Elbphilharmonie von innen

Ein Besuch auf der vielleicht umstrittensten wie faszinierensten Baustelle

„Die Baustellen-Führungen sind körperlich anstrengend und beinhalten Treppensteigen bis in das 12. Gebäudestockwerk. Der Zugang ist nicht barrierefrei. Für Personen mit einer Gehbehinderung oder Kreislauferkrankung sind die Führungen ungeeignet.“ So kann derjenige nachlesen auf der offiziellen Website der Elbphilharmonie in Hamburg, der mit dem Gedanken spielt, dort einmal das in Augenschein zu nehmen, von dem so viel geredet wird. Geschimpft. Gemäkelt.

Ich hatte das Glück, mit dem Projektarchitekten und Associate bei Herzog & de Meuron, Nicholas Lyons, die Riesenbaustelle zu besuchen. Und das zu einem Zeitpunkt, der für eine ruhige und intensive Besichtigung in der Woche ideal war: kaum Bauarbeiten, wenig Handwerker, kein Maschinenlärm, nur ein eisiger Wind vom strahlend blauen Himmel. Baustopp also wieder einmal, gearbeitet wurde – mal wieder – vor Gericht.

Grund für den Besuch Anfang Februar waren eigene Berichte in der Vergangenheit über dieses Aufregerbauwerk, zu welchem einem am Schluss immer nur noch die dramatische Entwicklung der Kosten einfiel. Was nicht fair ist, so der gebürtige Ire Nicholas Lyons, und überhaupt werde dieses wunderbare Bauwerk immer den Makel von Unstimmigkeiten, Zerwürfnissen und Rechtsstreitereien behalten, egal, wie überzeugend am Ende alles wird; und das, so ist sich der Architekt bei Herzog & de Meuron sicher, werde es.

Warum die Kosten explodierten liegt an vielerlei, in der Hauptsache aber am erweiterten Raumprogramm. Ein zusätzlicher Konzertsaal sollte her, die Appartementwohnungen, deren Vermarktung zu einem nicht unerheblichen Teil die neue Stadtkrone finanziert, reichten nicht aus, auch hier wurde aufgestockt. Das wiederum führte dazu, dass der alte Speicherbau (Kaispeicher A, Architekt Werner Kallmorgen), Sockel des Ganzen, erheblich ertüchtigt werden musste. So erforderten die Fundamentierungsarbeiten einen Aufwand, der ursprünglich nicht kalkuliert war. Es kamen andere Unwägbarkeiten hinzu, allerdings auch eine Menge an Undurchsichtigkeiten. Und die manifestieren sich zum einen in dem Verhältnis zwischen der „Freien und Hansestadt Hamburg“ und dem Investorenkonsortium „IQ“ (Adamanta), in dem sich die Hochtief AG und die Commerz Real AG zusammengeschlossen haben. So sind seit Vertragsunterzeichnung 2007 zwischen der Stadt als Bauherrin und Adamanta die Baukosten deutlich gestiegen. Für den öffentlichen Bereich erhöhten sie sich im Rahmen des so genannten Nachtrags 4 von 190,9 Mio. € auf 399,9 Mio. €! Dann wurde im vergangenen Herbst seitens Hochtief bekannt gegeben, dass das Haus erst im November 2014 übergeben zu können; voraussichtlich, möchte man ergänzen.

Seit November 2011 ruhten zum großen Teil die Bauarbeiten, Hochtief bezweifelte die Richtigkeit der Pläne für die Dachkonstruktion und sah Gefahr in Verzug. Es gab Verhandlungen bei sinkender Sympathiekurve zwischen allen Beteiligten. Nun scheint zwischen Stadt und Dienstleister vorläufig eine Lösung gefunden zu sein. Der Baukonzern hatte der Stadt am 23. Februar 2012 einen Vorschlag unterbreitet, wie mit den Arbeiten am Saaldach der Elbphilharmonie weitergemacht werden könnte. Der Konzern will die Arbeiten auf der Baustelle, von welcher er rund 40-50 Mitarbeiter abgezogen und auf andere Baustellen verteilt hatte, weiterführen, wenn die Bauherrin einer Nachrüstung der Dachkonstruktion zustimmt. Die will prinzipiell zustimmen, womit die Arbeiten an dem Leuchtturmprojekt für Hamburg demnächst weitergehen könnten.

