Das zweite Leben einer Polizeidienststelle
De Veilige Veste, Leeuwarden/NL

Der Umbau ehemaliger Büro- in Wohngebäude ist in den Niederlanden seit 2009 durch den großen Büroleerstand, die attraktive innerstädtische Lage vieler dieser Objekte und aus finanziellen Gesichtspunkten zu einem wichtigen Teil des Bausektors und Betätigungsfeldes von Architekten geworden. Das Projekt „Veilige Veste“ – eine Zufluchtsstätte für Opfer von häuslicher Gewalt und Menschenhandel – war 2012 das erste Bürogebäude, das nach dem niederländischen Passivhausstandard von einer ehemaligen Polizeidienststelle in ein Wohn- und Betreuungszentrum für betroffene Frauen umgebaut wurde.

Der Ausgangspunkt

Auf der Suche nach einem geeigneten Gebäude für eine neue Zufluchtsstätte für Opfer von häuslicher Gewalt und Menschenhandel wandte sich die Organisation Fier Fryslân an die Wohnungsbaugesellschaft WoonFriesland. Ebenfalls früh involviert waren KAW Architecten. Sie
erstellten bereits im Vorfeld eine Studie, ohne ein konkretes Gebäude in Aussicht zu haben. Aus der ging hervor, dass eine Sanierung und ein Umbau eines bestehenden Gebäudes für Fier Fryslân kostengünstiger sei als ein Neubau.

Nach der Begutachtung mehrerer verschiedener Objekte wählte der Bauherr und Nutzer die leerstehende, ehemalige Polizeidienststelle am Aldlansdyk, der Ring-straße von Leeuwarden, ca. 60 km westlich von Groningen. Auf Drängen von Stadt und Region, die beide das Projekt aktiv unterstützen, kaufte WoonFriesland das Bürogebäude im März 2010. Dieses war durch den Umzug der Polizei in den benachbarten Neubau frei geworden.

Die Tragstruktur des Stahlbetonbaus aus den 1970er-Jahren zeichnet sich aus durch ein quadratisches Raster von 3,60 x 3,60 m und durch seine an der Außenseite liegenden Stahlbetonstützen. Die Konstruktion wurde zu einem der Ausgangspunkte des architektonischen Entwurfs.

Die Bestandsfassade wies bauphysikalische Mängel wie etwa eine Vielzahl von Wärmebrücken auf, die durch eine einfache Fassadensanierung nicht hätten behoben werden können. Eine durch WoonFriesland an KAW Architecten in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie ergab, dass ein Umbau und eine Sanierung des Bauwerks auf den niederländischen Passivhausstandard möglich wäre und dass sich die dadurch ergebenden Mehrkosten innerhalb von 10 Jahren amortisieren würden.

Die Ansprüche

Schon im Zuge der Vorgespräche wurde sowohl seitens des Eigentümers als auch von Linda Terpstra, Direktorin von Fier Fryslân, der Wunsch nach einer hochwertigen, nachhaltigen und umfassenden Sanierung geäußert. Auch Sigrid Hoekstra, Geschäftsführerin von WoonFriesland, verstand unter Nachhaltigkeit einen ganzheitlichen Ansatz: erstens die akute und wirkungsvolle Versorgung und Behandlung von Opfern, zweitens eine zeitlose Architektur und drittens ein Gebäude mit einem minimalen Energieverbrauch zur Senkung der Betriebskosten und des damit garantierten Fortbestands der Einrichtung.

Anke van Dijke, ebenfalls Direktorin von Fier Fryslân, sieht in der ‚Veilige Veste‘, zu Deutsch: Sichere Festung, eine große symbolische Bedeutung: „Mit der ‚Veiligen Veste‘ setzen wir ein Statement. Früher versteckten wir unsere Mädchen, jetzt ist das nicht mehr notwendig. Die ‚Veilige Veste‘ macht das Unsichtbare sichtbar. Wir hoffen damit, die Mauer des Geheimhaltens und des Schweigens durchbrechen zu können.“ Den Wunsch des ‚Sichtbar Werdens‘ übersetzen die Architekten in eine extrovertierte Fassade.

Die Fassade

Das Relief wird durch tra­pez­för­mige und versetzt angeordnete Holzträger erzeugt. Die davor gesetzte Hülle besteht aus weißen und diagonal gekanteten Polyesterkompositplatten. Die neuen, an den Stahlbetonstützen montierten Fassadenelemente des 1. und 2. Obergeschosses bestehen aus drei vorgefertigten Schichten: An der Innenseite befindet sich eine mit Zellulosewolle gefüllte Vorsatzwand, in der die gesamte technische Gebäudeausrüstung flexibel integriert werden kann und die den Dämmwert, die Luftdichtheit und den Feuerwiderstand der Fassade zusätzlich verbessert. Davor liegen die 35 cm dicken und mit ökologischer Zellulose-Dämmung (U-Wert 0,12 W/m²K) gefüllten Fertigteilplatten. In dieser Dämmschicht wurden die aus Deutschland importierten und als Passivhausfenster zertifizierten Fenster, bestehend aus einer Fixverglasung und einem Kippfenster, integriert (U-Wert 0,5 W/m²K). Die Kippfenster wurden als Schutz vor Selbstmordversuchen der Bewohnerinnen vorgesehen. Die dritte und äußerste Schicht sind die vorgefertigten, gegossenen und bis zu 50 cm tiefen Polyesterplatten. Ihr Auskragen kreiert eine natürliche Beschattung der Gemeinschaftsräume im Erdgeschoss. Die Architekten versuchten, ökologische Baumaterialien zu verwenden, wo es finanziell möglich war. Durch die Vorfertigung der Bauteile konnten sowohl die Kosten als auch die Bauzeit entscheidend verringert werden, ohne dabei qualitative Abstriche zu machen.

