Ein diffuser Monolith
Forschungszentrum der Sedus Stoll AG, Dogern

Einen eigensinnigen Adapter unterschiedlicher Raumsysteme – hier Industrie, dort Dorf – setzten Ludloff+Ludloff Architekten an den Rand der Kleinstadt Dogern am Hochrhein. Geometrie, Material und nicht zuletzt Farbe wurden in dem bewusst diffus realisierten Monolithen mit viel Sorgfalt eingesetzt, um außen wie innen überraschende Raumwirkungen zu erzielen.

Ein Deutschland wie auf einer Postkartenidylle findet sich entlang des Weges nach Dogern. Malerisch windet sich hier der noch schmale Hochrhein, wechseln sich alte Städte und Kleinstädtchen mit großen saftigen grünen Wiesen und ausgedehnten Wäldern ab. Weit kann der Blick schweifen auf eine Landschaft und Ortsbilder, die noch weitgehend intakt erscheinen. Und doch finden sich hier auch Agenten des Wandels, hoch spezialisierte Mittelstandsunternehmen wie die Sedus Stoll AG, deren neues Werksgelände am Ortsrand Dogerns bereits von Weiten auf sich aufmerksam macht.

Unvermittelt aus all dem Grün der Landschaft taucht eine gewaltige, 130 m lange und 30 m hohe Farbfläche auf, die mehr ein Stück abstrakter Land Art als der simple Kasten eines modernen Hochregallagers zu sein scheint. Mit 16 000 kolorierten Blechpaneelen im Format 25 x 160cm schufen 2004 die Architekten Sauerbruch Hutton einen faszinierenden Vexierkörper schwer fassbarer Ausdehnung, der gerade aufgrund seiner artifiziellen Fremdheit die Schönheit der umgebenden Natur noch bewusster macht. Fast unscheinbar erscheint dagegen auf dem ersten Blick der neue Nachbar am Eingang des Werksgeländes, der jedoch nicht weniger unsere Wahrnehmung herausfordert.

Das neue Forschungs- und Entwicklungszentrum ist nur ein Zwerg gegenüber dem Nachbarn Hochregallager. Seltsam ist seine Form mit einem diagonalen Dachfirst und unterschiedlich geneigten Dachkanten, die mit den Gesetzen der Zentralperspektive, Nähe und Ferne spielen. Von schwer einschätzbarer Ausdehnung und Nutzung mutet der Baukörper an, den die Berliner Architekten Ludloff + Ludloff auf die Schnittstelle von Werksgelände und Orteingang setzten.

Und versuchten hier die Vermittlung von eigentlich Unvermittelbaren, nämlich den unterschiedlichen Maßstäben eines Werkgeländes zum kleinteiligen Puzzle unscheinbarer Einfamilienhäuser am Ortsrand. Deren Satteldachlandschaft wurde aufgenommen und transformiert in einen Körper der Verhüllung, dessen Wesen je nach Standort und Blickwinkel ein anderes zu sein scheint.

Zwischen monolithischer Hermetik und einladender Transparenz changiert der Baukörper dank einer Hülle aus weißem Silikon-Glasfasergewebe, die auf haushohen, trapezförmigen Stahlrahmen gespannt wurde, welche wiederum in zwei Ebenen vor die grüne Haut der Wärmedämmung gehängt wurden. Die Hülle schimmert bei diffusem Tageslicht leicht grün und wirkt fast transparent. Bei starkem Sonnenlicht wirkt sie dichter, bei heruntergefahrenem Sonnenschutz sogar völlig geschlossen. In frühen Morgen- oder Abend­stunden löst sich die Hülle fast auf und gibt den Blick auf das Innenleben des Gebäudes frei.

