Wohnensemble Hafen Eins Leipzig

Nur vier Kilometer westlich des Stadtzentrums, zwischen eindrucksvoller Industriearchitektur und direkt angrenzend an die Leipziger Stadtteile Plagwitz und Lindenau, entsteht seit 2016 ein vielfältiges Stadtquartier am Lindenauer Hafen. Den städtebaulichen Auftakt bildet direkt am Kopf des neuen Wohnviertels das Gebäudeensemble Hafen Eins von W&V Architekten, das mit dem BDA-Preis Sachsen 2021 ausgezeichnet wurde.

Einst als infrastruktureller Verkehrsknotenpunkt geplant, erstreckt sich seit 2021 ein fast fertiggestelltes, neues Stadtquartier mit rund 470 Wohnungen direkt am Lindenauer Hafen. Die Historie des Ortes ist ambivalent: Im Jahr 1938 begann der Bau eines Industriehafens, der die Stadt über das hiesige Kanalsystem mit dem europäischen Wasserstraßennetz verbinden sollte. Im Zuge des nationalsozialistischen Allmachtanspruchs sollte dieser als strategischer Schlüssel zur Autonomie über den Welthandel dienen. Mit Kriegsbeginn wurden die Bauarbeiten eingestellt, eine Anbindung an schiffbare Gewässer fehlte jedoch. 72 Jahre blieb der Lindenauer Hafen in Insellage. Mit der Anbindung an den Karl-Heine-Kanal im Jahr 2015 nahm die Geschichte des Hafens eine unerwartete Wendung: Der neue Plan für das rund 40.000 qm große Areal sah eine fundamentale Umnutzung vor. Bis 2022 soll hier ein neues, wassernahes Wohnviertel mit Kindertagesstätte und Gewerbeeinheiten samt Hafenpromenade entstehen.

Das neue Wohnensemble von W&V Architekten, bestehend aus Winkel und Turm, wurde im Herbst 2021 fertiggestellt und markiert den städtebaulichen Auftakt des neuen Stadtquartiers am Lindenauer Hafen. Der L-förmige Grundriss des Winkels sowie der rechteckige Grundriss des Turms rahmen eine weiträumige urbane Fläche. Beide Gebäude sind fünfgeschossig mit insgesamt 56 Wohnungen, wobei der turmartig erhöhte Solitär dank größerer Geschosshöhe über die Nachbarbebauung ragt. Wohltuend bricht er die gleichförmige Höhenlinie des neuen Hafenquartiers und zieht die Verbindung zu den historischen Hafenspeichergebäuden im Nordosten. Somit setzt das Ensemble ein selbstbewusstes Zeichen für moderne Stadtentwicklung.

Die räumliche Distanz zum Winkelbau verstärkt die Inszenierung des Turms als Anfangs- und Endpunkt der neuen Bebauung. Dieser ist direkt am Wasser gelegen und tritt somit als Landmarke hervor, welche zeichenhaft für die Verbindung zwischen traditionellen Industriequartieren und intelligenter Nachnutzung steht. Die exponierte Position setzt sich in der architektonischen Gestaltung konsequent fort. Der Turm zeigt klare Kante: Alle Öffnungen – Fenster ebenso wie Loggien – sind in der gleichförmigen Rasterung integriert und werden von der präzisen, geradlinigen Kubatur gerahmt. Dagegen tritt die hofseitige Fassade des Winkelbaus hinter die Gebäudekante zurück.

Die rotbraune Backsteinhülle greift die Materialität der nahegelegenen gründerzeitlichen Fabrikbauten auf. Im Besonderen zeigt sich die industriell geprägte Formensprache in Beziehung zur maritim anmutenden Industriearchitektur Fritz Högers – führender Vertreter des norddeutschen Backsteinimpressionismus und Architekt des Flaggschiffs der Leipziger Konsumzentrale – durch ausgewählte Details, wie filigrane Brüstungsgeländer, Bullaugenfenster und außenliegende, geschosshohe Vorhänge. Dieser schiffssegelartige Sicht- und Sonnenschutz kann individuell angepasst werden und wird so zum interaktiven Element der Fassade. Unter Rückbesinnung auf traditionelle Bautechniken wurde das Ensemble ressourcenschonend in Ziegelbauweise (Rosslauer Wechselsortierung) ausgeführt und als Massivbau aus Mauerwerk mit Kerndämmung und Klinkervormauerung sowie Betondecken errichtet. Der Baustoff Ziegel besticht durch seine Langlebigkeit und Belastungsfähigkeit und verspricht somit eine ästhetisch kontrastreiche und zeitlose Eleganz. Das Zusammenspiel aus wenigen herausragenden Klinkerdetails und dem virtuosen Umgang mit dem Material erzeugt die Wirkung eines Wohnhauses im Industriegewand.

Die Erschließung des Ensembles erfolgt durch den zentralen Platz. Das Winkelgebäude ist über insgesamt vier kompakte innen liegende Treppenhäuser erreichbar. Das Innenraumkonzept des Winkels zeichnet sich durch eine konsequente Ausrichtung hin zum Wasser aus. Flexible Grundrisse mit Loftcharakter der Wohnungen im Turm ermöglichen den Ausbau als Ateliers und individuelles Wohnen und Arbeiten zugleich. Alle Wohnungen sind barrierefrei, die Turmlofts zudem rollstuhlgerecht.

Winkel und Turm spannen einen Innenhof auf, der in die sich anschließende Promenade und Parkanlage übergeht. Durch seine einladende Offenheit hin zum Wasser und in direkter Anbindung zu den vorbeiführenden Fuß- und Radwegen bildet das Ensemble eine durchlässige, bauliche Grenze, die der Integration der Baukörper im neuen Quartier zuträglich ist.

Projektdaten

Auftraggeberin: Thamm & Partner GmbH

Architektur: W&V Architekten, Leipzig, www.wuv-architekten.de

Landschaftsplanung: bbz landschaftsarchitekten, www.bbz.la

Wettbewerb: 2016, 1. Preis

Fertigstellung: 2021



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