Für die Zeit nach Peter Noever

Neuer MAK-Direktor in Wien benannt: Christoph Thun-Hohenstein

Im Februar 2011, also einige Monate vor Vertragsende, warf der umtriebige wie zugleich die Geschichte des Museums für angewandte Kunst MAK in Wien neu geschriebene Peter Noever das Handtuch: Der damals noch Direktor seiende geniale Alleinherrscher trat, für viele überraschend zurück. Grund: Nachdem ihm Unregelmäßigkeiten wegen einiger privater Feiern im Museum vorgeworfen wurden, zog er im Februar die Konsequenzen und trat mit sofortiger Wirkung zurück. Er „bedaure diese Fehler", für die er allein verantwortlich sei. „Ich hätte retrospektiv die Veranstaltungen [Geburtstagsfeiern für seine Mutter, Be. K.] – auch wenn sie dem Museum genützt haben – der Privatsphäre zuordnen müssen."

Heute nun kommt die Meldung, auf welche viele lange schon gewartet haben: Der neue Direktor des MAK heisst Christoph Thun-Hohenstein. Der bisherige „departure“-Geschäftsführer widmet sich ab sofort der Weiterentwicklung des MAK als wie er kundtut „Weltklasse-Museum für angewandte Kunst“. Mit dem Ziel, das MAK „sichtbar als Weltklasse-Museum für angewandte Kunst im 21. Jahrhundert“ zu positionieren, übernimmt Dr. Christoph Thun-Hohenstein heute, 1. September 2011, die Direktion des, wie es offiziell und in ganzer Länge heisst, MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst. Essenziell für die Weiterentwicklung des MAK als „eines der in seiner inhaltlichen Vielfalt faszinierendsten Museen überhaupt“ erachtet Thun-Hohenstein vor allem die Auslotung der richtigen Balance zwischen angewandter Kunst, Design, Architektur und Gegenwartskunst und das Ermöglichen maßstabsetzender Beiträge zur Qualität der kulturellen Produktion.

Der neue Direktor stellt eine intensive Auseinandersetzung mit dem umfassenden Begriff angewandte Kunst in seiner heutigen Bedeutung in Aussicht, und er sieht Innovationsbedarf „für sämtliche Bereiche“: „Es geht darum, basierend auf Bewährtem, den Kunstbegriff des MAK zu schärfen, bisher unterbelichteten Themen deutlich mehr Raum zu geben, Schnittstellen zu optimieren, den Diskurs insgesamt zu stärken und schlüssige Kriterien für die Auswahl von Sonderausstellungen zu erarbeiten. Das MAK muss Orientierungen für die Zukunft erarbeiten.“

Details zu den Plänen Christoph Thun-Hohensteins für das MAK und das künftige Programm sowie zur eingeleiteten Sichtung der Aktivitäten des Museums werden im Herbst 2011 bekanntgegeben.

Noever, Verfasser zahlloser Katalogbeiträge und Herausgeber ebensolcher, hat in der Vergangenheit viele wichtige Architekturausstellungen für das MAK nach Wien geholt oder sie dort selbst initiert, darunter solche zum Werk von Carlo Scarpa, Josef Hoffmann, CoopHimmelb(l)au, James Turrell, Bernard Rudofsky, oder auch R. M. Schindler, dessen Haus in Los Angeles Noever mit vielen anderen vor dem Verkauf und möglichem Abriss rettete. Nach dem Bekanntwerden seines Rücktritts äußerten sich viele internationale Künstler wie Architekten bedauernd, wütend und mit Wehmut zu Noevers Ausscheiden (siehe beiliegendes PDF "Pro Noever"). Jetzt wird sich zeigen, ob sie mit ihren Abgesängen auf die Zukunft des MAK Recht behalten werden; kein leichter Start für den jetzt amtierenden Rechts- und Politikwissenschaftler sowie Kunstgeschichtler, der zuletzt im Austrian Cultural Forum das Glück hatte, österreichische Kulturgeschichte in einer international gefeierten Architektur unter die New Yorker bringen zu dürfen (Architekt des Hauses und Freund Noevers war Raimund Abraham). Be. K.

Christoph Thun-Hohenstein (51) studierte Rechtswissenschaften, Politikwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Wien, wo er auch als Assistent tätig war. Nach seiner Promotion in Politikwissenschaft und Kunstgeschichte trat er 1984 in das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten der Republik Österreich ein, für das er Auslandsposten in Abidjan (1985), Genf (1986–90) und Bonn (1991–93) innehatte.
Von September 1999 bis August 2007 war er Direktor des Austrian Cultural Forum New York – und damit für die 2002 erfolgte Eröffnung des spektakulären Neubaus durch Architekt Raimund Abraham und die inhaltliche Positionierung verantwortlich – sowie Herausgeber der Online-Zeitschrift „austria.culture“.
Unter seiner Ägide entwickelte sich das Austrian Cultural Forum mit einem wegweisenden Konzept zu einem international vielbeachteten Ort für Kunst und Kultur. Von November 2007 bis August 2011 fungierte er als operativer Geschäftsführer von „departure“, der Kreativagentur der Stadt Wien, die europaweit als erfolgreiches Modell der Innovationsförderung für bildende Kunst, Design, Grafik, Mode, Architektur, Multimedia und zahlreiche weitere Bereiche der Creative Industries gilt.
Christoph Thun-Hohenstein veröffentlichte Publikationen insbesondere zur Europäischen Integration sowie zu Themen zeitgenössischer Kultur und Kunst, und hielt in diesen Bereichen auch zahlreiche Vorträge. hat Ausstellungen zeitgenössischer Kunst kuratiert und übt regelmäßig Jury-Tätigkeiten aus.

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