Klein, aber fein. Über die Chancen der Baukultur in einer Mittelstadt

"Stadtgespräch Gütersloh" am 26.11.2013 ebenda

Mittelstädte - Die vergessenen Stadtformen: Mittelstädte sind das große unbekannte Wesen in der Stadtplanung. Die Großstädte sind es, die seit Jahrzehnten das wissenschaftliche Interesse bedienen. Georg Simmel hat mit seinem 1903 erschienenen Aufsehen erregenden Essay „Die Großstadt und das Geistesleben“ hier einen frühen Maßstab gesetzt. Auch die Dörfer sind erforscht und können als „volkskundliche Dorfforschung“ ebenfalls auf frühe Anfänge zurückblicken. Sie sind in teils romantischer Verklärung als Antwort auf die stürmische Entwicklung der Industriestädte des 19. Jahrhunderts zu sehen.
 
Die Mittelstadt dagegen ist offensichtlich die „terra incognita“ von Wissenschaft und allgemeiner Wahrnehmung. Zu Unrecht: Von den rund 12 000 Städten und Gemeinden in Deutschland haben nur 80 Städte mehr als Hunderttausend Einwohner: "…mit ihrem nach wie vor starken Fokus auf große Städte zeigt die Aufmerksamkeit für urbane Lebensformen eine eklatante Schieflage gegenüber der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Es ist kaum bewusst und wird selten diskutiert, dass es noch ganz andere Formen urbanen Lebens gibt und längst nicht alle Städter Großstädter sind." (Schmidt-Lauber)
 
Mittelstädte sind häufig genug von geringer Eigenidentität geprägt. Fehlende überregionale geschichtliche Bedeutung, das Fehlen bauhistorischer Substanz oder eine geringe zentrale Bedeutung für Kirche und Adel ließen nur schwer ein Stadtgefüge entstehen, das denen mit anderen Startchancen ebenbürtig ist.
 
Dennoch sind es wirtschaftlich und für ihre Region nicht immer unbedeutende Städte, die im Schatten der in den Großstädten und Metropolregionen geführten Diskussionen liegen. Nicht selten ist ein geradezu absurdes Missverhältnis zwischen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und dem Selbstverständnis der mittelgroßen Städte zu beobachten.
 
Die Mittelstädte als Orte der Baukultur
 
Eher unbemerkt spielt sich also ein großer Teil des Baugeschehens und damit ein großer Teil der Baukultur in den Mittelstädten ab. Für die Etablierung einer baukulturellen eigenen Identität bieten sie dabei gute Voraussetzungen. Mittelstädte haben allein aufgrund ihrer Größe Vorteile, die sie gegenüber den Großstädten und den Kleinstädten abgrenzen. Es sind die übersichtlichen Strukturen, die Entscheidungen beschleunigen können. Auch bieten sich über die enge Verwobenheit, über gemeinsame Mitgliedschaften oder über nachbarschaftliche und freundschaftliche Kontakte große Chancen.
 
Es ist wichtig, dass solche Städte einen eigenen Ehrgeiz entwickeln und ein eigenes Leitbild für eine baukulturelle Identität entwickeln. Es muss offensichtlich werden, dass Baukultur sich nicht nur in den großen Städten und Metropolen abspielt, sondern, dass Chancen – und auch die Verpflichtung, dies zu tun  – in den mittleren und kleineren Städten liegen.
 
 
Vor dem Hintergrund dieses Spannungsfeldes ist das Thema des Stadtgespräches zu sehen, das eine Fülle von Fragen mit sich bringt:
 
Bauen in der Mittelstadt – Bauen in der Provinz?
Baukultur in der Mittelstadt – Utopie und Realität?
Fehlen einer bauhistorischen Identität?
Fehlendes Leitbild – historisch bedingt?
Bürgerschaftliche Akzeptanz?
Fehlendes Publikum – fehlende öffentliche Publizität?
Baukultur – für wen?
Für die Provinz das „Schwarzbrot“, den „Paukenschlag“ für die Großstadt?

 
In einer Gesamtsicht soll das Stadtgespräch den Themenkreis Mittelstadt –Identität – Eigensicht – Leitbild - Baukultur abbilden und ein Plädoyer sein, für den Mut, Baukultur als untrennbaren Bestandteil einer eigenen Entwicklung zu fördern und sie als lohnendes Element der Stadtpolitik einer Mittelstadt zu begreifen.


Teilnehmer des Stadtgespräches werden sein:

Andreas Denk, Chefredakteur "der architekt"
Burkhard Fröhlich, Chefredakteur "DBZ Deutsche Bauzeitschrift"
Boris Schade-Bünsow, Chefredakteur "Bauwelt"

Moderiert wird die Veranstaltung von Dr. Michael Zirbel, Leiter des Fachbereichs Stadtplanung der Stadt Gütersloh.

Ort: Forum der Sparkasse, Konrad-Adenauer-Platz,33330 Gütersloh, ab 19 Uhr

Weitere (8) Beispiele für Baukunst in Gütersloh unter baukunst.nrw.

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