»Auf den zukünftigen Arbeitsmarkt vorbereitet sein«
Im Gespräch mit Eric Thode, Bertelsmann Stiftung, GüterslohDie Arbeitswelt befindet sich in einem grundlegenden Wandel. Wir sind zur Bertelsmann Stiftung gegangen und haben dort mit Eric Thode gesprochen. Der Wirtschaftswissenschaftler und sein Team untersuchen die Zukunft der Arbeit. Adressat der Studien: Experten in der Bundespolitik.
Sehr geehrter Herr Thode, wie lange sollen wir in Zukunft arbeiten? Bis wir keine Lust mehr haben? Oder schlicht nicht mehr können?
Eric Thode: Wir sehen in unserem Programm „Arbeit neu denken“ durchaus eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit über die heute geltenden Ruhestandsreglungen hinaus. Mit der ständig steigenden Lebenserwartung kann doch auch der Eintritt in den Ruhestand an dieses längere Leben insgesamt anteilig angepasst werden. Das muss kein Zwang sein. Wir sehen, dass jetzt schon vom Gesetzgeber Regelungen geschaffen worden sind, mit denen Arbeitnehmer auch über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus arbeiten können – wenn sie das wollen.
Sie sagten gerade „wir“: Wie ist Ihr Forscherteam zusammengesetzt?
Mein interdisziplinäres Team umfasst sieben Mitarbeiter, deren Hintergrund in erster Linie Wirtschafts- und Politikwissenschaften ist. Das Programm gibt es seit April 2018, allerdings bauen wir auf bereits bestehenden Ansätzen in der Stiftungsarbeit auf, womit ich ein Team von Experten habe, das schon länger an dem Thema arbeitet.
Was ist denn eigentlich das Neue am Arbeiten in Zukunft? Oder geht es eher um ein neues Denken?!
Es geht klar um das Neue in der Arbeitswelt, das insbesondere die Digitalisierung mit sich bringt. Daran hängt natürlich auch die Globalisierung. Beides sorgt dafür, dass Berufe in ihre unterschiedlichen Elemente, also verschiedene Tätigkeiten aufgespalten werden können. Darunter gibt es, nach allem, was wir heute sagen können, Arbeiten, die nicht von Maschinen ausgeführt werden können, und solche, die durchaus automatisierbar sind. Die größte Folge von Digitalisierung und Globalisierung ist also, dass sich der Inhalt der Arbeit verändert. Das wird zum einen dazu führen, dass menschliche Arbeit produktiver wird. Zum anderen werden Arbeiten, die weitestgehend automatisierbar sind, in Zukunft ganz von Computern, von Maschinen erledigt werden. An bestimmten Stellen wird es zu Arbeitsplatzverlusten kommen. Woanders werden auch ganz neue Berufe entstehen, die wir heute noch gar nicht absehen können. Die größte Herausforderung besteht darin, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Wege aufzuzeigen, wie sie diesen Wandel meistern.
Digitalisierung, Globalisierung … Welche Rolle spielt hier der demografische Wandel?
Dass unsere Gesellschaft im Durchschnitt immer älter wird, hat ganz massive Auswirkungen auf die Arbeitswelt. So besteht ja jetzt schon das Problem, dass alternde Belegschaften mit den Anforderungen der Digitalisierung nur schwer noch mithalten können. Zahlreiche Studien zeigen, dass Belegschaften mit höherem Altersdurchschnitt auch nicht mehr so produktiv sein können. Zudem ist der demografische Wandel verantwortlich für den Fachkräftemangel, den wir heute schon deutlich wahrnehmen können und der sich in den nächsten 20 Jahren deutlich verschärfen wird. Der technische Fortschritt könnte sich unter diesem Eindruck aber auch so entwickeln, dass menschliche Arbeitskraft nicht ersetzt wird, sondern komplementär mit neuen Technologien leistungsfähiger wird.
Was sind denn eigentlich die Ziele des Programms, was wollen Sie abliefern?
Wir haben zwei große Ziele, die aber sehr eng miteinander verbunden sind. Zum einen sind wir mit unserem Programm deutlich in der Gegenwart unterwegs und schauen, wie Arbeit heute funktioniert. Da sehen wir beispielsweise eine immer noch große Gruppe von ArbeitnehmerInnen, die abgehängt ist, die trotz der guten Konjunktur dauerhaft keine Anstellung findet. Denen eine Perspektive und Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben, ist das eine Thema. Ein weiteres ist die Ausgestaltung der Übergänge zwischen Nichtarbeit und Arbeit oder auch zwischen unterschiedlichen Arbeitsstellen und Beschäftigungsformen, die möglichst glatt verlaufen sollten. Hierzu gibt es beispielsweise das Konzept der Beschäftigungsversicherung. Das meint, dass man präventiv auf die Beschäftigungsfähigkeit schaut, darauf, ob der Arbeitnehmer noch in der Lage ist, seine Arbeit gut zu tun. Wenn nicht, sollte es dazu passgenaue Fortbildungen geben. Hier ist allerdings die Frage, wer diese Qualifizierung im Auge haben muss. Der Arbeitgeber? Oder sollte es eine gewisse Form von staatlicher Unterstützung geben, und wie kann man die Eigenverantwortlichkeit stärken? Damit haben wir dann auch die Verbindung zum zweiten großen Ziel: Die Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes so auszugestalten, dass die Menschen mit den Herausforderungen der Arbeitswelt der Zukunft umgehen können.
Die Digitalisierung durchsetzt mehr und mehr alle Lebensbereiche. Wo bleibt der Mensch? Stichworte für den Bau wären Vorfertigung, Modulbau, Robotik …? Können Sie hier zeitliche Horzionte aufmachen?
