Schierer Luxus

Eine bezahlte Kutschenvorfahrt hat Vorfahrt vor dem ganzen Potsdamer Schloss

Am 31. März wurde es öffentlich, am 1. April schrieben die Zeitungen darüber; Grund genug, diesen Meldungen erstmal zu misstrauen. Denn zu kurios erschien deren Inhalt, kurios genug, für einen Aprilscherz gehalten zu werden. Inzwischen haben die offiziellen Stellen bestätigt: Die rekonstruierte Schlossfassung in Potsdam wird ein wenig kleiner als das Original. Nicht, weil das Geld nicht reichen würde, einfach, weil die Neuplanung von Straßenverläufen und ihre Realsierung zwecks Schlossneubau 2008 den Originalbau nicht in Gänze zulassen. Damals war man noch von einem Schloss ohne Kutschenvorfahrt ausgegangen. Die allerdings ist unverzichtbares Teil des historisierenden Kleidchens, welches der Hauptsponsor, Hasso Plattner, dem Neubau mittels Millionenspende (20 Mio. €) verordnete.

Ein Rückbau der Millioneninvestition in den Straßenbau ist ausgeschlossen, also wird das Schloss an der westlichen Seite um 50 cm und an der östlichen Seite um 90 cm gekürzt; nicht viel, könnte man meinen, doch die Kürzung verhindert die ehemals wohlproportionierten Übergänge in der Fassadenabwicklung. Was aber kein Problem ist, denn „an der Gesamtwirkung werden die Änderungen wenig ändern, solche Details fallen nur Experten auf“ (Oberbürgermeister Jann Jakobs). Der Architekt des Neubaus, der dem Landtag in Brandenburg (und später einmal Berlin-Brandenburg?!) die Räume geben soll, die einem Parlament aus Parlamentariersicht würdig seien (nämlich (kur)fürstlich), gibt sich gelassen resigniert, Peter Kulka stiehlt sich aus der Verantwortung, bezeichnet sich als Subunternehmer, der hier nur einen Auftrag auszuführen habe.

Die Entscheidung der Schlosskürzung fiel im Finanzministerium des Landes, das hier äußerst pragmatisch das Für und Wider abwog; eine Haltung, die das Bundesbauministerium beim doppelt so großen aber wenigstens vier mal so teuren Humboldt-Forum genannten Stadtschloss in der eigentlichen Hauptstadt nebenan vor Wochen schon zum Ausdruck gebracht hatte. In Berlin allerdings ist ein Hauptsponsor noch nicht aufgetreten, bezahlen werden die Schlosswiedergeburt die Bundesbürger; einmal über Zwangsabgaben, dann noch über freiwillig gegebene Spenden.

Dass die Dimensionenschrumpfung nun den Bürgerverein Mitteschön e. V. aufschreien lässt, ist nicht überraschend. Hat man allerdings das dereinst in der schönen Mitte wiederauferstande Schlossparlament vor Augen, muss dieser Aufschrei lächerlich wirken; Authentizität war niemals das Thema der Schlossreanimierung. Und auch nicht das des Vereins, der sich nicht für Erhalt, sondern für Nachempfinden stark macht. Die Kutschenvorfahrt steht damit paradigmatisch für das Zwanghafte in der aktuellen deutschen Rekonstruktionssehnsucht. Das, was wir nicht brauchen, bestimmt ab sofort das, was für essentiell für eine heimatliche Orientierung behauptet wird; schierer Luxus. Be. K.

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