Stabi eröffnet

Die Staatsbibliothek Unter den Linden, ein Umbau von HG Merz, wird in ihrem ersten BA den Lesernutzern übergeben

Als die Staatsbibliothek Unter den Linden im Jahr 1914 eröffnete, drei Monate vor dem Weltkrieg auslösenden Attentat von Sarajevo, war sie die größte Bibliothek der Welt. An Vorbildern in London und Washington orientiert, bot der auf Repräsentation zielende Entwurf des Hofbaurates Ernst von Ihne Buchlagerkapazitäten von rund 3 Millionen Bänden. Im Weltkrieg 1939-45 durch Bombentreffer im Herzen zerstört - der zentrale Kuppellesesaal mit 34 m Höhe und einem Durchmesser von 43 m war dem Erdboden gleich gemacht – wurde nach dem Krieg wiederhergestellt, der Kuppellesesaal jedoch blieb als Ruine im Zentrum des Gebäudes stehen.

Im April 1977 begann der Abbruch des Kuppellesesaals und des angrenzenden Lesesaals, zehn Jahre später werden auf dieser Leerstelle vier Magazintürme mit einer Kapazität von 2,2 Millionen Bänden übergeben. Von Anbeginn an waren diese massiven Bauten wegen der unzureichenden Anbindung an die anliegenden Bauten, der mangelhafte Klimatisierung und des Fehlens einer modernen Buchtransportanlage problematisches Provisorium.

Nach der Wiedervereinigung 1990 werden zwei Jahre später auch die beiden bis dahin selbständigen wissenschaftlichen Universalbibliotheken in Ost- und West-Berlin mit jeweils vollem Funktionsumfang – in Erwerbung, Erschließung, Benutzung und einiger in die Gesamtbibliothek eingebundener Sonderabteilungen – institutionell zusammengeführt. Für das Haus Unter den Linden waren tiefgreifende Entscheidungen zu treffen, die im Dezember 1998 durch den Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz fielen. Man beschloss die Konzeption „Eine Bibliothek in zwei Häusern“. Das bedeutete, dass man der Bibliothek Unter den Linden 8 ihre volle Funktionsfähigkeit zurück gab. Das sollte errreicht werden, indem die Altbausubstanz des Gebäudes saniert und instand gesetzt und der Bestand durch Neubauten – zentraler Lesesaal, Rara-Lesesaal, Tresormagazine, Ausstellungsbereiche – funktional und architektonisch ergänzt wird.

Schon ein Jahr später, 1999, beauftragte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz das Bundesamt für Bauordnung und Raumwesen (BBR) mit der Auslobung eines Architekturwettbewerbes für den Neubau eines zentralen Lesesaals und weiterer Bereiche sowie die Grundinstandsetzung des Hauses Unter den Linden. In einem vorgeschalteten Bewerbungsverfahren werden unter 146 Bewerbern 15 Architekturbüros ausgewählt, von denen sich 14 am Wettbewerb beteiligen. Gewonnen hat den schließlich im März 2000 das Büro HG Merz, Stuttgart/Berlin.

Nach Abriss der Magazintürme (bis 2004) konnte 2006 der Grundstein gelegt werden, im Dezember 2012 wurde der Schlüssel für Neubauten und den sanierten Altbau übergeben, jetzt, im März 2013 können erste Nutzer die Bibliothek für ihre Forschungs- und Lesearbeit beanspruchen. Allerdings: Der Eingang zum Allgemeinen Lesesaal liegt so lange noch auf der Nordseite des Komplexes (Dorotheenstraße 27), bis der 2. BA ca. 2016 beendet ist und die historische Haupterschließung von Unter den Linden erfolgt.

Der Entwurf von HG Merz folgt, um bei Letzterem anzuschließen, dem zentralen Gedanken von Ihnes, den im hinteren Drittel des 170 m lang sich erstreckenden Gebäudeensembles platzierten Lesesaal über eine monumentale, axial angelegte Treppenlandschaft zu erschließen. Durch die Arkaden, über den Ehrenhof, eine erste Treppe in der riesigen Eingangshalle hinauf auf die Hauptverteilerebene und noch einmal hinauf in den Allgemeinen Lesesaal. Oder an dieser Treppe vorbei in den Rara-Lesesaal.

Der Hauptlesesaal, dessen Glashaube sich 36 m über Bodenniveau erhebt (lichte Höhe innen: 18 m) bietet 265 Arbeitsplätze in unmittelbarer Nähe von zunächst 130.00 Bänden Freihandliteratur (in nächster Zukunft 290.000 Bände). Inhaltlich ist dieser Lesesaal darauf ausgerichtet, Forschungen aller Wissenschaftsgebiete zu unterstützen, die sich Fragen der Vormoderne bis zum Wechsel 19./20. Jahrhundert widmen. Die Oberflächen des Allgemeinen Lesesaals, also die der Regale, Tresen, Tische sowie der Brüstung der Haupt- und Nebentreppen bestehen aus Alpi-Furnier, ein aus verschieden gefärbten Pappelholzlagen zusammengefügtes Furnier. Dessen bunte Streifigkeit erinnert von Nahem an das Strichcode-Motiv, das Ortner & Ortner in dem Bibliotheksbau in Dresden umgesetzt haben; im Überblick ergibt sich ein rötlicher Holzton, der mit dem orangefarbenen Teppichboden korrespondiert.

