… und zehn Prozent in Weiß

Wenn Künstler Häuser bauen


Im Rahmen der ostwestfälischen Sommerreihe „Wege durch das Land“ fand im Juni in Lemgo eine Veranstaltung statt, die einen besonderen architektonischen Leckerbissen präsentierte. Dort steht ein außergewöhnliches Künstlerhaus, das Karl Junker bis 1891 bis ins kleinste Detail mit geschnitztem und bemaltem Stabwerk errichtete. Das Gesamtkunstwerk übt bis heute eine eigenartige Faszination auf seine Besucher aus. Der Architekturhistoriker Andrea Lampugnani bezeichnete den zu Lebzeiten verkannten Junker als Vorläufer des Expressionismus. Von der Innenarchitektin und Kunsthistorikerin Bettina Rudhoff wird das Junkerhaus in die Bewegung des Jugendstils und Dadaismus eingeordnet. Auf dem Weg zu Künstlerhäusern der Gegenwart von O’Gehry zu Dominegs Steinhaus am Ossiacher See konnte das Publikum mit Frau Rudhoff das Phänomen Künstlerhaus neu entdecken.

Mit Bedacht wurde der Ausflug in die Geschichte der Künstlerhäuser in die Lesung eines Romans von Paul Scheerbart eingebettet. Der Phantast und Autor beeinflusste mit seiner Literatur die Werke von Expressionisten und Dadaisten und entwarf auf dem Papier lange vor den Bauhausarchitekten eine Glashausarchitektur. In seinen Romanen und Äufsätzen setzte er sich für die Glasarchitektur als Grundlage für einen universellen Bau- und Lebensstil ein, und überzeugte damit auch Bruno Taut. Die Begegnung von Scheerbarth und Taut 1913 leitete den Auftakt zur Entwicklung und Anwendung der Glasarchitektur im Wohnungsbau ein. Taut widmete seinem Freund Scheerbarth auf der Kölner Werkbundausstellung 1914 seinen berühmten Glaspavillon. 100 Jahre später setzte ein anderer Phantast, der Grazer Architekt Günther Domineg, auf dem Grundstück seiner Großmutter am Ossiacher See einen „Bergkristall“ aus Beton, Stahl und Glas in die Landschaft.

Der skurrile Roman „Das graue Tuch und ein Prozent Weiß“ schildert das Leben des Jet-Set-Architekten Edgar Krug, der seiner Gattin im Ehevertrag vorschreibt, wie sie sich farblich zu kleiden habe. Zusammen mit seiner korrekt gekleideten Frau zieht er sich in sein Künstlerhaus am Lago Maggiore zurück, in eine perfekte Glasarchitektur. Die Schauspieler Andrea Sawatzki und Christian Berkel ließen in ihrem Vortrag aus Scheerbarths erahnen, warum sich Architekten bis heute an die triste Kleiderordnung halten… Inga Schaefer, Bielefeld

Internet: www.wege-durch-das-land.de

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