Ein Abriss steht an. Wieso auch nicht!

Über die Schutzwürdigkeit von Denkmalarchitektur am Beispiel von IBM Stuttgart-Vaihingen (Egon Eiermann)

Manchmal drängt sich einem der Eindruck auf, es werde polemisch über Architektur diskutiert, weil dessen Architekt (seltenst eine Architektin) einer ist, dessen Namen in den Übersichtswerken zur Weltarchitektur mehr als eine halbe Seite füllt. Gerade in der zur Zeit wieder heftig geführten Diskussion um Erhalt oder Abriss von Bauten aus den Fünfzigern und Sechzigern und aus dem Bauerbe der DDR spielt nicht selten der Name des Architekten die Rolle, die eigentlich die Architektur selbst spielen müsste.

Nun könnte man davon ausgehen, dass bekannte Architekten deswegen so bekannt sind, weil das, was sie bauen, die Qualität hat, die nötig ist, dass die Namen ihrer Schöpfer überhaupt erst ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben werden. In nicht wenigen Fällen lässt sich dieser Mechanismus einer automatischen Verknüpfung von Name und Wertschätzung bei einer Unterdenkmalschutzstellung beobachten wie überhaupt die Diskussion über Unterschutzstellung jüngsten architektonischen Erbes eine wenig sachlich, eine, wie schon gesagt, polemisch geführte Debatte ist.

Im Zusammenhang mit der Meldung, dass dem IBM-Ensemble, das Egon Eiermann in den Jahren 1967-72 in Stuttgart-Vaihingen für den Computerkonzern entworfen und realisiert hat, nun eventuell der Abriss droht (droht!), spielen die oben genannten Aspekte sicherlich eine Rolle und es ist gewiss ein Fehler, in der Diskussion um die Zukunft des für die Stadt Stuttgart wichtigen Areals immer den denkmalgeschützten Eiermann einzuflechten. Aber dazu der Architekt in eigenen Äußerungen weiter unten.

Wir haben für Sie das abgesperrte, knapp 20 ha großen Gelände besucht, das bereits erste Anzeichen von Verfall und Sukzession zeigt und nebem dem großen Gefühl des Verlassenseins Überraschendes bietet. So die hohe bauliche Qualität der mehr als vierzig Jahre alten Pavillons und ihr guter Zustand trotz ihres etwa vierjährigen Leerstandes. Man spürt die Klarheit der Gliederung im Großen (Lageplan) wie im Kleinen (Grundrisse) und die konsequente Verknüpfung mit dem Außenraum. Fast spürt man köperlich die Funktionalität und das große nüchterne Kalkül, das mit einem leisen Hauch von gutbürgerlicher Vorstellung von Eleganz durchwebt ist und damit den Zustand von Zeitlosigkeit erreicht.

Die allerdings nicht mehr anwesend ist, wenn man von einem der zahlreichen Ober- oder Unterparkdecks auf die Gebäude schaut. Die unglaublich großen Verkehrsflächen um und zwischen den Pavillons erzählen von Zeiten, als es wichtig war, mit einem Auto zur Arbeit zu fahren und dieses Auto dann möglichst nahe am Eingang parken zu dürfen. Man sieht immer noch die Vorfahrten für Gäste des Vorstandes, in deren Kreisform hinein die Eingangsdächer ragen, gebaute Regenschirmspaliers, die den Vorfahrten exklusiver Hotels aus vorvergangenen Zeiten in nichts nachstehen.

Die Fassadenraster glänzen mit Filigranwerk, die mehrgeschossigen Brückenräume mit Transparenz, das fast schon gelblich verfärbte Teakholz über dem gelblichen Ziegel und den leicht vergilbten Sonnensegeln erzeugt ein Flirren, das im hellen Sonnenlicht schon unerträglich werden kann und bei bedecktem Himmel zu einer zweiten Schicht vor der eigentlichen und wie wir jetzt immer wieder lesen, viel zu dünnen Fassadenhaut wird.

40000 m² Bürofläche in drei Eiermann-Pavillons plus den 1983-84 von Kammerer und Belz nach Eiermann-Plänen realisierten Pavillon Nr. 4, dazu der im Südwesten liegende, flache Kantinenbau. Pavillon Nr. 3 wurde in den letzten Jahren bereits teilentkerrnt und durch Einbauten verändert. Ein Eingriff, dem Eiermann sicher zugestimmt hätte, war ihm doch die Stahlkonstruktion, kombiniert mit Glas das „aristokratische Material“, das überhaupt erst Wandlung und Anpassung ermöglichte. Eiermann sprach damals von „Wegnehmbarkeit“ und der „Möglichkeit zum Widerruf“ und meinte damit sicherlich nicht den Abriss?

Oder doch? In Sachen Kollegen-Architekturen war Egon Eiermann weniger zimperlich, auch, wenn es um Bauten ging, die unter Denkmalschutz standen. Oder, die große Beschützer hatten (Mies van der Rohe, Richard J. Neutra, Walter Gropius, Pieter Oud, Alvar Aalto, Max Bill u. a.). Damals ging es um das Kaufhaus Schocken in Stuttgart von Erich Mendelsohn. Es sollte abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Dessen Architekt Egon Eiermann war. In der Diskussion 1959, ein Jahr vor dem dann vollzogenen Abriss, argumentierte Eiermann vor allem mit der mangelhaften Funktionalität des Mendelsohn-Baus, der im Weltkrieg 1939-45 teilzerstört und in den Nachkriegsjahren wieder aufgebaut worden war. Hier, in dieser Diskussion, unterstellte Eiermann den Gegner des Abrisses, dass sie allein einen Mendelsohn verteidigten, nicht aber das Gebäude selbst.

Nun sind wir wohl wieder da, wo um einen Namen gestritten wird. Denn das scheint klar: Die in kleinen Studien ermittelte mögliche Erweiterung/Ergänzung des Ensembles (im Gespräch sind Zusatzflächen von rund 150000 m²) ist nicht befriedigend weil nicht konsequent. Entweder, die Stadt Stuttgart findet für den Komplex ein großes Unternehmen, das sich hier ansiedelt (und zahlt die geschätzten 100 Mio. € Sanierungskosten), oder sie gibt das für Wohnen beispielsweise zu wenig zentrale und von zwei Autobahnen gefasste Gelände für eine Tabula rasa frei: das, was auf alten Zechengeländen im Ruhrgebiet funktioniert, sollte doch in der beinahe schuldenfreien Landeshauptstadt eines Technologielandes möglich sein! Und: Eiermann hat es vorgemacht: Man muss nicht immer alles gleich auf einmal machen, es geht auch schrittweise, auch noch in den folgenden Generationen. Be. K.

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