Das alles vergisst man sofort, wenn man zum ersten Mal die Baustelle betritt. Und zwar dort, wo auch in Zukunft der Haupteingang zum Musikhaus sein wird. So wurde die Ziegelwand des Kaispeichers in Erdgeschosshöhe um die Nordostecke herum geöffnet. Die – gemessen an den Bauwerksdimensionen – niedrige Eingangshöhe lichtet sich hinter der Fassade nur unwesentlich. Das Foyer, eigentlich der Empfang, erscheint wie ein purer Raum, der Pronaos eines altgriechischen Tempels, von welchem aus das Eigentliche betreten wird. Ebenfalls an der östlichen Seite liegt die Zufahrt zum Parkhaus. Aus dem mehr breiten als hohen Empfang geht es mit der vielbeschriebenen, über ein Kreisbogensegment liegenden Rolltreppe auf beinahe Plaza-Niveau. Die Rolltreppe endet vor einem gewaltigen gläsernen Guckkasten, von dem aus ein erster spektakulärer Blick westwärts auf die Elbe und die Hafenbecken möglich ist. Eine weitere Treppe ins Gebäudeinnere zurück endet schließlich auf der Plaza, von der der Autor immer glaubte, sie sei ein nach allen Seiten offenes und dementsprechend zugiges Zwischengeschoss unterhalb der Konzertsäle, der Appartements und dem Hotel. Doch ganz im Gegenteil ist die als öffentlicher Raum gedachte Fläche, auf welche große Treppenanlagen münden, ein zum großen Teil nach Außen hin verglaster Ort. Hier werden Restaurants, Cafés und Läden Abwechslung und Erholung dem Publikum bieten, das müde geworden ist angesichts der spektakulären Panoramen draußen auf Hafen und Stadt.

Verspiegelte oder transluzente Wandflächen begleiten den Plaza-Besucher auf seinem Rundgang um die Plaza-Eingeweide, zu denen auch die bereits genannten Treppenanlagen gehören, die zu den Konzertsälen hinaufführen. Massive Rollschiebetore in den oberen Treppenabschnitten schließen die sensiblen Foyerbereiche oben in den Morgen- oder Nachtstunden, die Plaza soll durchgängig geöffnet bleiben. Wer es mit Eintrittskarte (oder gutem Leumund?) ins Foyer hinauf geschafft hat, wird feststellen, dass er den großen Konzertsaal komplett umlaufen kann. Die Betonwände, die er sieht, sind hier die mehrfach gefaltete Außenschale, hinter welche sich der eigentliche Konzertsaal verbirgt, der auf 170 Stahlfederpaketen lagert. Wer als Besucher vielleicht daran denkt, das diene in erster Linie dazu, die Musik innen von Bootssirenen draußen beispielsweise zu schützen, hat nur zum Teil recht. Hauptgrund für die Entkopplung, so Nicholas Lyons, sind die anliegenden, extrem teuren Appartements. Denn wer kauft sich schon für viel Geld eine Wohnung neben einem Konzertsaal, dessen Musik er vielleicht nicht ertragen kann, im besten Falle aber nicht dauernd hören möchte? Dass die Wandschale des Konzertsaals Hohlräume aufwies, die von Hochtief irgendwie verfüllt worden sind, dient nicht gerade dem aufwendigen Schallentkopplungsverfahren.

Ein Treppengewirr, das an die Carceri Piranesis erinnert, umfasst das Betonvolumen Konzertsaal. Es soll möglich machen, so der Projektleiter, dass der Zuhörer auf möglichst direktem Weg zu seinem Sitzplatz kommt. Die klare Ausrichtung des Foyers zur Stadt- und Hafenseite erlaube beste Orientierung und wirke dem häufig zu beobachtendem Umherirren zwischen Rang 2 links und Parkett 1-12 entgegen.

Der Saal selbst wirkt mit dem Baustützenwald in seinem Bauch so klein, dass man sich kaum vorstellen mag, dass hier einmal Gustav Mahlers 3. Sinfonie vor 2150 Zuhörern aufgeführt werden kann. Scharf gewinkelte Zugänge erlauben es, auch während der Vorstellung Zutritt zum Saal zu bekommen, ohne dass störende Lichtblitze den Zauber der Musik zersäbeln. Große, hoch liegende Fensteröffnungen dienen dazu, bei bestimmten Aufführungen und einem vorgewähltem Öffnungsgrad Morgen- oder Abendlicht über die Wände gleiten zu lassen.

Die zur Finanzierung des Projektes nötigen Bausteine Appartementwohnungen im Westen und Hotel im Osten bieten vor allem das eine: Einen grandiosen Ausblick auf die Stadt und den Hafen. Ansonsten kann man sich fragen, wieso die Hotelbetreiber den oben liegenden Raum nicht – wie im Riverside von Chipperfield – für eine Bar- oder Eventnutzung vorgesehen haben. Der wunderbare Ort hoch oben über allem ist nämlich für die Präsidentensuite oder ähnlichen Luxus vorgesehen, so wie bei allen Hotels des Betreibers überall auf der Welt.

Nun gehen die Arbeiten also vorläufig weiter. Dass Herzog & de Meuron hier etwas besonderes geplant haben, ist jetzt schon deutlich zu sehen. Man möchte nur hoffen, dass das Spitzenevent Philharmonie nicht der weiteren Gentrifizierung der HafenCity dient, dass die versprochene Offenheit der Plaza für alle auch nach 2014 noch gilt, dass die internationalen Orchester dem behauptet höchsten akustischen Anspruch überhaupt gerecht werden können und nicht an ihm verzweifeln, und dass die Stadt diese Investition an ihre Bürger zurückgibt und also das hunderte Millionen teuere Bauwerk uns allen ein Zugewinn ist. Be. K.

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