Die Holzfassade im Erdgeschoss und die Holzschalung im Innenhof bestehen aus dem in den Niederlanden häufig verwendeten Louro Preto-Holz. Im Gegensatz zur unbehandelten Innenhoffassade wurde das Holz im Erdgeschoss lackiert, wodurch die dunkle Holzästhetik erhalten blieb. So wurde das Erdgeschoss visuell klar von der strahlenden „Krone“, der Obergeschosse, getrennt. Dieser Eindruck wird zusätzlich verstärkt durch die mit grau-schwarzen Steinen gefüllten Gabionen.

Um eine simple Lochfassade im Innenhof zu vermeiden, wurde diese um leicht nach innen versetzte Metallelemente ergänzt. Optisch wird der Unterschied zwischen dem Metall und dem Holz durch das natürliche Vergrauen des unbehandelten Holzes mit der Zeit verschwinden.

Der Bauprozess

Nach dem Ankauf des Gebäudes erstellte Dirk Horjus, Projektleiter bei WoonFriesland, auf der Basis des Entwurfs von KAW und den allgemeinen Nutzererwartungen ein vorläufiges Raumprogramm, das bis Oktober 2010 im Rahmen intensiver Gespräche mit Fier Fryslân genau ausgearbeitet wurde.

Diese Phase, in der alle Details bezüglich der Raumausstattung, der Materialien und der (sicherheits-)technischen Anforderungen besprochen wurden, war nach Meinung von Dirk Horjus besonders wichtig, weil dadurch späteren Unklarheiten während der Ausführung vorgegriffen werden konnte. In der Folge wurden zwischen Oktober 2010 und Ende April 2011 die Ausschreibungstexte und die Bauzeichnungen in enger Zusammenarbeit von KAW Architecten, WoonFriesland und der Haustechnikberaterfirma Technion vorbereitet. Wobei die Arbeiten aus prozesshaften Überlegungen in drei Ausführungsgruppen unterteilt wurden: die Abrissarbeiten, die technische Gebäudeausrüstung und die Hochbaugewerke. Unter den vier bietenden Generalunternehmen für die Bauausführung erhielt die Bouwgroep Dijkstra Draisma Ende April den Zuschlag, wodurch Anfang Juni die Bauarbeiten beginnen konnten.

In einem ersten, nur neun Monate dauernden Bauabschnitt, wurde das gesamte Gebäude eingepackt, asbesthaltige Bauteile entsorgt und bis auf seine primäre Tragstruktur abgetragen. Die Geschoss­flächen, die Flachdächer, die Lage der vertikalen Erschließung und die Toiletten wurden für den Umbau nicht verändert.

Durch die lange Produktionszeit der vorgefertigten Polyesterelemente konnte erst im Dezember mit der Montage der Fassaden angefangen werden. De Facto wurde zuerst mit dem Innenausbau begonnen und erst in den letzten drei Monaten die Hülle montiert. Bis zu diesem Zeitpunkt blieben die Öffnungen zwischen den Stahlbetonstützen mit Plastik abgedeckt, um unerwünschten Feuchtigkeitseintritt ins Innere des Bauwerks zu verhindern.

Die Gesamtinvestitionen beliefen sich inklusive der Entwicklungskosten und des
Gebäude- und Grundstücksankaufs auf gerademal 1 100 €/m² BGF (exkl. MwSt.). Die Baukosten selbst begrenzten sich auf 750 €/m² BGF (exkl. MwSt.). Reimar von Meding, Partner bei KAW, erklärt diese niedrigen Baukos-ten mit der guten Projektabwicklung und dem hohen Aufwand, der in der Vorbereitung stattgefunden hatte – Abstimmung des Entwurfs, des Programms, der Mittel und der Technik –, wodurch es so gut wie zu keinen Mehrkosten kam. Als weitere Zeitersparnis führt er die intelligente Planungs- und Bauprozesssteuerung sowie eine gute Logistik an, aus der eine intensive und gute Zusammenarbeit erwuchs. Kostensenkend wirkte sich außerdem die gezielte Vorfertigung einzelner Bauteile aus. Er betont zudem die Qualität des Entwurfsansatzes, bei dem die technischen Erwartungen und Anforderungen die Grundlagen waren und nicht die Technik die Ästhetik bestimmte.

KAW behielt während der Bauarbeiten die künstlerische Oberleitung. Entscheidend waren neben den Baustellensitzungen die zweiwöchentlich stattfindenden Besprechungen mit Linda Terpstra, um diese über alle Bauabschnitte zu informieren. Dirk Horjus meint rückblickend: „Die zeitgemäße Fertigstellung und Übergabe des Gebäudes an Fier Fryslân Ende Februar 2012 war nur durch die pro­ak­tive Haltung, den Enthusiasmus und die ausgezeichnete Zusammenarbeit aller Partner und Baufirmen möglich.“
Michael Koller, Den Haag

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