Selten war Kunst so leicht

Deutlicher Schwerpunkt auf der 12. Architekturbiennale ist der von Kazuyo Sejima kuratierte Ausstellungsbereich der Arsenale

Eigentlich fahren wir am Wochenende ja nur wegen der Architektur in die Museen der Welt. Nicht das, was die Bauten uns an Kunst bieten macht sie für viele interessant, sondern das, was sie in ihrem behaupteten Wesen ausmacht: Form, Material, Räume, Aus- und Durchsichten, Schwebezustände und Sturzszenarien. Und natürlich am Ende der Bookshop mit der anschließenden Cafeteria. Was bedauerlich ist und ein Irrtum, der resultiert aus der beruflichen Fokussierung auf das Gebaute, aber auch resultiert aus der Wahrnehmung des Künstlerischen insgesamt, das mehr und mehr dekorative, allenfalls noch „anregende“ Funktion haben soll.

So erscheint es vielen Biennale Besuchern beinahe schon störend – und sie schauen verstört –, dass auf der 12. Architekturbiennale eine Architekturschau präsentiert wird, die gewaltig künstlerisch unterwandert scheint.

Los geht das bereits zu Beginn mit einer Installation der Chilenen Smiljan Radic und Marcela Correa („The Boy hidden in a Fish“). Die haben in die Eingangshalle einen mächtigen Granitblock gestellt, der, wie ein Apfel von seinem Kerngehäuse getrennt, durchbrochen ist und in diese Bresche hinein eine Kiste aus Zedernholz geschoben wurde. Wer möchte, kann sich dort drinnen lang machen und eventuell etwas davon ahnen, wie es sich anfühlen könnte, verschüttet zu sein. Auf diesen Erfahrungsraum folgt ein quergerichteter Kinosaal, in welchem Wim Wenders seinen Film über das Learning Center in Lausanne zeigt, einem zu Recht bewunderten Neubau aus dem Büro SANAA, in welchem die Biennale-Kuratorin mit Ryue Nishizawa Partnerin ist. Die in 3-D-Technologie gedrehte Mystifizierung des Bauwerks erhält lediglich durch die Sequenz eine fast schon ironische Brechung, in welcher die beiden Partner auf Elektrostehrollern über die Außenlandschaft ihres Baus kurven, kindliches Lachen bei Sejima, japanisch ernste Konzentration bei Nishizawa im Gesicht.


Es folgt im Halbdunkel und effektvoll angeleuchtet ein mächtiger Damm aus zwei sich kreuzend geschichteten Doppel-T-Trägern aus Beton, 1:1-Nachbildungen der Hauptträger des Hemeroscopium, eines extravaganten wie genialen Wohnhauses von Antón Garcia Abril und Ensamble Studio.


Ein paar Räume weiter zeigen Transsolar & Tetsuo Kondo Architects mit „Cloudscapes“ wie eine künstliche Wolke Klimazonen in der Vertikalen schafft. Studio Mumbai Architects stellen ihr Atelier aus, inszenieren ihre Holz-, Kupfermodelle -details wie sie in einer zugestaubten Wunderkammer des 18. Jahrhunderts liegen könnten und die die Archäologen von heute per Zufall in Venedig geöffnet haben. Es folgen R&Sie(n) mit „The buildingwhichneverdies“, dann eine Sammlung von Interviews, die der Interview-Marathon-Weltmeister und Erfinder dieser Disziplin überhaupt, Hans Ulrich Obrist, mit den Protagonisten-Architekten auf der Biennale geführt hat und führen wird. Hier muss man viel Zeit mitbringen, aber jedes der (bereits angehörten) Interviews – anzuschauen/anzuhören auf im Raum verteilten Monitoren – verspricht zum Mindesten gute Unterhaltung. Es folgt der auf großen Architektur- und Kunstveranstaltungen unvermeidliche Olafur Eliasson (in Venedig mit vier Arbeiten), der hier in von Stroboskoplicht erhellter Finsternis Wasserschläuche tanzen und Wasser spritzen lässt; Raumererweiterungserfahrungen, drogenfrei zu erleben.


Gleichsam die Gegenklammer zu Garcia Abril ist der Schweizer Valerio Olgiati, hier mit seinem "Perm Museum XXI", das er mit dem Originalmodell in der zeitgenössischen Rezeption gleichsam zitiert. Und hinter Toyo Itos Opernhaus in Taichung (Taiwan), das sich in den letzten Zügen seiner Bauphase befindet, klingt Janet Cardiffs  „40 Parts Motet“ auf, spiritiuelle Motettenmusik, transformiert aus einem Choral von Thomas Tallis aus dem 16. Jahrhundert in die Anfänge des 21. Jahrhunderts. Hier kann man lange sitzen und sich der Musik aus dem 40teiligen Lautsprecherrund hingeben. Und wer die lange Pause zwischen Ende und Neustart der Aufführung nutzt, und sich direkt vor die Boxen stellt, kann die Gespräche der Chormitglieder belauschen, so, als wäre man mitten unter ihnen.

