Der feine kleine weisse Riese

Barkow Leibinger planten eine Fassade, und ja, ein Hochhaus auch noch

Es gibt sie schon, die hohen Häuser in Berlin. Der Fernsehturm beispielsweise, stolze 368 m hoch, sowie zahlreiche Kraftwerksschlote, die meisten mit über 200 m Höhe. Hochhäuser dagegen reichen nicht annähernd in diese Höhe, das ehemalige Interhotel „Stadt Berlin“ (jetzt umständlich „Park Inn by Radisson Berlin Alexanderplatz“) von 1970 kommt nur noch auf 125 m. 118 m hoch steht der von Christoph Mäckler geplante „Zoofenster“ Turm in Charlottenburg (2012). Immerhin, die alten wie neuen Türme weisen deutlich über 22 m Generaltraufehöhe hinaus, doch anders als in der deutschen Hochhausstadt am Main ergibt sich keine Clusterung und die Skyline der deutschen Hauptstadt ist – wenn nicht smoggetrübt vernebelt – eigentlich gar keine.

Jetzt nun kommt vielleicht Bewegung in die Stadt, die im Jahr 2020 mit einer Internationalen Bauaustellung glänzen will. Der erste Baustein der „Europacity“, Planungsgebiet Heidestraße, nördlich vom Hauptbahnhof, steht; oder besser, er ragt. Nur 70 m, nur 17 Geschosse hoch Obergeschossen (16 Büroebenen und ein Technikgeschoss ganz oben), doch im flachen Umfeld ist er ein (weisser) Riese. „Tour Total“ heißt das Gebäude, dessen Hauptmieter der französische Mineralölkonzern Total S. A. mit Sitz in Paris ist.

Vor ein paar Tagen wurde der Turm, einer von insgesamt geplanten dreien am Europaplatz der Presse präsentiert, im Oktober wird er seinem Hauptmieter übergeben. Im Masterplan Berlin Heidestraße (ASTOC, Köln (Städtebau), Studio Urban Catalyst, Berlin (Freiraumplanung), und ARGUS, Hamburg (Verkehrsplanung) von 2008) noch als Turm auf einem größeren Sockel vorgeschlagen, steht er nun vom Sockel getrennt auf einem zweigeschosse hohen Kolonnaden-Element (Foyer, Restaurant etc.). Die Tiefgarage mit drei Untergeschossen nimmt den Turm und später das ehemals geplante Sockelelement als eigenständigen Baukörper auf. Zwischen beiden wird eine sich verjüngende/weitende Gasse vor dem Haupteingang gebildet.

Der zweigeschossige Kolonnadensockel dreht sich aus dem Turmvolumen heraus, der Turm selbst, eine Scheibe in Nord-/Südverlauf, ist unterhalb des nördlichen Drittel etwa geknickt, Süd- und Nordfassade liegen nicht parallel zueinander. Das Lochraster der Fassade wäre ein solches geblieben, wäre es nicht ein grundsätzliches Anliegen der Architekten Barkow Leibinger, „die Fassade als eigenständiges architektonisches Element und als räumliche Schicht zu betrachten und zu behandeln“. Also eine Rasterfassade, die ganz anders aussieht.

Mittels Betonfertigteilen, die als Layer über die tragenden Betonkämme und die Fensterelemente gelegt werden, wird die Fassade optisch in die Vertikale beschleunigt und, je nach Tageslicht, mal mehr oder weniger plastisch inszeniert. Nicht mehr als acht Elemente ermöglichen mit ihrer strukturierten Setzung Bewegung und also Veränderung. Die Frage, ob diese massiven Betonfertigteile als bloß vorgehängtes Design nicht allzugroßer Luxus seien, beantworteten die Architekten mit dem Verweis auf unterdurchschnittliche Erstellungskosten des Fassadenquadratmeters.

Ursprünglich war in dem Turm vom Mieter Total noch eine Tankstelle vorgesehen, Sicherheitsaspekte allerdings haben dieses Detail schnell wieder vom Planertisch verschwinden lassen. Damit stehen knapp 18000 m² BGF für Büronutzung zur Verfügung, der Blick aus dem 16. OG (und sicher auch aus den darunterliegenden oberen Geschossen) ist einmalig und vor allem: noch zu haben! Dass Barkow Leibinger mit ihrem steinernden Betonturm mit viel Glas (40/60) ein feiner Spagat in der Berliner Debatte über Rückschritt und Fortschritt, steinern und gläsern, gelungen ist, kann der bereits nachvollziehen, der mit dem Zug in den Hauptbahnhof einläuft; so lange zumindest, bis der dem Bahnhof nächst geplante Turm gebaut ist. Be. K.

"Tour Total", Daten

Programm: Lobby, Büros, Konferenz- und Seminarräume, Tiefgarage

Bauherr:CA Immo Deutschland GmbH

Ort: Berlin, Deutschland

Größe:28.000 m² gesamt / 18.000 m² oberirdisch

Bauzei:t 07 | 2010 – 09 | 2012

Architekten: Barkow Leibinger, Berlin

Mitarbeiter Machbarkeitsstudie: Martina Bauer, Michael Bölling, Hans-Georg Bauer, Patrick Delahoy, Hiroki Nakamura, Nora Peyer, Katrin Voermanek, Gabriel Warshawsky

Mitarbeiter Entwurf und Ausführung:Klaus Reintjes (Projektleitung), Hans-Georg Bauer, Andreas Lang, Christina Möller, Ruwen Rimpau, Tobias Wenz

Modelle: Jens Weßel, Derek Bangle, Werk 5, Berlin

Projektmanagement:omniCon Gesellschaft für innovatives Bauen mbH, Bereich Berlin

Statik:GuD Planungsgesellschaft Ingenieurbau mbH, Berlin

Haustechnik:Fürstenau & Partner Ingenieurgesellschaft mbH, Berlin

Energiedesign: energydesign braunschweig GmbH, Braunschweig

Nachhaltigkeitsberatung:Drees & Sommer, Berlin

Brandschutz:hhp Berlin Ingenieure für Brandschutz, Berlin

Bauphysik Schallschutz/ Akustik: BBM Müller-BBM, Berlin

Fassadenberater:Priedemann Fassadenberatung GmbH, Großbeeren/ Berlin

Betonfertigteile:Dreßler Bau GmbH, Stockstadt

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