Der Kristall
Bankgebäude in Kopenhagen/DK

In der internationalen Architektur hat man sich in den vergangenen Jahren daran gewöhnt, dass die richtige Namensgebung die Vermarktung eines Gebäudes fördert. „The Cube“, „the Eye“, „the Blob“, sind einige dieser Namen, die es den Menschen erleichtern, ein Gebäude und seine (geometrische) Form zuzuordnen. Schmidt Hammer Lassen Architects aus Kopenhagen haben ihrem Auftraggeber Nykredit einer ihrer Entwürfe als „the Crystal“ präsentiert. Der Name – von SHL als Aufhänger gedacht – überzeugte und blieb bestehen.

Lage (Wasser)

Am Rand zwischen der neuen Hafenfront und der historischen Altstadt Kopenhagens findet man seit 2010 einen gebäudehohen Kristall. Der Kristall ist das Synonym eines Neubaus der Nykredit, des größten dänischen Investors für Wohnbauprojekte, der sich auch als Bank etablieren wollte. An der Nordwestseite des bestehenden Hauptgebäudes, das durch seine umseitige Glasfassade bereits als der Glass Cube bekannt ist und von Schmidt Hammer Lassen Architects 2001 realisiert worden war, entwarfen die Architekten ein freistehendes Gebäude für die Kundenbetreuung der Bank. Der Neubau dominiert den Platz und nimmt in seiner Form die axiale Komposi­tion der umgebenden Gebäude auf.

Der Baukörper ist Teil einer Neugestaltung des Platzes, für die das Landschafts­büro SLA A/S (Stig L. Andersson Landscape Architects) verantwortlich zeigt. Alle Installationen zielen auf die Einbeziehung des Himmels als Bereicherung der Sinne und der Wahrnehmungen des Platzbesuchers ab. Das gelingt SLA durch die Verwendung von Wasser als Gestaltungselement in Form der linienförmigen Springbrunnen, die während des Tages den Platz strukturieren oder des nächtlich beleuchteten, runden Wasserbeckens. Im Wasser spiegeln sich die ständig verändernden Licht-, Wind und Wolkenkonstellatio­nen, wodurch der Himmel indirekt Teil des öffentlichen Raums wird. Das war für SLA besonders wichtig, da die Anzahl der jährlichen ­Sonnentage in Dänemark von Natur aus sehr gering ist.


Struktur (Stahl)

Laut Peter Voldstedl, Projektleiter bei SHL Architects, besitzt ein Kristall die Qualität, dass er keinem vordefinierten Aufbau folgt und deshalb in jeglicher Art geformt werden kann. Das Volumen des Gebäudes entstand einerseits durch die Einbeziehung der Fassadenfluchten der umliegenden Gebäude und andererseits durch verschiedene Sichtlinien von der Stadt zum Hafen hin.

Um das Vertrauen der Kunden zu gewinnen setzen Banken in den vergangenen Jahren zunehmend auf Transparenz, Offenheit und Leichtigkeit, anstatt auf Verschlossenheit und wehrhafte Massivität. Auch der Kristall berührt nur an wenigen, speziell ausgearbeiteten Punkten den Platz und erhebt sich mit scheinbarer Leichtigkeit vom Grund. Die allseitige Verglasung des Gebäudes unterstreicht diese Leichtigkeit zusätzlich und erzeugt die Transparenz und Einsicht, die von der Bank gewünscht war. Die Tragstruktur, für die das Gebäude mit dem European Steel Design Award 2011 ausgezeichnet wurde, baut auf eine rund 1 400 t schwere Stahl­konstruktion auf, die durch zwei Betonkerne stabilisiert wird. Ähnlich wie beim Glass Cube hängen die Architekten auch bei diesem Gebäude die Geschossdecken von einer mächtigen Stahlfachwerkkonstruktion im Dach ab. Das Fach­werk wird von den gut sichtbaren, X-förmigen Stützen hinter der Glasfassade getragen. Diese Konstruktion erlaubt ein völlig stützenfreises, offenes Volumen mit einer größtmöglichen Flexibilität in der Grundrissgestaltung.


Fassade (Glas)

Das Gebäude verändert seine Erscheinung je nach dem Standpunkt des Betrachters und der Wetter- und Lichtverhältnisse. Die hinterlüftete, zweischalige Fassadenkonstruktion wurde von den Architekten so entworfen, dass sie neben ihren klimatischen Funktionen vor allem ästhetischen Ansprüchen gerecht werden musste, um die Idee des Kristalls sichtbar zu machen. Um die konstruktiven Decken, technischen Installationen und den Sonnenschutz visuell verschwinden zu lassen verwendeten die Architekten siebbedruckte Glasscheiben, unterschied­licher Formate, die sie versetzt anordneten. Zusammen mit den feinen Lammellen für die Lufteinlässe und den Sonnenschutz erzeugt das ein Patchwork, das die Gebäudehülle als eine einzige, große, schimmernde Oberfläche erscheinen lassen.

Die Überhitzung des Gebäudes wird durch den im Fassadenaufbau integrierten Sonnenschutz verhindert, die Geräuschisolierung des Gebäudes durch die Dreifachverglasung an der Innenseite der Fassade garantiert.


Nachhaltigkeit

Der Entwurf der Architekten zeichnet sich durch eine ganzheitliche Entwicklungsstrategie aus, die den Energieverbrauch des völlig transparenten Gebäudes auf außergewöhnliche 70 kWh pro m2 reduziert. Das liegt 25 % unter der aktuellen dänischen Norm. Die Senkung des Energieverbrauch gelingt unter anderem durch die hauseigene Stromerzeugung mittels der Photovoltaikanlage auf dem Dach, die jährlich rund 80 000 kWh produziert. Durch die hochwärmedämmende Dreifachverglasung der inneren Fassade wird ein U-Wert von 0,7 Wh/m2 erreicht und somit die Wärmeverluste minimiert. Auch die natürliche Belichtung durch den hohen Glasanteil der Fassade führt zu wesentlichen Energieeinsparungen beim Gebrauch von Kunstlicht.

Maßnahmen wie die Regenwasseraufbereitung für das Betreiben der Toilettenanlagen oder die Verwendung des Meerwassers zur Gebäudekühlung unterstreichen die Nachhaltigkeit des Gebäudes. Der ausschließliche Einsatz eines natürlichen Belüftungssystems über
die zweischalige Fassade wird auch für die Abkühlung des Gebäudes während der Nacht durch das Öffnen der Dachfenster über den Atrien fortgesetzt. Die mehrfach genickte Form des neuen Gebäudes wirkt wie ein déjà-vu. Das Außergewöhnliche daran ist allerdings, dass es Schmidt Hammer Lassen Architects geschafft haben, dem Volumen durch die Fassadengestaltung, die Materialwahl und die richtige Konstruktion, tatsächlich eine kristalline Ausstrahlung zu verleihen und damit Form, Funktion und Ästhetik miteinander in Einklang bringen.

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