Gardinen für Vitra

Die neue Produktionshalle made by SANAA in Weil am Rhein

Von oben gesehen ist der Vitra-Campus das Abbild einer geometrisierten Spielwiese: reguläre Rechtecke, Rechtecke, die in sich verschoben sind, sowie weiter drum herum freie Formen, Formengruppen. Dem Grundrisskanon der Bestandsgebäude auf der Vitra-Wiese in Weil am Rhein fehlte bisher eine Kreisform, das heißt, seit 2009 gab es sie: die neue Produktionshalle von SANAA, dem Tokyoter Architekturbüro von Kazuyo Sejima und Ruye Nishizawa. Mit der Halle, die allerdings erst jetzt mit seinem spektakulären Vorhang zum Abschluss gebracht wurde, entstand auch das VitraHaus, eine nicht minder Aufsehen erregende Architektur der Basler Herzog & de Meuron. Beide Bauten wurde für die Vitra-Schwester „Vitrashop“ mit den Unternehmen Visplay, Ansorg und Vizona realisiert. Doch während das VitraHaus ein Showroom ist, dessen Rundgangpräsentation an den Möbeldiscounter aus Schweden erinnert (nur dass im VitraHaus die Aussichten spektakularer und die Möbel schöner, nachhaltiger und (leider) auch teurer sind), ist die jetzt fertiggestellte und der Presse vorgestellte Produktionshalle ein reiner Zweckbau. Hier wird gefertigt was angeliefert wird, hier wird abgeholt, was gefertigt wurde. Die Materialien werden ebenfalls mit großen Lastwagen angeliefert.

Man brauchte mehr Platz, als ihn die alte Produktionshalle bot, sie wurde abgerissen; in zwei Teilen. Und während der eine Teil fiel, wurde die erste Hälfte der neuen Halle gebaut. Ihr fast kreisrunder Grundriss, der eben durch eine leichte Deformierung des perfekten Kreisrunds weicher wird (Durchmesser ist 156x159 m), besteht aus 11,2 m hohen Betonfertigteiltafeln, die eine etwa 500 m lange Außenwand bilden. Die Abweichung vom perfekten Kreis bietet eine deutlich bessere statische Qualität und ist für das oben genannte Arbeiten perfekt: Über zahlreiche Dockstationen können die Lastwagen so anliefern und abholen, dass die Wege in der Halle die kürzest möglichen bleiben.

Im Inneren ist die Halle klar in vier Viertel gegliedert, die mittig durchlaufende Betonwand (ebenfalls Fertigteile) wird an fünf Stellen durchbrochen. Die Wand ist dem Brandschutz geschuldet, natürlich der Lastabtragung, aber eben auch aus Gründen des Betriebsablaufes, der durch den Abbriss der Vorgängerhalle nicht gestört werden sollte.

Die Innenwände, Regale, der Fußboden, sämtliches Trag- und Stützwerk ist weiß oder weiß lasiert, lediglich die Deckenheizungen (Gas) konnten nicht im entsprechenden Farbton eingebaut werden. Das Weiß im Innenraum unter dem von durchlaufenden Fensterbändern zerschnittenen Flachdach macht die Halle so hell, dass tagsüber kaum Kunstlicht zugesteuert werden muss. Unter der halben Halle mit einer Fläche von gut 20000 m² liegt eine Tiefgarage für die Mitarbeiter, die zweite Hälfte liegt auf einer Bodenplatte ebenerdig auf.

Doch die Halle mit ihrer dezenten Stauchung der Kreisform, die, wie wie Kazuyo Sejima verriet, so leicht nicht hinzukriegen war, wäre keine weitere Meldung wert, gäbe es nicht diesen Vorhang aus milchig weißem Plexisglas, der bei bestimmtem Licht das Gebäudevolumen (206600 m³) komplett zum Verschwinden bringen kann. Dabei wurden mit den Österreichern der k-tec GmbH, die auch die Plexiglashülle des Kunsthauses Graz entwickelten, insgesamt drei unterschiedlich wellenden Elemente entwickelt und im Tiefziehverfahren gefertigt, die, 11,4 m hoch und 1,80 m breit, scheinbar nahtlos und per Zufall gefügt werden. Nimmt man die durch Wendung jedes der drei Elemente hergestellten Wellenlandschaftenvariationen hinzu, könnte man die Panele 720 mal kombinieren, ohne sich zu wiederholen! Das reichte, um die bestehende Halle etwa 2,6 mal wiederholungsfrei zu umrunden.

Die Panele sind so auf die Unterkonstruktion befestigt, dass sie sich in Länge und Breite dehnen können, ohne dass Risse oder Verwerfungen auftreten. Die Mehrschichtigkeit des Kunststoffvorhanges, für den der Hersteller 15 Jahre Gewährleistung übernimmt, macht ihn mit dem Faltenspiel noch einmal tiefer in seiner Wirkung. Das reflektierte Licht erzeugt dabei, abhängig vom Reflektionspunkt, unterschiedlich räumliche Tiefen. Übergänge zum Himmel gibt es unzählige, teils aber auch gar keine mehr: Himmel und Vorhang sind dann fast eins.

Was die Halle gekostet hat wird nonchalant verschwiegen, auch wurde nicht verraten, in welchem Kostenverhältnis nackte Halle und Vorhang stehen. Rolf Fehlbaum, Präsident des Verwaltungsrats (Chairman of the Board) der Vitra AG, bezeichnet solche Zahlenbekenntnisse auch als völlig unwichtig. Ebenso schob er die Frage von sich, ob mit der Sammlung internationaler Architektenentwürfe für den Campus ein Marketingkonzept verfolgt wird, das den Verkauf der Vitra Kollektion fördere. Letzteres allerdings erscheint dann doch wahrscheinlich, schließlich wirbt das Schweizer Unternehmen immer wieder damit, wieviel internationale Kundschaft die Architekturlandschaft bei Weil an den Rhein ziehe. Das neue Produktionsgebäude von SANAA wird hierzu ganz sicher seinen Teil beisteuern. Be. K.

Bauherr: Vitra Verwaltungs GmbH

Architeken: SANAA, Tokio/J, nkbak, Frankfurt, lokaler Partner vor Ort

Architekt Ausführung: Mayer Bährle Freie Architekten BDA, Lörrach
 
Vorstudie: 2006
Fertigstellung: Dezember 2012
 
Tragwerksplanung: Bollinger und Grohmann GmbH, Frankfurt /
SAPS – Sasaki and Partners, Tokio
 
Fassade: STRABAG AG, Wien
Fassadenpanele: k-tec GmbH, Radstadt
Fassadenstatik: Imagine structure GmbH, Frankfurt
 
Grundstücksfläche: 50.000 m²
Gebäudegrundfläche: 20.455 m²
Durchmesser: 156 x 159 m
Gebäudevolumen: 206600 m³
Gebäudefläche: 20455 m²
Fassadenfläche: 5740 m²

www.vitra.com www.sanaa.co.jp

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