprechend auch von dieser aufgefangen, denn die Schale ist im Raster von etwa fünf Metern durch Pendel mit den Geschossdecken verbunden und an den Fußpunkten gelenkig gelagert.

Eingeübte und verlässliche Zusammenarbeit zwischen Architekten und Ingenieuren

Das Gebäude bringt den Nachweis, dass Haute Couture machbar ist. Mit entsprechend präzisen technischen Aufwand gelingt es, die zerklüftete Fassade mit ihren Scheiben vor Westwinden und viel Regen zu sichern, abzudichten und zu verschließen. Interessant ist dabei, dass solche Netzwerke dabei so etwas wie eine second line of defense besitzen. Außen sind sie durch Silicon ähnliche Werkstoffe verschlossen, doch durch ein zusätzliches System von Schrau­ben werden Presspunkte erzeugt, die dann die Scheiben, ob vertikal oder horizontal, in die innen liegende Dichtung drücken. Erstaunlich ist es, dass Abstand und Standort dieser Punkte nicht wirklich berechnet werden können, sondern Erfahrungssache sind. Das ist zum Teil von außen unsichtbar und gut gemacht. Die Haut wirkt glatt wie der berühmte Kinderpopo.

Interessant ist, wie Architekten und Ingenieure heute zusammen solche Projekte abwickeln. Ab welchem Zeitpunkt sind die Tragwerksplaner in den Entwurfs und Entwicklungsprozess involviert? Thorsten Helbig vom Stuttgarter Büro Knippers-Helbig sagt dazu: „Unsere Zusammenarbeit beginnt sehr früh, auch wenn am Anfang bei solchen Objekten immer die Form steht.“ Da dieses Tragwerksbüro schon seit mehr als fünf Jahren mit dem Studio Fuksas zusammenarbeitet, ist dabei ein Vertrauensverhältnis entstanden, weil man auf Gemeinsames zurückschauen kann: „Vorläufer war unser Projekt My Zeil in Frankfurt.“ Die ausdrucksvollen Dächer dort bilden wertvolle Erfahrungen für die Netzgenerierung auch in Eindhoven. Auch die Ausformulierung der Knoten haben dort ihre Vorbilder. Das klingt nach business as usual, was es allerdings bei der Komplexität solcher Formen nie der Fall sein wird. Den Rechenprozess habe man natürlich mittlerweile im Griff, so Helbig, eine Schale zu rechnen sei einfach. Aber es käme eben immer auf die jeweilige individuelle Geometrie an, so auch hier, wo Beulen und Einbuchtungen jeweils individuell nach der Vorgabe des Architekten dann behandelt werden müssen.

Fazit: Eine Reise nach Eindhoven zu Aldo van Eycks Bauten oder der Witte Dame lohnt allemal und mit dem Admirant Eingangsgebäude erhielt das Kapitel Blob, das vor 10 Jahren so hoffnungsfroh hier an dieser Stelle gegenüber aufgeschlagen wurde, neue Seiten: Wenn Architekten und Ingenieure eng zusammenarbeiten, stellen sie konstruktiv kein großes Problem mehr dar. Ob sie auch innerhalb des Architekturdiskurses einleuchtend sind, bleibt weiter abzuwarten. Dirk Meyhöfer, Hamburg

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