Sauna in der Wildnis

In Bochum haben modulorbeat, Münster, eine Skulptur in die Wildnis gestellt; ein Besuch dorten ist dringend empfohlen

Nur noch wenige Tage steht die One Man Sauna im Nirgendwo von Bochum, dann wird der Turm auf dem ehemaligen Gelände von Krupp abgebaut. Auseinandergenommen. In seine Einzelteile zerlegt und vielleicht an einem anderen Ort wiederaufgebaut. Vielleicht wird die Skulptur mit Mehrwert verkauft, vielleicht aber kommen ihre Teile auch wieder dorthin, wo sie herkamen: Vom Bauhof einer Firma, die Betonfertigteile herstellt. Für Versorgungsschächte.

Dass einem bei dem Wort „Schächte“ natürlich gleich der Ruhrpott in den Sinn kommt, ist allerdings nicht im Sinne von „modulorbeat“, Münster, die diese Skulptur nicht als Architekten, sondern als Künstler verantworten. Im größeren, einjährigen und internationalen Stadt- und Kunstfestival in Bochum, dem Detroit-Projekt. „This is not Detroit“ wurde es überschrieben, ein Projekt von Schauspielhaus Bochum und Urbane Künste Ruhr, das Fragen stellt und Antworten sucht zur Zukunft der Stadt, der Arbeit und (natürlich!) der Kunst.

„This is not Detroit“ reagiert auf die Absage von General Motors an die Opel-Stadt, hier sollen bis Ende 2014 die Produktion und Lagerstätten geschlossen werden. Knappe 4000 Arbeitsplätze gehen damit verloren, sehr viel für eine Region, in der die Arbeitslosenquote im Mai 2014 bei 11,2 Prozent liegt (Bundesdurchschnitt 6,6 Prozent). Aber es ist nicht bloß die deprimierende Aussicht auf dem Arbeitsmarkt, mit der Schließung des Werkes verlieren Generationen Orientierung, Identifikation, Wurzelwerk. Was jetzt?

„modulorbeat“ reagieren mit Härte und dem Angebot von Rückzug. In die Wildnis der Stadt, auf die alten Industrieflächen, die mehr und mehr von Sukzession überdeckt und unkenntlich gemacht wird. Hier, ganz in der Nähe des noch im Betrieb befindlichen Reinhold Mendritzki Kaltwalzwerk und ThyssenKrupp Weichenbau, in Weitwurfweite des legendären Stahlhausen und gar nicht so weit weg vom Zentrum, nach einem Fußmarsch über Sand- und Kieswege steht der aus Betonfertigteilen gefügte Turm, der nur nach Anmeldung als Sauna benutzt werden kann. Kostenlos, für je eine Stunde. Und eigentlich allein (Noch bis zum 5. Juli 2014, Fr, Sa & So, 16-21 Uhr, kostenlos, Anmeldung )

Unten ein Tauchbecken auf Erdgeschossniveau, darüber die Sauna, darüber der Ruheraum, der eine Holzliege und den Blick in den Himmel bietet. Da die Betonrahmen auf Kunststoffklötzen in den Ecken aufgelagert liegen – an den Ecken sind die Elemente auch mittels Stahlbolzen gegen ein (allerdings kaum denkbares) Verschieben gesichtert – hat der Saunanutzer hier die Möglichkeit, nach draußen zu schauen. Wie die Passanten, jedenfalls auf Tauchbeckenhöhe, nach drinnen.

Der Turm, so Jan Kampshoff bei einem Treffen vor Ort, sei keine reine Vernügungs- und Erholungsstätte. Er selbst habe hier Erfahrungen gemacht, die jenseits eines üblichen Saunabesuchs liegen. Das Eingeschlossensein in dem vertikalen Volumen mit seinen sehr begrenzten Ausblicken in den Außenraum einerseits, wie das Ausgesetztsein andererseits – Geräusche wie Gespräche, Hundegebell, Automotoren etc. dringen hier mit Leichtigkeit ein, auch wenn die wehrhaft verschlossen wirkende Skulptur das zunächst nicht nahelegt – machen einen Besuch zu einem durchaus existentiellen Erlebnis. Und wohl wird nur der so richtig entspannen können, dem das, was draußen um ihn herum geschieht, ziemlich gleich und gültig ist.

Der Turm an diesem Ort, an den Abends und Nachts auch ein Wachdienst nicht gerne geht, soll irritieren, er soll aber auch eine andere Sicht provozieren. Und damit, indem diese neue, andere Sicht probiert wird, vielleicht der Stanpunkt gewonnen wird, der einem einen anderen Blick auf das ermöglicht, was jetzt noch so hoffungslos erscheint: die Zeit nach Opel ist, wenn sie nur als eine „Opelzeit“ gesehen wird, eine im wahrsten Sinne des Wortes verlorene Zeit.

Wer das alles erleben möchte: Bis zum 5. Juli hat die Sauna noch geöffnet und der Autor hofft, sie werde einen Sponsoren/Käufer finden. Der allerdings benötigt dann auch diesen ganz speziellen Ort. In einem gepflegten, geschützten Park wäre der Turm bloß ein schickes Möbel, trotz aller Härte. Be. K.

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