Zunächst mal habe ich ja schon gesagt, dass nicht alle Menschen im gleichen Ausmaß und zur selben Zeit von der Digitalisierung betroffen sein werden. Das hängt ganz stark von den konkreten Tätigkeiten ab. Und selbst wenn bestimmte Tätigkeiten prinzipiell automatisierbar sind, heißt das nicht, dass das auch sofort umgesetzt wird. Da spielen natürlich betriebswirtschaftliche Überlegungen auch noch eine Rolle. Der Mensch hat also auch weiterhin in den meisten Bereichen einen festen Platz. Die Devise beim Blick in die Zukunft muss lauten: „Auf nahe Sicht fahren!“. Eine allzu weite Vorausschau kann einerseits in die Irre führen. Andererseits hat Digitalisierung das Potential, disruptiv und mit hoher Beschleunigung zu wirken. Da muss man differenziert und eng an den Entwicklungen dranbleiben, um schwache Signale frühzeitig zu erkennen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Nach heutigem Stand besteht das größte Automatisierungspotenzial im verarbeitenden Gewerbe, wie Wissenschaftler am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ermittelt haben. Knapp die Hälfte der dort Beschäftigten verrichtet Arbeiten, in denen mindestens 70 % der Tätigkeiten automatisierbar sind. In der Baubranche ist es dagegen nur jeder Fünfte, der dieses hohe Substitutionsrisiko aufweist. Dieser eher geringe Wert rührt daher, dass die Branche insgesamt betrachtet wird, also inklusive Architekten, Ingenieure, Fachplaner, BIM-Experten und dass viele Tätigkeiten am Bau selbst eben doch nicht so leicht von Robotern zu verrichten sind. Außerdem unterliegen solche Vorhersagen immer einer grundsätzlichen Schwäche: Was wir relativ sicher sehen können für die kommende Zukunft ist, welche Jobs generell potentiell gefährdet sind. Was wir dagegen nicht so sicher abschätzen können ist, welche Jobs neu entstehen werden.
Wenn Ihre Studie fertig ist: Wem wird sie zuerst präsentiert?
Wir entwickeln Konzepte, die wir an die Politik vermitteln möchten. Insbesondere an die Akteure in der Bundespolitik, in den Ministerien und im Parlament, aber auch Vertreter von Gewerkschaften, Verbänden und Zivilgesellschaft. In zwei Richtungen möchten wir dabei besonders sensibilisieren: Zum einen für das drohende Auseinanderklaffen zwischen dem, was die Arbeitskräfte an Kenntnissen und Fähigkeiten mitbringen und was die Unternehmen von ihnen erwarten. Zum anderen für die sich weiter öffnende Schere der Einkommen zwischen denen, die von Digitalisierung und Globalisierung profitieren und denen, die sich mit diesen Trends schwertun. Dabei problematisieren wir diese Entwicklungen nicht nur, sondern entwickeln auch Konzepte, wie wir diesen begegnen können.
Mir fehlt irgendwie die Science Fiction, das Visionäre …
Den Blick in die Glaskugel sollen andere machen. Wir sehen, dass die aktuellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland zum ganz großen Teil auch diejenigen der Zukunft sein werden. Der Science Fiction-Autor William Gibson hat mal gesagt: „Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungleich verteilt.“ Genau das beobachten wir auch. Gelingende Übergänge am Arbeitsmarkt, Beweglichkeit im Strukturwandel als Selbstverständliches … Manche Branchen, manche Berufsfelder, die Politik in manchen Ländern ist da schon weiter als andere. Aus den Erfahrungen, die wir heute schon betrachten können, werfen wir den Blick auf die Zukunft. Durchaus auch mit großer Tragweite: Das Problem zunehmender Ungleicheit. Lohnspreizung, Niedriglöhne auch im Bausektor … Diese Tendenz des Auseinanderdriftens sehen wir heute schon sehr deutlich. Und das wird Abstiegsängste vergrößern, wird dem Populismus in die Hände spielen. Um hier mehr Sicherheit zu schaffen, mehr Transparenz, wollen wir Orientierungswissen bereitstellen. Die Stiftung will hier als Motivator arbeiten, als jemand, der Debatten anstößt, gesellschaftlich relevante Themen in einen öffentlichen Diskurs bringt und damit eine Stimme im Chor von vielen ist, der die Reformen in Deutschland so voranbringt, dass wir zukunftsfähig werden. Reicht Ihnen das?!
Sie schauen optimistisch in die Zukunft?
Zumindest nicht pessimistisch! Die Zukunft kann bekanntlich am besten derjenige vorhersagen, der sie aktiv mitgestaltet. Wesentlich ist aus meiner Sicht, dass die Politik, Sozialpartner und Institutionen ihre Gestaltungskraft im anstehenden massiven Strukturwandel nutzen und sich dabei auch selbst ein Stück weit neu erfinden. Wenn das nicht passiert, verpassen wir den Anschluss, und wir bekommen trotz demografischem Wandel und Arbeitskräfteknappheit eine hohe Arbeitslosigkeit. Wir arbeiten mit unserem Projekt daran, dass der strukturwandelbedingte Umbau den Einzelnen wie auch die politischen Akteure nicht unvorbereitet trifft, dass er oder sie fit ist für den Anpassungsdruck, der in Zukunft deutlich zunehmen wird.
Mit Eric Thode unterhielt sich DBZ Redakteur Benedikt Kraft am 2. November 2018 im Stiftungsgebäude am Bertelsmann Corporate Center, Gütersloh