Wer macht uns das Alphatier?

Gütersloher Projekt wohn.bau.kultur versucht neue Wege bei der Planung und der Gestaltung

In vielen deutschen Städten gibt es die Vorzeigeprojekte, anhand derer die Planer jedem erklären können, wie Wohnbau mit  Kultur anzureichern ist; leider sind das immer nur Einzelmaßnahmen, man könnte auch schreiben, architektonische Feigenblätter. Aber geht es ohne Zielvorgaben, ohne Vorbilder überhaupt?

Auf einer Abendveranstaltung im ostwestfälischen Gütersloh, das gerade mit einem Theaterneubau architektonisch von sich reden macht, machten sechs Fachreferenten auf der Abschlusspräsentation von „Wohn.bau.kultur“ Vorbilder aus: in einer Siedlung an der Fritz-Blank-Straße etwa. Vor allem aber sprachen sie den Gütersloher und Rheda-Wiedenbrücker Städteplanern Michael Zirbel und Matthias Abel Lob aus für ein Pilotprojekt, mit dem beide Kommunen in Zukunft Qualitätssicherung bei der Wohngebietsplanung betreiben wollen.

„Wohn.bau.kultur“ heißt das vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung geförderte Pilotprojekt der Städte Rheda-Wiedenbrück und Gütersloh, das nun in seine praktische Phase geht. „Strategien für Ostwestfalen-Lippe“ ist die komprimierte Zusammenfassung einer Dokumentation überschrieben, die als eine Art kleiner Leitfaden für alle am Planungsprozess Beteiligten verstanden werden kann. Sie orientiert sich an zwei Kernfragen, die auch die höchst lebendige und auch für Laien verständliche Expertendiskussion in der Volksbank bestimmten: Was macht Wohnbau-Kultur aus und wie gelant man dorthin?

Das Feld ist weit und die Ansprüche vielfältig, meinte Prof. Dr. Martin Wentz, Frankfurt/Main, und benennt eine Reihe von Faktoren, die entscheidend sind für eine gelungene Planung: räumliche Strategien, die Schaffung von „Teilquartieren“, „Nachbarschaften zum Bestand“, aber auch Klimaschutzziele und eine individuelle Vermarktungsstrategie. „Die Vorgaben des Bebauungsplans reichen nicht aus,“  plädiert Prof. Christa Reicher (Fakultät Raumplanung an der TU Dortmund) für die Durchführung von Gestaltungswettbewerben. Anhand einer Auswahl von aus seiner Sicht gelungenen Projekten machte Prof. Carsten Lorenzen (TU Dresden, Fakultät Architektur) seine Sicht auf das Thema fest: „Leben bei Hofe“ heißt das Wohnprojekt auf dem Gelände einer ehemaligen Kondomfabrik in Hamburg: Höfe, Häuser, Nachbarschaften, Dachterrassen, Eigentumswohnungen und Reihenhäuser in verschiedenen Größen entstanden aus einem überschaubaren Grundmuster und erlauben immer wieder neue Gestaltungsvarianten.

Michael Zirbel, Leiter des Fachbereichs Planung bei der Stadt Gütersloh, beschreibt anhand eines historischen Beispiels, „dass guter Städtebau nicht nur etwas für die Sinne, sondern auch ein handfestes wirtschaftliches Argument ist.“ Die bekannte Berliner „Hufeisensiedlung“, ein Entwurf Bruno Tauts für Berlin-Britz (1925-33), kennt in der Planung zwei Haustypen, aus denen 472 Einfamilienhäuser und rund 2000 Wohnungen geschaffen wurden. „Ein kluger und feinsinniger Rhythmus von Achsen und Plätzen, Materialien und Farben machen dieses Gebäude zum Kunstwerk,“ schwärmt Zirbel. Seit 2008 ist es Weltkulturerbe der Unesco.

Nicht sonderlich überraschte, dass in der Diskussion darüber, wie Wohnbaukultur geschaffen werden könne, einstimmig die konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten betont wurde. Allerdings sollten die Beiträge der Planer, der Investoren, der Bauherren und Architekten und natürlich auch die der Verantwortlichen für Grün und Infrastruktur so moderiert werden, dass eine Linie erkennbar werde: „Wir brauchen ein Alphatier im kreativen Prozess", fasste Prof. Elke Pahl-Weber, als Leiterin des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung und eine jedem offenbar fachkundige Moderatorin die Meinungen zusammen. Und: Man solle auch einmal von dem Diktum Abschied nehmen, alles Bauen sei für die Ewigkeit. Denn nicht nur das Schöne, auch die Bausünde verlange dann ja nach zeitloser Dauer.

Internet: www.stadtplanung.guetersloh.de

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