Lastenhefte, Pflichtenhefte?

Der Audi Urban Future Award 2012 ist entschieden – für eine selbstmobile Zukunft

Ein „Lastenheft für die Städte der Zukunft“ nannte Rupert Stadler, Vorstandsvorsitzender der AUDI AG, den Entwurf von Höweler + Yoon Architecture, ihr BosWash Projekt. Letzteres wurde am 18. Oktober 2012 in Istanbul als Siegerprojekt des Audi Urban Future Award 2012 der Presse und über Live-Stream der vielleicht ebenfalls anwesenden Welt bekanntgegeben. Kein Lastenheft für die Automobile der Zukunft. Nein, die Audi-Inititative, die mit ihrem Urban Future Award 2012 dezidiert auf die Zukunft der (großen, der ganz großen) Stadt zielt, versteht sich als Labor für städtebauliche Angelegenheit, als feinsensorisch gestimmtes Meßinstrument mit praxisorientiertem Workshop-Charakter.

Anders als der Audi Urban Future Award 2010, in dem es eher um den freien Blick auf mögliche Mobilitätskonzepte in Megacities ging und der von einer eher düsteren Science-Fiction Vision Jürgen Mayer H.s gewonnen wurde, sollten beim diesjährigen Award die geladenen fünf Büros den Blick auf das Machbare nicht verlieren. Womit, das zeigte sich dann auch im Ergebnis, das Visionäre kaum eine Chance hatte; zum Beispiel ein Blick auf eine neue Gesellschaft, die mit einem Audi in erster Linie Geschichte, Designgeschichte assoziiert.

Ein Lastenheft für die Städte der Zukunft ist aus Jury-Sicht – und diese formulierte John Thackara, Designtheoretiker und Jury-Vorsitzender – der konkreteste Entwurf, der, wie bei Höweler + Yoon Architecture, zudem ein „hohes Potential zur Umsetzung“ biete. Er sei eine „fundierte Analyse des sozialen und ökonomischen Kontexts“ und beinhaltete „sowohl soziale als auch technische Innovation auf einem systemübergreifenden Level.“ Dass er außerdem mit seiner „architektonischen Qualität der Umsetzung“ beeindruckte, ist angesichts der hervorragend gemachten Visualisierungen verständlich.

Inhaltlich möchten Höweler + Yoon Architecture an den „American Dream“ ihrer Heimat anknüpfen, ein Mythos, der ein Einwandererland seit mehr als 200 zu einer Nation zusammengeschweisst hat, dessen Kraft jedoch angesicht außen- aber vorallem innenpolitischer Spannungen mehr und mehr seine Integrationskraft eingebüßt hat. Der also „New American Dream“ des Bostoner Büros möchte auf einem neuen gesellschaftlichen Konsens aufbauen: Wieder soll die Gemeinschaft im Mittelpunkt stehen (man möchte nicht von Volksgemeinschaft sprechen), doch sollen die ursprünglichen Tugenden der Notgemeinschaft damals in der Zwangsgemeinschaft heute erneuert werden: Teilen soll wichtiger werden als Besitz. Das klingt fast schon revolutionär, beinahe christlichmarxistisch. Doch das Teilen meint weniger ein kommunardes gesamtgesellschaftliches Projekt, sondern schlicht eine Art allumfassendes und in viele Aspekte verzweigtes Mobilitysharing. Es geht um die Neuorganisation und Bündelung sämtlicher Verkehrsträger in dem Großraum Boston/Washington zu einer „hoch-technisierten, optimierten und stetig fließenden Mobilitäts-Hauptschlagader“. Es geht um neue Hubs, es geht um das irgendwie noch daseiende Auto als ein irgendwie Interface. Und immer geht es um mobile Effizienz in einem urbanen Raum mit potenziell mehr als 53 Millionen Einwohnern.

Interessant an dieser Stelle, an welcher der Entwurf der US-Amerikaner so elegant und bodennah über eine zukünftig gedachte Metropolitanregion schwebt, die Bemerkung des Audi-Chefs zu diesem Entwurf; der nicht bloß als das schon angesprochene „visionäre Lastenheft für die Städte der Zukunft“ hinreichend ist, er ist, so Stadler, auch „eine konkrete Anleitung, wie man eine Metropol-Region planen oder umgestalten kann, um der Verdichtung zu begegnen.“ Der Verdichtung zu begegnen?? Ist es nicht gerade das Interesse von Groß- und Megastädten, Dichte zu erzeugen und zu leben? Allerdings: das Automobil der Vergangenheit und Gegenwart benötigt den Urban Sprawl wie der Fisch das Wasser. Horizontale Schichtung? Hochhäuser-Clusterbildung? NODE beispielsweise haben genau diese Verdichtung versucht, aber dem vertikal programmierten Verkehrsmittel Auto immerhin noch einen Raum gelassen: unten drunter allerdings, unter der Erde, unscheinbarer Teil einer größeren, alles umfassenden Infrastruktur.

Der Siegerentwurf soll jetzt weiterverfolgt werden, seinen Ansätzen und Hinweisen auf Zukunftsmöglichkeit nachgegangen werden. Was aber kann dabei heraus kommen, das mehr ist als ein Verkehrskonzept, das sich lediglich auf eine effizientere Abwicklung von Kommunikationswünschen und –pflichten erstreckt? Vor der Ausrichtung des Audi Urban Future Award 2014 in einem Stadtlabor wie vielleicht Pienza oder Wolfsburg oder Mannheim sollte die AG, aufbauend auf sämtlichen Award-Beiträgen und Symposien rund um das auch Spektakel Urban Future Award, ein Lastenheft für die automobile Verantwortung eines großen Konzern schreiben um dem schon vor 2014 entschiedenden dritten Award noch ein Pflichtenheft vorauszusetzen. Be. K.

Mit dem Siegerteam waren am in Deutschland mit 100000 Euro höchstdotierten Architekturpreis noch dabei:
- CRIT (Mumbai, Indien)
- NODE Architecture & Urbanism (Pearl River Delta, China)
- Superpool (Istanbul, Türkei) und der aktuell auf der Architekturbiennale erfolgreichen
- Urban-Think Tank (São Paulo, Brasilien).

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