Vitra Campus

Bei Vitra zu Besuch

Auf einem Reiseabstecher in den Süden den Vitra Campus (wieder) einmal näher beschaut

Mit der Ausstellung „Hello, Robot. Design zwischen Mensch und Maschine“ präsentierte das Vitra Design Museum bis Mitte Mai 2017 eine große Überblicksausstellung zum derzeitigen Boom der Robotik. Sie zeigte verschiedene Formen der Robotik und weitete damit zugleich unseren Blick für die damit verbundenen ethischen, sozialen und politischen Fragen. Im Außenbereich des Museums setzte der „Elytra Filament Pavilion“ die Ausstellung fort. Eine Reise in den Süden ergab nun die Möglichkeit, die Skulptur selbst in Augenschein zu nehmen.
 
„Die bionische Dachkonstruktion ist“, so ist es auf der Vitraseite im Netz zu lesen, „ein eindrückliches Beispiel für den wachsenden Einfluss von Robotik auf die Architektur. Seine einzelnen Module wurden von einem Algorithmus definiert und mithilfe eines Industrieroboters produziert. Umgesetzt wurde das Projekt von einem Team der Universität Stuttgart. Nachdem der Pavillon am Victoria & Albert Museum in London zum ersten Mal gezeigt wurde, ist er nun auf dem Vitra Campus zu sehen.
 
Der Pavillon ist das Ergebnis einer vierjährigen Forschung zur Integration von Architektur, Ingenieurbau und bionischen Prinzipien. Ein Roboter hat an der Universität Stuttgart die Komponenten des „Elytra Filament Pavilion“ gefertigt. Die 200m² große Struktur ist von besonders leichten Konstruktionsformen aus der Natur inspiriert – der Faserverbundstruktur von Deckflügeln flugfähiger Käfer, den sogenannten „Elytren“.
 
Die Architekten Achim Menges und Moritz Dörstelmann, der Bauingenieur Jan Knippers und der Klimaingenieur Thomas Auer haben mit der robotischen Konstruktionstechnik am Institute for Computational Design (ICD) an der Universität Stuttgart Pionierarbeit geleistet. Die Technologie wurde von dem Team nach jahrelanger Forschung entwickelt und nutzt ein neuartiges robotisches Wickelverfahren. Es wurde konzipiert, um die außerordentlichen Trageigenschaften der Karbonfasern in gewickelten Bauelementen für das Bauwesen zu nutzen.
 
Die charakteristische Form des Pavillons setzt sich aus einer Reihe zellenartiger Module zusammen. Im Schnitt wiegen sie jeweils etwa 45kg und können innerhalb von drei Stunden hergestellt werden. Die Zellen und ihre sieben Stützpfeiler wurden von einem computerprogrammierten Kuka-Roboter in einem viermonatigen Prozess im Computational Construction Laboratory des ICD in Stuttgart gefertigt. Dabei hat der Roboter harzgetränkte Glas- und Karbonfasern auf ein sechseckiges Gerüst gewickelt. Jede Zelle und jeder Pfeiler ist einzigartig. Die endgültige Form ist das Ergebnis einer Simulation wechselnder Belastungssituationen, vorab durchgeführt vom ITKE. Das Resultat ist eine außerordentlich leichte Struktur, die weniger als 9kg pro Quadratmeter wiegt – der gesamte Pavillon wiegt 2,5 Tonnen.“
 
„Mit dem ‚Elytra Filament Pavilion‘ wollen wir eine neuartige Integration aus Form, Material, Struktur an der Schnittstelle von computerbasiertem Entwerfen und robotischer Fertigung erforschen. Dabei entsteht eine einzigartige räumliche und ästhetische Erfahrung (…). Der Pavillon wächst und reagiert auf in Echtzeit gesammelten Daten. Damit zeigt der Bau den Einfluss digitaler Technologien und neuer Wechselwirkungen zwischen Gestaltung, Bautechnik und Naturwissenschaften. So wollen wir Besuchern nicht nur eine einzigartige Erfahrung bieten, sondern auch einen Ausblick auf zukünftige Möglichkeiten für die Gestaltung unserer gebauten Umwelt.“ (Achim Menges)
 
In jedem Fall bietet die Skulptur Angriffsflächen für neugierige Augen und einigermaßen Schatten in den heißen Sommermonaten. Auf einem „Vegetal“ von Ronan & Erwan Bouroullec sitzend, kann man das VitraHaus von Herzog & de Meuron anschauen oder das „Diogene“ von Renzo Piano, das allerdings, aus der Nähe gesehen, schon Spuren von leichtem Vandalismus aufweist. Aus der Ferne grüßt dann noch der Vitra Rutschturm, eine Aktionskulptur von Carsten Höller aus dem Jahr 2014, die nichts für Schwindelanfällige oder Klaustrophe ist. Die Kinder fanden es super! Vom Rutschturm aus schaut man über den Campus und kann sie alle entdecken, die Renzo Pianos, Zaha Hadid, Frank Gehry oder Bucky Fullers und natürlich Jacques Herzog und Pierre de Meuron. Beinahe im Himmelslicht aufgehend die Produktionshalle von SANAA.

Dass der Möbelproduzent Vitra freien Zutritt zu dieser Architekturlandschaft einräumt ist verständlich, dass er für den Eingang ins Schaudepot (ebenfalls Herzog de Meuron, 2016) Geld verlangt, ist bedauerlich. Denn tatsächlich stehen hier die Ikonen der Möbelkunst, die Vitra groß gemacht haben. Und die sollten doch wirklich alle barrierefrei genießen können, oder?! Be. K.

Vitra, Weil am Rhein

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