Der Betonbau des Erdgeschosses wird von Werkstätten und Laboren dominiert, der Holzbau des Obergeschoßes inklusive eines „Dachzimmers“ ist hingegen Büronutzungen vorbehalten. Dazwischen windet sich ein Eingangsraum mit Treppenschlange, deren scharrierten Betonwände in starkem materiellen wie sinnlichen Kontrast zur fast immateriell erscheinenden Hülle und der weiten Lichte des Obergeschosses stehen. Denn oben erwartet den Besucher ein weites Plateau und kein konventionelles Bürogeschoss. Von sieben auf drei Meter senkt sich hier beeindruckend in der Diagonalen ein Einraum mit im Tageslauf wechselnden Lichtstimmung.

Ein roter Kautschukboden und der in leichtem Blau getönte „Baldachin“ (Architekten) der Decke vermitteln dem Besucher eine Atmosphäre der Ruhe und Konzentration. Nach der Robustheit der Treppe ist hier nun alles weich und gedämpft, wozu eine teilweise textile Verkleidung des Kerns mit Konferenz- und Besprechungsräumen beiträgt. Bei starkem Sonnenlicht dominiert wird die Landschaft in den weiten Fenstern zum „Landschaftsfries“, dessen Präsenz durch die komplementäre Farbe des Bodens noch eine Steigerung erfährt.

Dezent eingestellt wirkt dagegen der Kern, welcher in seiner Mittelachse einen zeltartigen Konferenzbereich birgt. Teilweise von einem Oberlichtband und indirekt über den blauen „Denkraum“ unter dem Dach belichtet, ist seine Anmutung und Lichtstimmung nahezu immateriell. Man gelangt in ihn über leichte, doppelseitig textil bespannte Türen mit unsichtbarem Schallschutzgas im Kern. Ganz oben schließlich wartet der „Denkraum“ unterm Dach noch auf Denker, zu ihm steigt man über ein violettfarbenes Wendeltreppenhaus, in welchem ein starkes Violett dem zarten Blau von Büro und „Denk-raum“ entgegenarbeitet. Marmorweiß ist dagegen der Industrieanstrich des Werkstättenbodens und Karminrot die Wandfarben dort. Man fühlt sich wie aufgerüttelt von den Farbkontrasten, die Laura und Jens Ludloff wählten, die aber auch schon mal gewöhnungsbedürftig sind in der Kontrastierung von kastanienbraunen Fliesen und olivgrünen Wänden in den Nassbereichen des Untergeschosses.

Ihre Wahl der Farben erfolgte weitgehend innerhalb der NCS-Farbpalette, die auf der Theorie der Gegenfarben beruht und heute 500 Töne umfasst. Nur bei den helleren Farben ergänzten sie es um die zarteren Farbtöne Le Corbusiers, die nun im Kontrast zu den stärkeren NCS-Farbtönen noch stärker zu leuchten scheinen. Quasi in die Architektenwiege gelegt wurde Jens Ludloff der geniale Einsatz von Farbe für Raumwirkungen, schließlich war er über ein Jahrzehnt Partner im Büro Sauerbruch Hutton. Doch schon mit ihrem Wohnhaus in Berlin demonstrierten die Ludloffs eine eigene Position, die noch stärker auf Farbkontraste, auf die Kombination schwacher und starker Farben setzt. „Neutral-diffuse“ Farbtöne, eher irden wirkend, haben in ihrem Spektrum einen breiteren Raum und ebenso diffuse Farbreflektionen, die den Raum sensibel für Lichtwechsel macht.

Im Falle Sedus danken ihnen dies die Mitarbeiter der Forschungsabteilung, die trotz eines Einraumbüros mit eingestellten Kombibüro-Bereichen sehr individuell wirkende Arbeitsplätze erhielten. Im Zusammenspiel diagonaler Raumgeometrie mit den Farben besitzt nun jeder Ort im Kranz der Arbeitsplätze eine eigene Raumqualität und eine jeweils etwas andere Atmosphäre. So hat Sedus mit ihrem neuen Entwicklungs- und Innovationszentrum einen überzeugenden Demonstrationsschauplatz für neue Bürokultur erhalten. Ein Haus, das bespielt werden will und sich jederzeit unschwer verändern kann. Ein Haus, das außen viele Rätsel aufgibt, aber sehr intime Dialoge mit seinem Ort führt.

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