Die Holzoberflächen in den Freihandmagazinen sind weiß, wie ebenso die Möbel der Bücherausgabe, des Copyshops und der Techniktheken im Rara-Lesesaal. Diese bestehen allerdings aus strahlend weißem Corian.

Wer nach dem Hinaufschreiten über die schöne weil schlicht gradlinig gebaute Treppe zum Allgemeinen Lesesaal hinaufkommt, vielleicht auch angezogen von der unter der Decke schwebenden, knapp 7 m langen Skulptur „Noch Fragen?“ von Olaf Metzel aus beidseitig bedruckten Aluminiumplatten, ist vielleicht enttäuscht von der Nüchternheit des zwar irgendwie feierlichen, doch zugleich auch banal leuchtenden Raumes. Hier wirkt vor allem das Licht nivellierend, es gibt kaum Tiefe, der Raum erscheint trotz seiner Größe eigenartig flach und dimensionslos. Die schönen Treppeneinbauten in die Regale, die in den ersten Entwürfen noch vor und eben nicht zwischen die Wände aus Büchern platziert worden waren, können ihre Wirkung allein in den schmalen Räumen entfalten, die vor allem wegen der nicht ausmessbaren Höhe darüber ihre Wirkung entfalten.

Die Forscherarbeitsplätze auf den Galerien sind zweckmäßig, teils durch ihre Platzierung gegen die Wand (Rücken zum großen Raum) zwar der Konzentration förderlich, doch irgendwie auch zu dämmrig, als dass man hier länger bei Kunstlicht arbeiten wollte. Die Carrels auf den Stirnseiten dürften schnell vergeben sein, von hier bietet sich der beste Blick über das Raumgeschehen.

Von hier aus kommt man auch an die Glasoberflächen, die der Architekt über eine aufwändige Wärmebehandlung (bei 635 Grad C unter Druck verformt) gestalten : Dellen und Hügel machen das Spiegelbild bewegt, lösen die Härte der Glasoberfläche zu textiler Struktur hin auf. Das Textile wird insofern noch weitergeschrieben, als zwischen der Doppelverglasung teflonbeschichtete, nicht brennbare, bedruckte Kunststoffgewebe liegen, die einen automatisch geregelten Sonnenschutz und einen individuell zu regelnden Blendschutz bieten.

Wer gleich in den Rara-Saal am Foyer mit der Treppe, dem Online-Katalog, den Sitzgelegenheiten und dem Kopierservice vorbei weiter geht, erkennt gleich den kleineren Bruder des großen Saals an der Wahl der Farben, den klar geschnittenen Raumöffnungen, dem Regalsystem, den Arbeitsplätzen. Allerdings fehlt hier die Glashülle oben, die ist ersetzt durch eine Kissenleuchtenlandschaft (Kress & Adams), deren Einzelstücke auf im Altbau ihren Platz in den Treppenhäusern gefunden haben. Wirklich wunderbar gemacht sind die hier „Logen“ genannten Abseiten, die im Übergang von Neueinbau zu Bestand mittels der dort noch vorhandenen, klassisch aufgebauten Säulen mit schön geschnitztem Architrav zeigen.

Neben den beiden fertiggestellen Lesesälen werden bis zum Abschluss des 2. BA fünf weitere Säle im Altbau entstehen: ein Handschriften-Lesesaal, ein Karten-Lesesaal, der Musik-Lesesaal, ein Zeitungs-Lesesaal sowie der für Kinder- und Jugendbuch. Zum Abschluss aller Bauarbeiten wird ein Bibliotehksmuseum dort eingerichtet, wo man in den kommenden Jahren die Stabi insgesamt betritt (farblich mit giftigem Gelb auf Wänden, Decken und Böden als Provisorium gekennzeichnet).

Nicht zuletzt sollte der sanierten Altbau erwähnt werden, dessen oberste sieben (von insgesamt 13) Geschosse als Büchermagazin dienen (für insgesamt rund 3 Millionen Bücher der insgesamt 11 Millionen des Bestandes). Hier kommt das in Stahl ausgeführte Lipman-Regalsystem zu Zuge, das aufwändig saniert wurde. Es durchzieht den gesamten oberen Teil des Gebäudes und erfüllte von Anfang an die Funktion eines statischen Elements: In die Stahlbaukonstruktion sind Zement-Blechplatten als Geschossdecken eingezogen, die in der Gesamtkonstruktion neben der Last der Bücher auch die Fassaden und das Dach trägt.

Die über 1200 Altbau-Fenster verschiedenen Typs und unterschiedlicher Funktionen (Büro, Magazin, Lesesäle, Treppenhaus, Flure etc.) sind im Aufbau stets zweischalig und luftdicht. Die größten Fenster mit Rundbögen messen 3 m x 6,50 m, in diese sind Sicherheitstechnik und Rauchabzugsanlagen, Sonnen- und Blendschutz integriert.

 

Dass HG Merz sich 2011 aus dem Bauprojekt zurückgezogen hatte, wurde damals mit der Überlastung des Büros durch die Übernahme der Sanierung der Staatsoper gleich gegenüber begründet. Auch hier wurde entkernt und wird Neues implantiert, fertig werden soll der Bau im Herbst 2014. Dann hat das Büro aus Berlin zwei Baustellen gemanagt, die zusammen rund 650 Millionen Euro gekostet haben (406 Millionen Euro Bibliothek, 250 Millionen Euro Oper); da kann man ruhig einmal eine Pause machen! Be. K.

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