Bei Janet Cardiff scheint die Ausstellung zu enden, der Weg führt aus der Corderie hinaus ins Helle und um ein paar Ecken wieder hinein in die „unterpriviligierten“ Nationenpräsentationen außerhalb der Giardini. Dass man hier einen Beitrag (Königreich Bahrain) findet, der der Biennale-Jury den Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag wert war, ist aus der Rückschau nachvollziehbar, die Beiträge in den „priviligierten“ Gartenpavillions sind sämtlich zu leicht, zu sehr Event, wenig konkret engagiert, und schon kaum noch relevant für den dahindümpelnden internationalen Architekturdiskurs. „Rückgewinnung“ lautet das Motto der Bahrainer, und es wird mit drei simplen Holzhütten symbolisiert, ehemalige Fischerhäuser, die längst die Wasserfront aus den Augen verloren haben, also überflüssig geworden sind (und darum auch nach Venedig reisen konnten).

Von den Arsenale aus schließt sich der Gang in die Gärten an, dort, wo die Nationen der Welt (ein paar davon, die „priviligierten“ eben) ihren Blick auf Architektur präsentieren; zumeist mit den Geldern der Kultur- oder Wirtschafts- oder Bau- oder Tourismusministerien im Rücken. Ein Muss ist hier der – wie schon die Arsenale-Ausstellung – von Sejima kuratierte Italienische Pavillon, der längst seine Nationenpräsentation in Richtung Arsenale abgegeben hat. Hier hat Sejima Christian Kerez eingeladen, Tom Sachs, Caruso St. John mit Thomas Demand, das Studio Andrea Branzi, Atelier Bow-Wow, die Erben von Lina Bo Bardi oder Cedric Price, Aires Mateus e associados, OpenSimSim oder ARU/Architecture Research Unit und manche andere mehr. Ja, Rem Koolhaas mit OMA ist mitten dabei, und sein von Kollegen zu Recht gepriesener Beitrag thematisiert den Umgang mit geschützter Architektur, mit Nöten und Risiken von Abriss und Erhaltung; und wie so oft bei Koolhaas, der für sein Lebenswerk den Goldenen Löwen erhalten hat, fragt man sich, wie hier Theorie und Realität zusammengehen. Schließlich kann man dem materialisierten Werk des Niederländers nicht gerade Nachhaltigkeit zuschreiben.


Und das Motto? Hielt sich einer dran? Keiner und alle, denn „people meet in architecture“ ist alles und nichts, ist SANAA und OMA, Transsolar und Walverwandtschaft, Motettenchor und Villa Frankenstein. Die Architekturbiennale 2010 erscheint also dort am stärksten, wo sie problemorientiert ist (Bahrain), dort am schwächsten, wo sie schlicht ausstellt (Frankreich, Österreich etc.). Aber am schönsten ist sie, wo Architektur und Kunst, wo Einfachheit und Distinktion zusammengehen: So muss man wohl die „architecture as air: study for château la coste“ von 2010 ansehen. Die nicht bloß filigrane Arbeit des japanischen Büros junya.ishigami+associates ist ein Versuch, Architektur bis kurz vor seine Auflösung zu reduzieren. Das Ergebnis könnte ganz schlicht die Essenz von Gebautem sein; oder, wie in Venedig, ein äußerst fragiles Kunstwerk, das, wie geschehen, auch einstürzen und also scheitern kann. Seine Delikatesse wie auch die ihm inneliegende Ambivalenz – da Architekturkonstrukt, dort Kunstwerk – hat ihm den Goldenen Löwen als bestes Projekt beschert; mit Blick auf die Mitbewerber ganz zu Recht.

Das ist in jedem Fall die Stärke dieser Architekturausstellung: Sich der streng kuratierenden Hand einer Architektin ausgeliefert zu haben, die wegen ihres singulären Werkes Kultstatus genießt und deren Blick auf die Hochkultur des Bauens immer auch die Kunst in den Fokus genommen hat. So künstlerisch unterwandert kann die Biennale 2010 einen Maßstab liefern für die Folgeschauen. Be. K.

Allgemeine Informationen zur 12. Architektur-Biennale in Venedig hier.

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