Mallification

Einkaufszentren erleben in Deutschland einen Aufschwung – und das ist nicht gut

In den USA zerfallen sie, die Malls – die großen Einkaufszentren. Katja Kullmann, Autorin des Buches „Rasende Ruinen“, spricht gar von einem Ruinenporno. Von den 1 500 Malls, die es in den USA gibt, könnten bis 2020 die Hälfte geschlossen werden. Ganz anders in Deutschland: Hier erlebt das Einkaufszentrum eine Renaissance. Ein kurzer Blick in die Zentren der deutschen Städte bestätigt das. In Stuttgart eröffneten letztes Jahr im September innerhalb weniger Wochen zwei große Einkaufszentren in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt – das Milaneo und das Gerber-Viertel. In Berlin, ebenfalls zur selben Zeit, eröffnete das Einkaufszentrum The Mall of Berlin. In Neu-Ulm eröffnete Ende März 2015 – mit einer Eröffnungs-Gala „Night of the Mall“ – die Glacis-Galerie. Was gibt es zu feiern, wenn an einem Tag die Einkaufsfläche einer Stadt um 27 000 m² verteilt auf über 90 Ladengeschäfte anwächst? Neue Kaufkraft? Ein neuer Anziehungspunkt für die Stadt, in der die Mall steht? Wohl kaum.

Denn gleichzeitig hat die Stadt auch mit den negativen Folgen der „Mallification“ – also der zunehmenden innerstädtischen Verdichtung durch Einkaufszentren – zu kämpfen, die gerne von Politikern und Entscheidungsträgern der Städte übersehen werden. Sie fügen sich mit ihren großen Quadratmeterzahlen nicht in den Maßstab einer europäischen Stadt. Die gewachsene Stadtstruktur wird ignoriert und mit ihr das Leben aus der Stadt verbannt. Denn Malls schaffen keine Urbanität. Im Gegenteil entziehen sie diese der Stadt. Da sie belebte Plätze vermeiden und somit die Aneignung durch Bürger verhindern. Aufenthaltsqualität sieht anders aus.

Dass sich dann nicht einmal die prognostizierte vermehrte Kaufkraft einstellen will, zeigt sich am Beispiel des Gerber-Viertels in Stuttgart. Knapp 3 Monate nach der Eröffnung, am 9. Januar 2015, titelte die Stuttgarter Zeitung „Erster Laden im Gerber gibt auf“. Nur drei Tage später folgte die nächste Geschäftsaufgabe. Grund: geringe Kundenfrequenz. Denn damit sich die Einkaufszentren in solcher Lage rentieren, „müssen Waren im Wert von 350 Mio. € zusätzlich verkauft werden“, steht am 9. Oktober 2014 in der FAZ. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass der Stuttgarter Einzelhandel im Jahr 110 Mio. € umsetzt, wie das Institut Prognos in einer Studie belegt. Das bedeutet, dass die Kaufkraft aus den umliegenden Städten Esslingen, Pforzheim, Ludwigsburg etc. abgezogen wird. Was wiederum zu einer prekären Situation für die umliegenden Städte führt. Ein Teufelskreislauf.

Dieses Beispiel ist kein Einzelfall in Deutschland. Investorenarchitektur boomt, ein Resultat der voranschreitenden Privatisierung der Städte. Insgesamt gab es 2014 460 Einkaufszentren, die mit über 250 000 m² Fläche so groß wie die Stadt Frankfurt a. M. sind. Und die Zahl wächst. Gleichzeitig wächst auch die Eintönigkeit der Innenstädte.

In der Innenstadt von Bielefeld beispielsweise stehen nun gleich zwei Großprojekte für dieses Jahr auf dem Plan der Stadtverwaltung. Zunächst wird die Marktpassage, danach die City-Passage modernisiert und erweitert, wie es in einem von der Stadt Bielefeld aufgelegten Papier zu „Investorenprojekte inBielefeld – Perspektiven des Einzelhandels in Ostwestfalen“ steht. Angestrebt ist die Marktpassage um 3 000 m² Verkaufsfläche zu erweitern. Die City Passage soll um 4 000 m² anwachsen, von ca. 40 auf 100 Ladengeschäfte. Innerhalb kürzester Zeit entstehen so in Bielefeld zwei Großbaustellen. Die beiden Passagen liegen einander gegenüber. Wie sich hier die Umsätze entwickeln, ist abzuwarten. Es ist dem mangelnden Einfallsreichtum der Stadtverwaltungen – in Bielefeld wie anderorts geschuldet –, dass die Innenstädte lediglich mit Konsum aufgewertet werden. Das soll eine Perspektive sein? Weder werden durch solche Projekte sinnvolle Perspektiven aufgezeigt, noch Möglichkeitsräume außerhalb einer Investorenarchitektur geschaffen.

Dabei gibt es auch andere Wege, als reine Konsumtempel mit gesichtslosen Fassaden zu bewilligen. Und somit die Kontrolle über den Stadtraum an Investoren abzugeben. In Stuttgart hat sich in der Calwer Passage, einer aufgegebenen Passage, das Fluxus etabliert. Eine temporäre Concept Mall, ins Leben gerufen von Hannes Steim. Zunächst auf drei Monate beschränkt, bleiben die Einzelhändler, kleine Unternehmen, Start-ups, Cafés und Bars noch bis zum Ende des Jahres 2015 in der Passage. Das Besondere einer Concept Mall ist, dass sich dort keine Ladenketten der üblichen Warenhäuser befinden. Es gibt sie also, zumindest temporär: Lösungen für einen anderen Umgang mit Leerstand. Bielefeld könnte davon lernen, temporär! Statt Leerstand könnten bezahlbare Flächen Einzelhändler anlocken, die aus der üblichen Masse der Warenhäuser herausstechen. Heterogenität statt Homogenität. In Stuttgart gibt es seitens des Betreibers, der Argon AG, bereits Überlegungen, ob Fluxus eine dauerhafte Lösung sein könnte. S.C.


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